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Immer wieder peitschten Sturmwinde das Schiff. Und Regenböen waren der Meinung, der Pazifische Ozean rings um den schlanken Segler sei noch nicht genug Wasser.

Die Passagiere sahen nichts als tiefgrauen Himmel und hellgraues Meer, wenn sie sich einmal an Deck wagten. Meistens dauerten diese Ausflüge nicht sehr lange und endeten damit, daß sich die Landratten weit über die Reling beugten, um ihren Gefühlen freien Lauf zu lassen.

Nach sieben Tagen Fahrt wurden die Menschen allmählich unruhig. Einige waren der Meinung, man müßte San Francisco endlich erreicht haben.

Kapitän Hansen ließ verlauten, das schlechte Wetter haben die Bark vom Kurs abgebracht, und der schwere Seegang behindere ihr Vorankommen.

»Komisch«, bemerkte Jacob zu Irene. »Ich hätte nicht gedacht, daß der alte Piet sein Schiff so aus dem Ruder laufen läßt.«

Der alte Piet?

Nein, das war Hansen ganz und gar nicht. Er benahm sich gegenüber Jacob und Irene fast wie ein Fremder. Wenn er fünf Worte mit ihnen wechselte, war das schon viel.

Arnold Schelp zeigte sich aufgeschlossener, gab aber nicht mehr als unverbindliche Plattitüden von sich.

Das Zusammenleben mit den O'Faolains und den Connors verlief unerwartet harmonisch und tröstete die beiden Deutschen über Piet Hansens Schweigsamkeit ein wenig hinweg.

Die anderen Kajütenpassagiere, die beiden Männer und die Frau in Schwarz, ließen sich kaum blicken. Ihr Essen nahmen sie in der eigenen Kajüte oder zusammen mit Schelp und Hansen in der des Kapitäns ein. Wenn die beiden Männer mal an Deck erschienen, blieben sie für sich oder hielten sich an Schelp und Hansen.

Nur einmal sah Jacob, der auf dem Vorderdeck stand und sich angeregt mit dem aus dem Westfälischen stammenden Schiffszimmermann unterhielt, die von Kopf bis Fuß schwarze Gestalt auf dem Achterdeck stehen. Er bildete sich ein, daß die Frau zu ihm herübersah. Aber wegen des Schleiers blieb das eine bloße Vermutung.

Jacob gab sich einen Ruck und durchmaß das Deck der ALBANY mit den schnellen, großen Schritten, die er sich angewöhnt hatte, als der junge Geselle Jacob Adler drei Jahre lang durch Deutschland streifte, um seine Fähigkeiten als Zimmermann bei verschiedenen Meistern in verschiedenen Städten zu vervollkommnen. Ohne Rücksicht auf gesellschaftliche Konventionen wollte er die Frau ansprechen und fragen, ob sie sich kannten.

Aber als er um den Rettungsbootsdavit neben dem Besanmast herum war, sah er die Frau nicht mehr. Wie ein Phantom hatte sie sich in Luft aufgelöst.

Dann erst fiel ihm ein, daß der Eingang zu ihrer Kajüte auf dem Achterdeck lag, direkt hinter dem Platz des Steuermanns, wo zur Zeit Joe Weisman stand.

War sie vor Jacob geflohen?

Jacob fragte Weisman nach der Frau und ihrem Namen.

Der schüttelte den Kopf, auf dem frühzeitig weiß gewordene Haare unter der zerknautschten Seemannsmütze hervorlugten.

»Ich habe keine Ahnung, wer das ist, Herr Adler«, antwortete der Zweite Steuermann der ALBANY in einem englisch gefärbten Deutsch. »Seit Schelp und die anderen an Bord sind, ist unser Käpten nicht mehr wiederzuerkennen. Als hätte etwas von ihm Besitz ergriffen und seine Seele umgestülpt.«

»Das sind düstere Worte«, sagte Jacob. »Können Sie die erläutern, Herr Weisman?«

»Nein.« Das leicht gerötete Gesicht des Zweiten Steuermannes verschloß sich. »Hansen ist mein Käpten.«

Das hieß, Weisman wollte nicht mehr sagen. Jacob drang nicht weiter in ihn. Er konnte den Steuermann verstehen.

