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»Das heißt, falls Sie einverstanden sind, Piet«, sagte Jacob und warf dem Kapitän einen fragenden Blick zu.

Gerade noch rechtzeitig war ihm aufgegangen, daß er, Irene und Schelp dabei waren, die Entscheidung über Hansens Kopf hinweg zu treffen. Über ein Schiff zu bestimmen, ohne den Kapitän vorher zu fragen, war nicht nur eine Art Sakrileg, sondern auch blanker Unsinn. Der Kapitän hatte stets das letzte Wort.

Während Jacob den alten Seebären gespannt beobachtete, fiel ihm auf, daß dieser wiederum einen fragenden Blick zu Schelp warf, bevor er sich mit der Regelung einverstanden erklärte. Ganz so, als habe der auffällig gut gekleidete Geschäftsmann auf der ALBANY mehr zu sagen als der Kapitän.

Nachdem Hansen und Schelp sich verabschiedet hatten, sprach Jacob mit Irene über das ihm merkwürdig erscheinende Verhältnis zwischen den beiden Männern.

»Ja, irgendwie hat sich der alte Piet seltsam benommen«, gab Irene zu. »Er wirkte so zerrissen.«

»Zerrissen?«

Irene nickte.

»Fast so, als sagte er nicht, was er eigentlich dachte. Als hätte er es lieber gesehen, uns nicht mit nach San Francisco zu nehmen.«

»Vielleicht klärt sich alles auf, wenn wir an Bord sind«, meinte Jacob.

Er sollte recht behalten.

Aber er ahnte nicht, auf welch dramatische Weise die Aufklärung erfolgen sollte.

*

»Mußte das sein, Schelp?« brummte Hansen unwillig, als er mit seinem Begleiter zurück zum Hafen ging.

Sie durchquerten den dunklen, unbelebten Bereich der Lagerhäuser, die zwischen den Kais und der eigentlichen Stadt lagen. Es roch stark nach Fisch und Teer.

Der Seemann hatte seine alte klobige Pfeife entzündet. Zum Teil waren die Gassen zwischen den hohen Lagerhauswänden so eng, daß sie das Licht der nächtlichen Gestirne fast ganz aussperrten. Das Glimmen von Hansens Pfeife war dann die einzige Lichtquelle.

»Was meinen Sie, Käpten?« spielte Arnold Schelp den Unwissenden.

»Ich meine, daß ich es für keine gute Idee halte, uns jede Menge Kajütenpassagiere aufzuhalsen. Die Leute, die wir durch das Losverfahren aufs Zwischendeck bekommen, sind schon zuviel. Warum sollen wir uns mehr Schwierigkeiten machen als nötig?«

Das war nicht die ganze Wahrheit. Hansen machte sich Sorgen um Jacob und Irene. Das Spiel, auf das er sich eingelassen hatte, war nicht ungefährlich. Ihm war nicht wohl bei dem Gedanken, die Freunde zu gefährden.

»Sie irren sich, Käpten«, erwiderte Schelp. »Gefährlich wäre es gewesen, Ihre Freunde nicht an Bord zu nehmen. Dieser Adler und das Mädchen hätten sich ganz schön über ihren alten Freund Piet Hansen gewundert, und das zu Recht. Wer sich wundert, stellt unbequeme Fragen. Fragen, die uns hätten verraten können. Glauben Sie mir, so ist es besser.«

»Was ist besser?« fragte eine scharfe Stimme aus der Dunkelheit. »Mit was für Karten spielen Sie beide?«

Hansen und Schelp blieben abrupt stehen. Am Ende einer Gasse, die auf einen schmutzigen, von Unrat bedeckten Hinterhof führte.

Hätte sie nicht schon die unerwartete Stimme zum Anhalten veranlaßt, so bestimmt das metallische Geräusch, das in der Stille der Nacht noch lauter und damit bedrohlicher als gewöhnlich klang. Jemand hatte den Hahn einer Schußwaffe zurückgezogen.

Es war ein langläufiger Revolver. Ein Leach & Rigdon. Eine Konföderiertenwaffe.

Die Konföderiertenwaffe, in deren bedrohliches Mündungsloch Hansen und Schelp heute schon einmal geblickt hatten, im Grand Hotel.

Auf dem kleinen Hof war es etwas heller als in den dunklen Gassen. Schwaches Licht fiel auf die große, wuchtige Gestalt von Captain Abel McCord.

Der Südstaatler trat aus einer anderen Gasse, die ebenfalls auf den Hof mündete. Er ging langsam, jeden Schritt abwägend, um die Deutschen keine Sekunde aus den Augen zu lassen.

