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»Mr. Adler«, stieß Kinley erstaunt hervor. »Was, zur Hölle, tun Sie hier?«

»Das sehen Sie doch, ich arbeite. Wie wir es abgemacht haben.«

»Aber mitten in der Nacht?«

»Miß Sommer und ich haben eine Passage auf der ALBANY ergattert, die morgen ausläuft. Sie haben uns Unterkunft und Verpflegung gewährt, Mr. Kinley. Dafür schulde ich Ihnen etwas.«

Jacob zeigte auf den Dachstuhl.

»Die Dachkonstruktion ist ziemlich wacklig. Ich versuche, ihr so viel Halt zu geben, daß Ihnen der Neubau nicht einstürzt, bis Sie einen neuen Zimmermann verpflichten können.«

Mit fassungslosem Gesicht ließ der Hotelier die Doppelläufige sinken.

»Ich habe ja schon gehört, daß ihr Deutschen ein fleißiges Völkchen seid. Aber daß ihr sogar die Nacht durcharbeitet!«

Er schüttelte den Kopf und meinte dann:

»Ich danke Ihnen für Ihren Einsatz, Mr. Adler. Aber sehen Sie zu, daß Sie noch ein paar Stunden Schlaf bekommen. Und schlafen Sie nicht da oben ein. Sie könnten herunterfallen und sich das Genick brechen. Oder schlimmer noch, Sie könnten Ihr Schiff versäumen!«

Als Kinley den Mietstall verließ, begleitete ihn erneutes Hämmern.

*

Jacob hämmerte schon wieder, als die Sonne ihre ersten blaßrosa Finger über das sanft gewellte Land jenseits der provisorischen Stadt aus grotesken Zeltkonstruktionen und windschiefen Hütten ausstreckte.

Wie die angrenzende Stadt der festen Häuser lag auch hier noch alles im tiefen Schlaf, Menschen wie Tiere. Um so lauter dröhnten die Schläge des jungen Deutschen.

Diesmal benutzte er die bloße Faust. Die dünne Brettertür der wackligen Hütte erbebte geradezu unter seinen Schlägen. Diese Iren schienen einen bombenfesten Schlaf zu haben.

Als Jacob zum erneuten Schlag gegen die schon arg malträtierte Tür ausholte, wurde sie plötzlich aufgerissen.

Zwei grimmige Gesichter starrten den Deutschen aus mühsam geöffneten Augen an. Gesichter, die nicht auseinanderzuhalten waren: Bartly und Gypo Connor.

»Verdammt, was wollen Sie mitten in der Nacht?« blies einer der beiden dem Zimmermann eine dicke Schnapsfahne ins Gesicht.

Aus der Gesprächigkeit des Mannes schloß Jacob, daß es sich um Bruder Bartly handelte.

»Erkennen Sie mich nicht, Mr. Connor?«

Die Rechte des Iren kratzte durch das nach allen Seiten abstehende rostbraune Haar, die Linke über das schmutzige, löchrige Unterhemd fast gleicher Farbgebung unter der rechten Achsel. Dieses Verhalten sollte anscheinend die Gehirntätigkeit von Bartly Connor ankurbeln.

Plötzlich aber begann er zu schwanken, eine Auswirkung der Schlaf- oder Alkoholtrunkenheit - oder von beidem. Er brauchte beide Hände, um sich am Türrahmen festzuhalten. Jacob hatte den Eindruck, daß dadurch die ganze Hütte wackelte.

»Beim Heiligen Patrick, das ist der Dutch von gestern!« trompetete Bartly Connor das Ergebnis seiner geistigen Bemühungen hinaus, und Bruder Gypo nickte bestätigend.

Jacob trat einen halben Schritt zurück, um der Gefahr zu entgehen, sich durch das bloße Einatmen von Bartly Connors Ausdünstungen einen Vollrausch einzuhandeln. Außerdem vermischte sich der Schnapsdunst trotz seiner Stärke mit körperlichen Gerüchen, die den Verdacht nährten, Bartly Connor hätte das in billigen Fusel umgesetzte Geld lieber in ein gutes Stück Seife investieren sollen.

»Wecken Sie Ihre Schwester und Ihren Neffen, Mr. Connor«, sagte der Deutsche. »In nicht ganz drei Stunden verläßt die ALBANY Fogerty in Richtung San Francisco.«

Die schläfrigen Augen des Iren zogen sich skeptisch zusammen.

»Was hat das mit uns zu tun?«

»Wir sind alle an Bord«, lächelte Jacob.

»Verdammter Hund!« brüllte Bartly Connor und stürzte sich mit ausgestreckten Armen auf den morgendlichen Besucher, die großen Hände zu gefährlichen Klauen geformt.

Der Ire war nicht langsam, aber seine alkoholbedingte schlechte körperliche Verfassung machte seine Bewegungen fahrig und vorhersehbar.

