»Jacob Adler etwa?«
»Right. Aber ich verstehe nicht.«
»Und seine Begleiterin?« unterbrach die Frau in Schwarz den Captain. »Wie heißt sie? Irene Sommer?«
Wieder nickte McCord, mit einem ziemlich verblüfften Gesichtsausdruck.
»Kennen Sie die beiden?« schnappte er. »Also sind es doch Pinkertons!«
»Nein, keine Pinkertons«, stieß die Frau den angehaltenen Atem aus und ließ sich wieder ins Polster zurücksinken. »Es sind tatsächlich Auswanderer.«
»Aber woher kennen Sie ihre Namen, Senora?« wollte der Mexikaner wissen.
»Von früher«, lautete die vieldeutige Antwort. »Zwischen uns steht noch eine alte Rechnung offen.«
Sie wandte ihr verschleiertes Gesicht den beiden Männern zu und sagte:
»Ich denke, wir sollten jetzt zu Bett gehen. Vor uns liegt ein anstrengender und interessanter Tag.«
Don Emiliano nickte und wünschte der Senora eine gute Nacht, bevor er die Tür zum Gang aufzog. Die Zimmer von ihm und McCord lagen direkt neben dem der Frau.
Der Captain aber traf keine Anstalten, ihm zu folgen, sondern sagte mit Blick auf die Frau:
»Wir haben noch etwas zu besprechen.«
Der Mexikaner nickte verstehend und gab sich keine Mühe, das belustigte Zucken zu unterdrücken, das um seine Mundwinkel spielte. Er ging hinaus und schloß hinter sich die Tür.
McCord trat auf den Sessel zu und streifte seinen hellen, jetzt schmutzigen Rock ab.
»Nicht heute, Abel«, sagte die Frau, deren Stimme wieder die übliche Kälte ausstrahlte. »Ich muß über einiges nachdenken.«
»Jeder hat seine Bedürfnisse«, erwiderte der Südstaatler zweideutig.
Er stand jetzt hinter dem Sessel und ließ seine kräftigen Hände über die Schultern der Frau wandern, bis zu ihren Brüsten, wo sie besitzergreifend verharrten.
»Stehen Sie auf, Ma'am!« knurrte er in einer Mischung aus männlicher Begierde und militärischem Befehl.
Zögernd gehorchte die Frau und ließ es zu, daß McCord sie umdrehte und bäuchlings über den Sessel warf.
Seine Hände wanderte nach unten und hoben den Saum ihres Kleides hoch.
Als sie dasselbe mit den Unterröcken tun wollten, wirbelte die Frau herum und stieß ihn von sich.
»Das Licht!« keuchte sie, mehr erschrocken als erregt. »Sie haben das Licht vergessen, Abel!«
Unwillig blickte der Captain sie an.
»Muß das sein?« fragte er. »Warum lassen Sie es nur im Dunkeln zu?«
»Das geht Sie nichts an!«
»Wissen Sie, daß es ein verdammt merkwürdiges Gefühl ist, eine Frau zu lieben, von der man nicht ein einziges Stück Haut gesehen hat? Nicht einmal das Gesicht!«
»Sie können es auch bleiben lassen, Abel.«
»Ach? Ihnen liegt also nichts an mir?«
Die Frau überlegte. Sie würde Abel McCord auf dem Schiff vielleicht noch brauchen.
Auf Don Emiliano war nicht unbedingt Verlaß.
Die Mexikaner waren so wetterwendig wie die schmerzenden Narben der Frau, die sie bei jedem Witterungsumschwung peinigten.
Außerdem war der Don ihr gegenüber nicht so fügsam wie der Captain - weil er ihr im Gegensatz zu McCord nicht hörig war.
Sie kam zu dem Schluß, daß sie McCord noch benötigte. Zur Erfüllung ihrer geheimen Mission, aber auch ihrer persönlichen Rache an diesen deutschen Auswanderern, Jacob Adler und Irene Sommer. Es mußte eine Fügung des Schicksals sein, daß sie die beiden hier wiedertraf.
»Löschen Sie das Licht, Abel!« verlangte die Frau.
Seufzend befolgte McCord die Aufforderung, kam dann zu der Frau zurück und legte sie wieder über die Sessellehne.
Sie dachte an den bevorstehenden Tag, an das Wiedersehen mit den deutschen Auswanderern und an die verschiedenen Möglichkeiten, sich an ihnen zu rächen, während der Offizier wenig gefühlvoll, fast hart, in sie eindrang.
Und als sie schließlich, mit hochgeschobenen Röcken über dem Sessel liegend, doch einen Anflug von Lust verspürte, dachte sie dabei nicht an McCord. Wie immer, wenn sie mit dem Captain intim war, schwebte vor ihrem geistigen Auge das Gesicht des einzigen Mannes, dem jemals ihr Herz gehört hatte.
