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Schelp hatte kaum ausgesprochen, als er hinter sich ein würgendes Geräusch hörte.

Gleichzeitig sagte eine Stimme, die von einem starken Akzent geprägt war: »Diese Demonstration ist Ihnen vollauf gelungen, Senor Schelp. Aber jetzt muß ich Sie bitten, den Hahn von Captain McCords Waffe ganz langsam zurückgleiten zu lassen und den Revolver an seinen Eigentümer zurückzugeben.«

Hansen hatte das Würgen von sich gegeben, als der Sprecher seinen linken Arm um die Kehle des Kapitäns schlang.

Der Sprecher war Don Emiliano Maria Hidalgo de Tardonza. In seiner Rechten hielt er, was am Nachmittag seine Rocktasche so verdächtig ausgebeult hatte: ein französischer LeMat-Revolver. Die Mündung war gegen Hansens Stirn gepreßt.

Kalter Schweiß stand auf dieser Stirn. Die Pfeife rutschte zwischen den Lippen des Seemanns heraus und fiel zu Boden.

Er war bestimmt kein Feigling. In seinem Seefahrerleben hatte er dem Tod viele Male ins Gesicht gespuckt. Aber dies hier war anders.

Auch wenn die Naturgewalten auf See manchmal unberechenbar schienen, seine große Erfahrung ließ ihn so gut wie niemals hilflos werden. Er wußte, was er zu tun hatte. Welche Kommandos er geben mußte. Welche Segel gesetzt, gerefft oder eingeholt werden mußten. Wie er die ALBANY in den Wind zu legen hatte, um die Kraft des Sturms auszunutzen, statt von ihr bedroht zu werden.

Hier aber spürte Piet Hansen nicht die glitschigen, schwankenden und doch so vertrauten Planken unter seinen Füßen. Gerade der feste Boden, auf dem er stand, war für ihn fremdes, bedrohliches Terrain.

Mehr noch die Geschichte, auf die er sich eingelassen hatte.

Der brutale Schelp mit seinem tückischen kleinen Stock.

Captain McCord, der noch im Schmutz lag.

Und der Mexikaner, der Hansens Leben mit einer Fingerbewegung auslöschen konnte.

Auf Naturgewalten konnte man reagieren, weil man sie trotz aller Unwägbarkeiten berechnen konnte. Menschen aber waren unberechenbar.

Und das trieb den Schweiß auf Piet Hansens Stirn.

»Sie jagen mir keine Angst ein, Don Emiliano«, sagte Schelp kalt. »Aber ich wollte sowieso gerade tun, was Sie sagen.«

»Dann tun Sie es!« Don Emiliano klang jetzt gar nicht mehr so höflich und zuvorkommend wie sonst. Alles Ölige war aus seiner Stimme verschwunden. Der Akzent verstärkte noch die Schärfe seiner Worte. »Schnell!«

Schelp gab den Revolver an McCord zurück.

Daraufhin ließ der Mexikaner Hansen los, behielt den LeMat aber weiterhin in der Hand.

Ächzend und leise fluchend, stand der Südstaatler auf. Unschlüssig hielt er die Waffe in der Rechten und warf Schelp tödliche Blicke zu.

»Was hindert mich eigentlich, Sie niederzuschießen, Mister?« fragte McCord grimmig.

»Vielleicht die Tatsache, daß die Ladung an Bord der ALBANY für Sie dann unerreichbar wäre«, grinste der Mann mit dem Stock selbstbewußt. »Sie wird nämlich von ein paar Männern bewacht, die nur von mir Befehle entgegennehmen.«

»Sie haben an alles gedacht, wie?« knurrte der Südstaatler unwillig.

»Ich hoffe doch.«

McCord brummte etwas Unverständliches, steckte den Leach & Rigdon zurück ins Holster und bückte sich nach seinem Hut. Er setzte ihn auf und blickte dann den Mexikaner finster an.

»Sie waren doch die ganze Zeit in der Nähe. Warum haben Sie nicht eher eingegriffen, Don Emiliano?«

Der Mexikaner lächelte mit aller falschen Liebenswürdigkeit, zu der er fähig war.

»Es war ein sehr interessanter Kampf, Senor Capitän McCord. Ich wollte sehen, wie er sich entwickelt.«

Unter was für Menschen bin ich geraten? fragte sich Piet Hansen insgeheim.

Ein kalter Schauer lief über seinen Rücken.

*

»Sie haben die beiden gehen lassen, einfach so?« fragte die Frau in Schwarz.

