»Das ist sicher sehr schön für Sie«, erwiderte Schelp ein wenig gelangweilt. »Aber was hat das mit uns zu tun?«
»Präsident Lincoln unterstützt Juarez«, sagte Don Emiliano. »Lincoln befürchtet, wenn Mexiko erst einmal unter seinem neuen Kaiser erstarkt ist, wird es Texas zurückfordern.«
»Dabei wollen wir es gar nicht hergeben«, meinte Abel McCord. »Weder an die Yankees noch an die Mexikaner.«
»Selbstverständlich soll Texas weiterhin zu den Konföderierten Staaten von Amerika gehören«, versetzte Don Emiliano rasch. »Aber wir befürchten, Lincolns Regierung wird sich nicht mit unserer Absichtserklärung zufriedengeben. Unsere Informanten melden Vorbereitungen der Union für eine Eroberung von Texas.«
»Ich verstehe«, lächelte Schelp.
»Wenn Lincolns Truppen an der Grenze zu Mexiko stehen, könnte das zu einer Stärkung von Benito Juarez führen. Die Monroe-Doktrin, nicht wahr, Don Emiliano?«
Der Mexikaner nickte säuerlich.
»Si, Senor Schelp. Die Monroe-Doktrin, auf die sich die Union beruft, lehnt jedweden äußeren Einfluß auf den gesamten amerikanischen Kontinent ab. Sie könnte ein Vorwand für Lincoln sein, seine Truppen zur Unterstützung von Juarez über den Rio Grande del Norte zu schicken.«
»Um das zu verhindern, unterstützen Sie wiederum die Konföderierten«, entwirrte Schelp das politische Geflecht.
»Si«, sagte der Mexikaner wieder, sichtlich erfreut darüber, daß der Deutsche die Sache verstand.
»Und wie geschieht das?« fragte Schelp.
Nicht der Mexikaner antwortete, sondern die Frau in Schwarz:
»Wir benötigen Ihre Lieferung zur Verteidigung von Texas. Allerdings wird es immer schwieriger, Hilfsgüter ins Land zu bringen. Der Norden hat in jüngster Zeit leider eine Menge strategisch bedeutsamer Siege errungen. Texas verfügt über keinen offenen Hafen mehr. Ein Teil der Küste wird von den Yankees besetzt gehalten. Der Rest wird von ihrer Marine blockiert. Deshalb gehen wir über Land.«
Das schwarze Leder ihres behandschuhten Fingers wanderte auf der Landkarte in Ost-West-Richtung durch den Norden Mexikos, über den Rio Grande nach Texas hinein.
»Diesen Weg«, erklärte sie. »Die ALBANY wird eine bestimmte Bucht südlich von Guaymas anlaufen. Dort warten ausreichend Wagen und eine bewaffnete Eskorte auf die Lieferung, die Captain McCord und ich nach Texas begleiten werden.«
»Kein ungefährlicher Weg«, befand Schelp und gesellte seinen Zeigefinger zu dem der Frau. »Ich denke, Juarez sitzt hier im Norden Mexikos!« »Lassen Sie das unsere Sorge sein, Senor Schelp«, warf sich Don Emiliano in die Brust. »Die kaisertreuen Truppen werden diesen größenwahnsinnigen Indio schon im Zaum halten. Vielleicht gibt es gar keinen Juarez mehr, wenn die ALBANY die Küste von Sonora erreicht.«
Schelp zuckte mit den Schultern.
»Wie auch immer, mein Problem ist es nicht. Ich werde bei Lieferung bezahlt, nicht wahr?«
Nur kurz blickte er Captain McCord an. Dann verweilte sein Blick auf dem verschleierten Gesicht der Frau. Er spürte, daß sie dem Offizier befahl, wenn Schelp auch die Zusammenhänge nicht verstand.
»Natürlich, Mr. Schelp«, versicherte sie. »So wie besprochen.«
»Es war auch besprochen, daß ich bei der Kontaktaufnahme mit dem Verbindungsmann eine Anzahlung in Höhe von zwanzig Prozent erhalten soll.«
»Es war uns leider nicht möglich, die Summe mitzubringen«, erklärte die Frau, ohne daß ihr ausgesprochenes Bedauern in ihrem Tonfall widerhallte. »Wir hatten mit einigen Schwierigkeiten zu kämpfen, was Sie an unserer verspäteten Ankunft erkennen können. Eine so bedeutsame Summe mitten durchs Yankee-Gebiet zu transportieren, wäre nicht ratsam gewesen.«
»Aber unsere Abmachung!«
»Sie bekommen Ihr Geld, Mr. Schelp, sobald wir im Golf von Kalifornien vor Anker gehen. Dafür verbürge ich mich.«
»Sie persönlich, Mrs. Smith!«
»Ja, ich persönlich.«
Ihre Stimme klang so unbeteiligt wie die ganze Zeit schon. Sie ließ nicht erkennen, ob die verschleierte Frau die ätzende Ironie vernommen hatte, die in Schelps Worten lag.