Jacob tauchte unter seinen Armen weg und machte einen Ausweichschritt zur Seite.

Bartly Connor streifte ihn nicht einmal. Der kräftige Ire torkelte an dem großen Deutschen vorbei und wurde von seinem eigenen Schwung in den Schmutz der breiigen braunen Masse gerissen, die nur unter großzügigster Verwendung des Begriffes als Straße zu bezeichnen war. Nächtlicher Regen hatte sie zusätzlich aufgeweicht.

Ein wenig mitleidig sah Jacob zu ihm hinab und wollte gerade seine Hand ausstrecken, um dem Gestürzten aufzuhelfen. Da verlor der Zimmermann den festen Boden unter den Füßen. Gleichzeitig hatte er das Gefühl, sein Oberkörper würde zerquetscht.

Gypo Connor war in stummer Entschlossenheit hinter den Deutschen getreten, hatte seinen Rumpf mit beiden Armen umschlungen, ihn vom Boden aufgehoben und versuchte nun, ihm sämtliche Rippen oder gar das Rückgrat zu brechen.

Jacob wehrte sich mit kräftigen Hieben gegen Kopf und Leib des Iren, aber seine unglückliche Stellung erlaubte keinen entscheidenden Treffer. Außerdem schien Gypo Connor ungefähr so schmerzempfindlich zu sein wie die Panzerplatte eines Kriegsschiffes.

Der schlammbesudelte Bruder Bartly stand ächzend auf und wankte mit geballten Fäusten auf Jacob zu.

»Laß mir noch was von dem Dutch übrig, Gypo«, knurrte er mit zorngerötetem Gesicht. »Ich will ihm mal kräftig die Nase in sein hübsches Gesicht drücken!«

Schon holte Bartlys Rechte zum Schlag auf, da keifte eine Frauenstimme:

»Schwager Bartly, Schwager Gypo, was stellt ihr schon wieder an?«

Die Witwe O'Faolain stand in der Türöffnung, die Hände in der schon bekannten Weise in die breiten Hüften gestützt, und blickte die drei Männer in einer Mischung aus Mißfallen und Verwunderung an.

»Mr. Adler«, sagte sie dann, als sie den Deutschen erkannte. »Was verschafft uns die Ehre Ihres Besuches?«

Der Druck durch Gypos Arme war so fest, daß Jacob kaum noch atmen konnte.

»Runterlassen«, keuchte er.

»Gypo, stell Mr. Adler sofort wieder hin!« befahl die stämmige Frau, die in etwas Wollenes gehüllt war, das man irgendwo zwischen Schlafrock und Decke ansiedeln mußte.

Der kräftige Ire gehorchte und gab in einem Anfall unerwarteter Gesprächigkeit einen Grunzlaut von sich. Jacob nahm an, daß es eine Mißfallensbekundung war. Vielleicht aber wollte der Mann sich auch bei seiner Schwägerin oder gar bei dem Deutschen entschuldigen.

Jacob war es letztlich gleich. Hauptsache, er konnte wieder frei atmen.

Vornübergebeugt, mit auf die Knie gestützten Händen, stand er da und sog die frische Morgenluft in tiefen Zügen in sich hinein. Dann richtete er sich langsam auf und betastete seinen Oberkörper, um zu prüfen, ob noch alle Knochen heil waren.

»Gypo hat Ihnen doch nicht weh getan, Mr. Adler?« fragte die Witwe O'Faolain besorgt.

»Wie kommen Sie darauf?« meinte Jacob und stellte erleichtert fest, daß trotz heftiger Schmerzen in seinem Brustkorb noch alles heil zu sein schien.

»Dann ist es ja nicht so schlimm«, befand die Frau und sah ihre Schwäger strafend an. »Trotzdem muß ich mich für euch wohl schämen, Schwager Bartly und Schwager Gypo. Wie könnt ihr den armen Mr. Adler nur so erschrecken?«

»Der Dutch wollte uns verhöhnen«, rief Bartly mit offener Empörung und schüttelte drohend seine noch immer zur Faust geballte Rechte in Jacobs Richtung. »Er sagte mir ins Gesicht, die ALBANY würde bald auslaufen und wir sollten uns deshalb beeilen.«

Katie O'Faolains Gesicht zeigte weiterhin Verärgerung. Aber jetzt schien sie Jacob zu gelten.

»Das ist wirklich kein feiner Zug von Ihnen, Mr. Adler«, sagte sie kopfschüttelnd. »Das hätte ich von Ihnen nicht gedacht. Dabei machen Sie einen so höflichen Eindruck.«

»Ich verstehe Sie nicht«, erwiderte Jacob. »Was habe ich getan?«

»Wir haben gestern abend bei der Auslosung keine Plätze auf der ALBANY erwischt«, erklärte die Frau. »Und jetzt kommen Sie und verspotten uns auch noch. Ich kann Schwager Bartly nur recht geben, das ist kein feiner Zug!«