»Si, Senora«, nickte der Mexikaner beflissen. »Was Senor Schelp erzählte, erschien uns glaubwürdig.«

Schweigen erfüllte das luxuriöse große Zimmer im Fogerty Grand Hotel. Wie zwei Schuljungen, die von ihrem Lehrer auf Herz und Nieren abgeklopft wurden, standen Don Emiliano und Captain McCord vor der Frau im schwarzen Kleid.

Schwach fiel das Licht der Main Street durch die zugezogenen Vorhänge, verblaßte aber gegen das Leuchten des kristallenen Lüsters, das die Gesichter der Menschen erhellte. Zumindest zwei Gesichter. Das Gesicht der Frau war immer noch - oder schon wieder - durch den dunklen Schleier verborgen.

Keine zwanzig Minuten waren seit der Begegnung bei den Lagerhäusern vergangen. Fast unverzüglich waren die beiden Männer zu ihrer Begleiterin gegangen, um Bericht zu erstatten.

Der Südstaatler hatte nur zwei, drei Minuten benötigt, um sein ramponiertes Äußeres einigermaßen wiederherzurichten.

Ganz war es ihm nicht gelungen. Schmutzflecke an seiner Kleidung und eine bläuliche Hautverfärbung unter dem Kinn bewiesen es.

Und er spürte noch die Schmerzen. In seinem Kopf, in seiner Kehle und in seinem Magen.

Am schlimmsten aber war die Demütigung, die der stolze Captain der Konföderierten Armee erlitten hatte, als er vor dem deutschen Geschäftemacher im Dreck lag. Am liebsten hätte der diesem Kriegsgewinnler eine Kugel durch den Kopf gejagt, als er seinen Revolver wiederhatte.

Aber er hatte sich bezwungen, weil er Schelp brauchte. Er und der ganze Süden waren auf Männer wie ihn angewiesen -leider. Männer, die am Kampf des Südens um seine Unabhängigkeit verdienten. Die dem Süden aber auch das lieferten, was er benötigte, um seinen Kampf fortzusetzen.

McCord hielt sich zurück, aber er vergaß und verzieh nicht. Er würde an die Demütigung durch Schelp denken, wenn er diesen Dutch nicht mehr benötigte.

»Und wenn es doch eine Falle ist?« fragte die Frau.

Sie saß fast reglos in einem Sessel. Wie eine große, mit dunklen Tüchern verhüllte Puppe.

Wieder verriet ihre kühle Stimme keinerlei Gefühl und schon gar nicht das Ausmaß ihres Zweifels.

»Das glaube ich nicht«, antwortete McCord. »Wir sind schließlich mit an Bord und haben dann alles unter Kontrolle.«

»Oder Schelp hat uns unter Kontrolle«, blieb die Frau skeptisch. »Vielleicht will er nur herausfinden, wo genau an der mexikanischen Küste unser Anlaufpunkt ist.«

»Und dann kommt die Yankee-Marine und läßt die Falle zuschnappen?« fragte McCord mit aufgerissenen Augen.

»Ja, Abel«, seufzte die Frau und ließ damit zum erstenmal so etwas wie ein Gefühl erkennen. »Es wäre eine Möglichkeit. Ich habe selbst schon zu spüren bekommen, wie abgefeimt Pinkertons Agenten sind.«

Der Mexikaner kratzte nervös an seinem dunklen Kinnbart und fragte:

»Wenn das stimmt, Senora, was sollen wir dann tun?«

»Genau das, was Sie und der Captain getan haben, Don Emiliano. Die Dinge laufen lassen und unter Beobachtung behalten. Schließlich brauchen die Verteidiger von Texas Schelps Ladung.«

»Falls die ALBANY wirklich das geladen hat, was Schelp uns versprochen hat«, knurrte McCord, der plötzlich überall Verrat witterte.

»Davon werden wir uns überzeugen, wenn wir an Bord sind«, sagte die Frau.

»Wenn diese beiden angeblichen Auswanderer Pinkerton-Leute sind, dann gnade ihnen Gott«, schüttelte McCord drohend seine geballte Faust. Seit der Demütigung durch Schelp hatte er wenig über für Leute, die aus Deutschland kamen. »Dann nehme ich mir diesen Adler und seine Freundin persönlich vor!«

Die Frau in Schwarz machte eine ruckartige Bewegung nach vorn, so daß sich der Sessel ein Stück verschob. Ihre behandschuhten Hände krallten sich um die Lehnen.

Und als sie sprach, wirkte ihre Stimme nicht mehr so kühl wie bisher, sondern im höchsten Maße erregt:

»Wie heißt der Deutsche? Adler?«

»Yeah«, nickte McCord.