»Also gut«, knurrte der Geschäftsmann. »Ich werde mich an Sie halten, Madam!«
Das klang drohend.
Abel McCord warf dem Deutschen einen zornigen Blick zu und wollte etwas erwidern.
Doch die Frau kam ihm zuvor und legte eine Hand auf den Arm des Captains, der sich mühsam zur Ruhe zwang.
»Dann ist ja alles geregelt«, sagte die Frau. »Captain Smith, Don Emiliano und ich kommen morgen früh an Bord der ALBANY. Bereiten Sie für uns Kajüten vor, Käpten Hansen!«
Auch dies klang wie ein Befehl.
Hansen, wenig erfreut von der ganzen Geschichte und ihrer Entwicklung, brummte etwas Unverständliches.
Als die beiden Deutschen die Treppe zur Hotelhalle hinuntergingen, fragte Schelp:
»Was ist los mit Ihnen, Käpten? Sie machen ein Gesicht, als hätten Sie gerade den Klabautermann gesehen.«
»So ähnlich ist mir zumute. Die ganze Geschichte wird mir allmählich zu kompliziert und unübersichtlich. Weshalb, zum Beispiel, müssen wir erst hier raufschippern, wenn es jetzt wieder die Küste hinunter und dann in den Golf von Kalifornien geht?«
»Ein Täuschungsmanöver für die Yankees, Käpten. Deren Blockade richtet sich hauptsächlich gegen Schiffe, die aus Europa kommen. Aber ein Schiff, das aus dem Pazifik in Richtung Kalifornien fährt, ist so unverdächtig wie nur irgend etwas.«
»Bis sich herausstellt, daß dieses Schiff gar nicht Kalifornien anläuft, sondern Mexiko«, meinte Hansen düster.
»Wenn sich das herausstellt, sind wir längst am Ziel. Außerdem werden es die Yankees nicht einmal bemerken. Sie sind zu sehr mit den Blockadebrechern im Atlantik beschäftigt.«
»Ihr Wort in Neptuns Ohr, Schelp«, brummte Hansen. »Aber mein Seemannsinstinkt sagt mir, daß nicht alles so glatt verlaufen wird, wie wir es uns wünschen!«
Piet Hansen ahnte nicht, daß er gerade in diesem Moment auf die erste Komplikation zusteuerte.
*
Es war die ALBANY!
Mit vor Staunen offenem Mund stand Jacob Adler am Hafen und betrachtete die Bark, die ihm so vertraut war wie kein anderes Schiff auf dieser Welt. Das Schiff, das ihn nach Amerika gebracht hatte. Auf dem er Irene kennengelernt hatte. Vergebens sann er darüber nach, was den Dreimaster ausgerechnet ins verschlafene Fogerty getrieben haben mochte. Aber er würde es sicher bald erfahren - vom Kapitän persönlich!
Frohen Mutes steuerte er auf den Ankerplatz der ALBANY zu, als sich die Musketen des Corporals William Backleton und des gemeinen Soldaten Fred Hickel vor ihm kreuzten.
»Halt!« schnarrte der Corporal. »Keinen Schritt weiter, Mann! Was wollen Sie hier?«
»Ich möchte an Bord dieses Schiffes«, antwortete der Deutsche und zeigte auf die ALBANY.
»Das möchten viele«, meckerte Backleton. »Aus welchem Grund möchten Sie an Bord?« »Ich will eine Passage nach Kalifornien buchen.« »Das möchten auch viele. Deshalb stehen wir hier.« Jetzt zeigte der Corporal mit dem Daumen in Richtung der ALBANY. »Wenn Sie auf diesem Schiff nach Frisco fahren wollen, Mister, müssen Sie am Losverfahren teilnehmen.« »Wie läuft das ab?«
»Keine Ahnung. Erkundigen Sie sich auf der Kommandantur.« Zögernd sagte Jacob:
»Aber ich kenne den Kapitän der ALBANY!«
Corporal Backleton grinste und blickte seinen Kameraden an.
»Den Trick hatten wir noch nicht, was, Fred?«
Hickel schüttelte den Kopf.
»No, ich glaube nicht.«
»Das ist kein Trick«, verteidigte sich Jacob. »Lassen Sie den Kapitän rufen, dann wird sich alles aufklären!«
»Das geht leider nicht«, erwiderte der Corporal. »Der Kapitän ist vor einer halben Stunde in die Stadt gegangen?«