*
Der Mann, der in der nachmitternächtlichen Finsternis durch den rückwärtigen Teil des Fogerty Grand Hotels schlich, war auf den ersten Blick eine überaus komische Erscheinung. Von der in einem bommelbeschwerten Zipfel auslaufenden Schlafmütze über das viel zu weite Nachthemd bis zu den ausgetretenen Filzpantoffeln, in denen die nackten Füße steckten.
Gar nicht komisch war allerdings das verkniffene, alarmierte Gesicht des älteren Mannes.
Und komisch wirkte auch nicht die wuchtige doppelläufige Schrotflinte, die er angespannt vor sich hielt, während er die finsteren Gänge im Parterre durchquerte, die zu dem Teil des Hotels gehörte, der Gästen nicht zugänglich war. Hier lagen die Küche und die Vorratsräume.
Jefferson Kinley brauchte nicht viel Licht. Eigenhändig hatte er beim Bau seines Hotels mitgeholfen. Er kannte jede Ecke, jede Unebenheit im Boden.
Und er wußte, wohin er sich wenden mußte. Die seltsamen Geräusche, die ihn aus dem Schlaf gerissen hatten, wiesen ihm den Weg.
Mal war es ein Klopfen, dann wieder eine Art Sägen. Aber mitten in der Nacht arbeitete doch niemand, weder der Hufschmied noch der Büchsenmacher, nicht der Stellmacher und nicht der Böttcher.
Die Geräusche kamen vom Hinterhof des Hotels. Nein, als Kinley draußen stand zwischen alten Lieferkisten und mit Abfällen und Regenwasser gefüllten Fässern, erkannte der die Wahrheit. Sie kamen aus dem halbfertigen großen Anbau, der einmal sein eigener Mietstall werden sollte. Und jetzt bemerkte er auch das Licht, das durch die unverfugten Ritzen nach draußen drang.
Er schlich näher, geräuschlos. Mit den jeden Laut dämpfenden Pantoffeln fiel ihm das nicht schwer. Außerdem, wer immer im halbfertigen Mietstall wütete, bei dem Lärm würde er Kinley kaum hören.
Der Mietstall besaß zwei Eingänge. Eine große Doppelflügeltür zeigte zur Benson Street hinaus und war für Tiere und Wagen gedacht. Die kleine Seitentür, zum Hof und zum Hotel hin gelegen, war nur Menschen vorbehalten.
Der Hotelier stellte fest, daß die Hoftür nur angelehnt war. Vorsichtig schob er sie so weit auf, daß er sich gerade eben hindurchzwängen konnte. Mehrere Öllampen waren in dem großen Raum verteilt und tauchten ihn in gleichmäßiges Licht.
Kinley hörte ein lautes, schnelles Hämmern. Aber er sah nicht, wer oder was dieses Geräusch verursachte. Der große Stall schien menschenleer.
Aber das konnte nicht sein!
Er sah auf die Lampen. Jemand hatte sie aufgestellt, um bei seiner nächtlichen Tätigkeit, welcher Art auch immer sie sein mochte, genügend Licht zu haben.
Der Mann im Nachthemd glaubte zu erkennen, daß die Geräusche aus dem vorderen Stallteil kamen, der zur Benson Street führte. Er ging den Geräuschen nach, nutzte jeden Pfeiler als Deckung und hielt die schwere Doppelläufige stets schußbereit.
Dann fuhr er zusammen wie vom Blitz getroffen.
»Hier oben bin ich, Mr. Kinley.«
Als Kinley sich von dem Schreck erholt hatte, sprang er ungelenk hinter einen großen Stoß Bauholz und riß den Waffenlauf nach oben. Dorthin, von wo die überraschende Stimme gekommen war. Der Hotelier war so nervös, daß er beinah losgefeuert hätte, beide Läufe!
»Schießen Sie nicht, Sir«, bat der Mann, der mit nacktem Oberkörper rittlings auf einem Querbalken des Dachstuhls hockte und einen schweren Hammer in der Hand hielt. »Auf die Entfernung würde Ihr Schrot mich in viele kleine Teile reißen. Wäre schwer, die alle wieder zusammenzuklauben.«
Erstaunt blickte Kinley zu dem großen, muskulösen jungen Mann hinauf, der wiederum den Hotelier mit einem fast entschuldigendem Lächeln auf dem offenen Gesicht ansah. Der Mann mit dem Hammer hatte so schwer gearbeitet, daß ein dicker Schweißfilm seine Haut bedeckte. Das helle Haar klebte in der Stirn.