Schließlich sagte er:
»Senor Schelp, ich spreche nicht von diesem indianischen Usurpator Juarez, sondern von der rechtmäßigen Regierung.
Juarez befindet sich noch in Mexiko.« Er senkte seine Stimme und verlieh ihr gleichzeitig einen verschwörerischen Beiklang. »Aber bestimmt nicht mehr lange!«
Schelp nickte wenig beeindruckt, verneigte sich vor der Frau und sagte:
»Sie müssen demnach Mrs. oder Miß V. Smith sein, Madam.«
»Mrs. Smith, ja.«
Ihre Stimme klang kalt, als sei vor langer Zeit jedes Gefühl in der Frau gestorben.
»Und wo ist Mr. Smith, wenn ich mir diese Frage erlauben darf?«
»Ich trauere um ihn, Mr. Schelp. Ich habe erst vor kurzem erfahren, daß die Yankees ihn hingerichtet haben.«
»Mein Beileid«, sagte Schelp und versuchte, ehrlich betroffen zu klingen.
Obwohl Captain McCord seinen Revolver weggesteckt hatte und auch Schelp offenbar nicht mehr ans Schießen dachte, fühlte sich Hansen nicht wohler. Diese illustre Gesellschaft beunruhigte ihn. Zwei Deutsche, zwei Amerikaner und ein Mexikaner. Wo so viele Interessen aufeinanderstießen, mußte es einfach zu Reibungen kommen.
»Nehmen Sie Platz, Gentlemen«, sagte die Frau.
Ihre behandschuhte Rechte wies auf eine dick gepolsterte Sitzgruppe.
Die beiden Deutschen setzten sich auf eine Couch, Mrs. Smith und der Mexikaner in große Sessel.
Der konföderierte Offizier holte eine Flasche KentuckyWhiskey und füllte zwei Gläser, für sich und für Schelp. Alle anderen lehnten ab.
Auch Piet Hansen, der zwar in der Regel nie etwas gegen einen guten Schluck einzuwenden hatte, jetzt aber lieber einen klaren Kopf behalten wollte.
McCord angelte sich einen Stuhl, setzte sich zu den anderen und fragte, als er das schmale Glas hob:
»Dürfen wir auf einen erfolgreichen Abschluß des Unternehmens anstoßen, Mr. Schelp?«
Der Angesprochene hob ebenfalls sein Glas und lächelte.
»Aber ja doch, Captain McCord. Im Bauch der ALBANY lagert genau die Fracht, die Ihre Verbindungsleute in Deutschland bei mir bestellt haben. Die Reise nach Fogerty verlief dank Käpten Hansens nautischen Fähigkeiten reibungslos. Ich hoffe, das wird auch auf den Rest der Fahrt zutreffen!«
»Deshalb sind wir hier«, sagte McCord und deklamierte dann feierlich: »Auf den Süden!«
Er leerte sein Glas mit einem kräftigen Zug.
»Auf den Süden«, wiederholte Schelp, allerdings längst nicht so begeistert, und leerte ebenfalls sein Glas.
In Gedanken fügte er hinzu: Und auf die Golddollars in der konföderierten Kriegskasse!
McCord wandte sich an Piet Hansen und fragte: »Können Sie morgen nach Sonnenaufgang ablegen, Käpten?«
Der Seebär nickte.
»Ja, Captain. Frischwasser und frische Vorräte sind an Bord. Wir müssen nur noch durch Losentscheid die Passagierfrage klären.«
»Die Passagierfrage?« echote der Südstaatler. »Was heißt das?«
Hansen klärte ihn über das Problem auf.
»Wir dürfen gar keine Passagiere mitnehmen!« verlangte McCord. »Daß die ALBANY einige Auswanderer nach Fogerty gebracht hat, geschah nur zur Tarnung der Fahrt. Aber auf der weiteren Reise können wir keine Zeugen gebrauchen!«
»Das sagen Sie mal den Männern und Frauen da draußen, denen nichts auf der Welt so wichtig ist, wie möglichst schnell nach Kalifornien zu kommen«, brummte Hansen. »Die werden Sie auf der Stelle lynchen, Captain.«
»Und was werden die Leute machen, wenn wir sie an Bord nehmen, aber nicht San Francisco anlaufen?« fragte McCord.
»Wahrscheinlich werden sie meutern«, gab Hansen zu. »Wenn man sie nicht rechtzeitig in Schach hält. Wie auch immer, dann haben wir es nur mit etwa hundert Menschen zu tun. Hier in Fogerty sind es weit über tausend. Außerdem würde es den Verdacht von Captain Stout, der die hiesige Garnison kommandiert, erregen, wenn ich plötzlich verkünde, daß niemand von den Goldsuchern an Bord darf.«
»Ich stimme dem Käpten zu«, sagte Arnold Schelp. »Wir sollten uns möglichst unauffällig verhalten, bis wir auf See sind.«
»Das ist richtig«, sagte die Frau in einem Tonfall, der wie eine Entscheidung klang.