Er trug dieselbe Kleidung wie am Nachmittag und dazu einen hellen Hut, dessen Krempe an einer Seite hochgezogen und nach innen geklappt war. Das dunkle Hutband war mit goldenen Knöpfen verziert.

»McCord!« stieß Schelp verblüfft hervor, während Hansen nur nervös auf dem Stil seiner Pfeife herumkaute. »Wie kommen Sie hierher?«

»Ein taktisches Manöver«, antwortete der Captain mit unbewegtem Gesicht.

Die Stimme klang ruhig.

Nur das Zittern der nach oben gezwirbelten Schnurrbartenden verriet seine starke Erregung.

»Ich bin Ihnen vom Hotel gefolgt und habe Ihnen den Weg abgeschnitten.«

Schelp legte die schmale Stirn in Falten.

»Warum denn bloß?«

»Weil ich wissen möchte, auf welcher Seite Sie wirklich stehen.«

McCord blieb stehen, etwa zwei Schritte vor den anderen. Der Leach & Rigdon mit dem gespannten Hahn lag ruhig in seiner kräftigen Faust.

»Wer sind der Mann und die Frau, mit denen Sie zu Abend gegessen haben?«

McCords Frage löste zur Verwunderung des Offiziers und auch des Seemanns Erheiterung bei Arnold Schelp aus. Er lachte laut und schob seinen Zylinder mit dem silbernen Stockknauf in den Nacken.

»Deshalb sind Sie verunsichert, Captain?« Schelp schüttelte ungläubig den Kopf. »Das waren nur alte Freunde von Kapitän Hansen. Sie kommen mit, wenn die ALBANY morgen ablegt.«

»Alte Freunde?« knurrte ein zutiefst skeptischer Captain McCord. »Oder Agenten der Yankees?«

»Sie arbeiten nicht für Lincoln«, entgegnete Schelp. »Es sind deutsche Auswanderer. Käpten Hansen wird es Ihnen bestätigen, McCord.«

»Ja, es stimmt«, brummte der Seemann undeutlich und nahm dann erst den Pfeifenstiel aus dem Mund.

Er berichtete dem Südstaatler, wie er Jacob und Irene kennengelernt und wie er die beiden hier zufällig wiedergetroffen hatte.

Während Hansen sprach, spielte Schelp in der Art eines gelangweilten Stutzers mit seinem Angeber-Stöckchen herum und näherte sich dabei unmerklich dem Offizier der Konföderierten.

»Ein ziemlich großer Zufall«, befand McCord skeptisch, als Hansen seinen kurzen Bericht beendet hatte. »Eigentlich nicht die Art von Zufällen, die mir gefallen.«

»Das ist auch nicht nötig, Captain!«

Als Arnold Schelp dies hervorstieß, war er bereits mit einem Satz zu McCord gesprungen und hatte ihm mit dem schweren Stockknauf den Revolver aus der Hand geschlagen.

Die Waffe schlug auf dem Boden auf. Eine Stichflamme schoß aus der Mündung, als sich der Schuß löste.

Ein dumpfes Klatschen folgte. Das heiße Blei war in eine der hölzernen Wände eingeschlagen.

Arnold Schelp zeigte eine Schnelligkeit und Geschmeidigkeit, die man dem groben Mann auf den ersten und auch auf den zweiten Blick nicht so einfach zugetraut hätte.

Die Hand mit dem Stock war ständig in Bewegung. Nach dem Schlag auf McCords Hand stieß der Knauf unter sein Kinn und traf schmerzhaft den Kehlkopf.

Der Südstaatler würgte, als er für Sekunden keine Luft bekam. Seine Augen traten groß hervor.

Zeit genug für Schelp, einen dritten und einen vierten Schlag zu landen.

Der dritte traf McCord in den Magen. Er knickte zusammen wie ein Klappmesser und ging vor Schelp in die Knie.

Der vierte Schlag, den Schelp mit voller Wucht über McCords Kopf zog, riß den Hut hinunter.

Der Südstaatler stöhnte gequält auf und ging vollends zu Boden. Sein Gesicht fiel vor Schelps spitzen Schuhen in den Dreck.

Der Mann mit dem kleinen, gefährlichen Stock bückte sich schnell, hob den Revolver auf, richtete ihn auf McCord und zog den Hahn zurück.

Als er das Klicken hörte, hob der Südstaatler den Kopf und sah zu dem Deutschen auf.

»Also. sind Sie. doch. Verräter.«, keuchte er, noch immer um Atem ringend.

»Nein, keineswegs«, erwiderte Schelp gelassen. »Ich mag es nur nicht, wenn man mich mit der Waffe bedroht. Deshalb wollte ich Ihnen demonstrieren, wie man sich dabei fühlt, Captain.«