Der Offizier in Zivil und der Mexikaner ordneten sich ihr unter, was Schelp und Hansen mit einigem Erstaunen zur Kenntnis nahmen.
Wer war die Frau in Schwarz, daß ihr Wort solches Gewicht besaß?
Weder der Kapitän noch der zwielichtige Geschäftsmann glaubten, daß >Smith< ihr richtiger Name war.
»Daß wir nicht San Francisco anlaufen, habe ich mir schon gedacht«, sagte Schelp und beugte sich vor. »Aber welchen Hafen laufen wir an?«
»Gar keinen Hafen«, antwortete Abel McCord und zog ein großes, dickes Papier aus der Innentasche seines Rocks, um es auf dem gemaserten Holztisch zu entfalten.
Es war eine Landkarte, die den Westen und Südwesten Nordamerikas sowie Mexiko zeigte. Die Karte war zerknittert, mehrfach eingerissen und mit Flecken übersät, also häufig benutzt worden.
Zielsicher stieß der Captain einen Finger auf eine bestimmte Stelle der Karte und verkündete den beiden Deutschen:
»Gentlemen, hier liegt das Ziel unserer Reise!«
Neugierig blickten Hansen und Schelp auf die Landkarte.
»Im Golf von Kalifornien?« fragte Schelp schließlich mit gekräuselter Stirn. »Ich hatte gedacht, mit der Regierung der Konföderierten Staaten von Amerika ein Geschäft zu machen, nicht mit der von Mexiko.« Nach einem Seitenblick auf den Mexikaner fügte er hinzu: »Mit welcher mexikanischen Regierung auch immer.«
Don Emiliano Maria Hidalgo de Tardonza straffte seinen drahtigen Körper und erklärte:
»Senores, seien Sie versichert, daß es bald nur noch eine mexikanische Regierung gibt. Und die wird eng mit den Konföderierten Staaten zusammenarbeiten. Sind Sie über die politische Lage in Mexiko unterrichtet?«
»Ich denke schon«, nickte Schelp.
Als Geschäftsmann mußte er wissen, was in der Welt vor sich ging. Politik und Wirtschaft waren zwei Beine ein und desselben Körpers.
Allerdings waren die Verhältnisse in Mexiko derzeit einigermaßen verworren: Im Jahre 1858 trat Benito Juarez, ein Mann mit Indioblut in den Adern, die Präsidentschaft an und entmachtete weitgehend das alte Feudalsystem der adligen Großgrundbesitzer. Er ließ sich vom Kongreß diktatorische Vollmachten übertragen und setzte die Rückzahlung aller Auslandsschulden aus.
Daraufhin sandten Frankreich, England und Spanien ein gemeinsames Expeditionskorps nach Mexiko, um Juarez zur Ordnung zu rufen. Schnell wurde jedoch klar, daß der außenpolitischen Abenteuern stets aufgeschlossen gegenüberstehende französische Kaiser Napoleon III. seine eigene Ziele verfolgte und eine neue Monarchie auf den Trümmern der zusammenstürzenden mexikanischen Republik errichten wollte. England und Spanien zogen deshalb ihre Truppen aus Mexiko zurück.
Napoleon aber verfolgte sein Ziel weiter, und seine Truppen rückten im Juni 1863 in Mexico City ein. Benito Juarez und seine Armee wurden immer weiter in den Nordwesten Mexikos abgedrängt.
Inzwischen war so gut wie sicher, daß Napoleon den Habsburger Fürsten Ferdinand Maximilian, jüngerer Bruder des österreichischen Kaisers Franz Joseph, mit Hilfe des mexikanischen Adels und der jesuitisch beherrschten Geistlichkeit zum Kaiser von Mexiko machen wollte. Schon im vergangenen Jahr war Maximilian nach der Einnahme von Mexico City dort zum Kaiser ausgerufen worden. Jetzt mußte der neue Kaiser nur noch in sein Reich kommen, um das hohe Amt anzutreten - falls die Juaristen es zuließen.
»Was ich Ihnen jetzt mitteile, ist streng vertraulich«, fuhr Don Emiliano fort. »Darf ich mich auf Ihr Stillschweigen verlassen?«
Die beiden Deutschen nickten.
»Maximilian wird bald in Mexiko eintreffen«, erklärte der Mann im blauen Rock. »Mit Unterstützung der französischen Truppen und der mexikanischen Armee wird er Juarez schlagen und das Land zu neuer Blüte führen.«