Aber er machte sich Sorgen.

Wegen Hansen.

Und wegen der Frau in Schwarz.

*

Die Ratten, die in Scharen an Bord ihr Unwesen trieben, ängstigten die meisten Menschen oder riefen zumindest Ekel bei ihnen hervor.

Nicht so bei Timmy O'Faolain.

Nur große Tiere machten ihm angst. Solche wie der wilde Grizzly, der seinen Vater vor seinen Augen zerrissen hatte.

Kleine Tiere aber liebte der Junge, egal, welcher Art sie waren. Auch die Ratten.

Besonders eine hatte es ihm angetan, die er an ihrem schön gemusterten Fell erkannte. Helle Streifen zogen sich in gleichmäßigen Linien vom Kopf bis zu dem langen Schwanz. Timmy nannte sie deshalb die Gestreifte.

Der Junge verbrachte die Tage damit, der Gestreiften aufzulauern. Nicht um sie zu fangen oder ihr gar etwas anzutun. Seine Mutter hätte kein Verständnis für das Anschleppen einer Ratte aufgebracht, das wußte er. Schließlich hatte sie aus ihm unerfindlichen Gründen schon etwas gegen den Skunk gehabt, mit dem er sich in Fogerty fast angefreundet hätte.

Nein, Timmy war nur neugierig und wollte mehr über die Gestreifte herausfinden. Wie ein Forscher. Er verfolgte sie, machte ihre Schlupflöcher ausfindig und verfolgte sie wieder. Bis in den großen Laderaum im Bauch des Schiffes.

Die Luke stand offen, weil ein Maat hinabgestiegen war, um die Festigkeit der Frachtvertäuung und den Stand des eingedrungenen Wassers zu überprüfen.

Vorsichtig, damit ihn der Maat nicht bemerkte, schlich Timmy zwischen den Kisten hindurch. Aber die Gestreifte war schneller und tauchte in dem finsteren Gewirr unter.

Enttäuscht wollte Timmy umkehren. Etwas schepperte leise, als sein Fuß dagegenstieß. Ein kleiner, fast runder Gegenstand. Er hob ihn auf. Fast wie ein Münze, nur breiter und leichter. Vielleicht war es wertvoll. Eine Seite war glatt und leer, die andere beschriftet. Aber Timmy konnte die Schrift nicht lesen. Er konnte überhaupt nicht lesen.

Er ließ seinen Fund in die Hosentasche gleiten und schlich leise aus dem Laderaum.

*

Als Jacob, der sich mit Irene und Jamie an Deck die Beine vertreten hatte, in die Kajüte zurückkehrte, hielt die Witwe O'Faolain ihm Timmys Fund unter die Nase.

Irene war mit dem Kind noch oben geblieben. Sie wollte versuchen, endlich einmal ausführlich mit Piet Hansen zu sprechen, der am Ruder stand und ihr deshalb nicht so leicht entkommen konnte. Jacob ging nach unten. Möglicherweise hatte Irene mehr Erfolg bei Piet, wenn sie allein ihren Charme versprühte.

»Vielleicht ist das Deutsch?« fragte Katie O'Faolain zweifelnd, während Jacob die Plakette betrachtete. »Ich kann nicht sehr gut lesen, aber Englisch ist's bestimmt nicht.«

»Sie haben recht, Mrs. O'Faolain, das ist Deutsch!« stieß Jacob erregt hervor und las laut: »Wilger & Hartmann Waffen-& Sprengstoffwerke, Hamburg.«

Mit ernstem Gesicht sah er Timmy an und fragte:

»Und das hast du wirklich von ganz unten aus dem Laderaum?«

Der Junge nickte heftig und streckte den Zeigefinger in Richtung Fußboden.

»Was bedeutet das, Mr. Adler?« erkundigte sich die Mutter des Jungen.

»Wenn es stimmt, was ich vermute, jedenfalls nichts Gutes!« brummte Jacob und stürmte auch schon hinauf aufs Deck.

Irene stand, Jamie auf dem Arm, bei Piet Hansen am Steuerrad und plauderte offenbar ungezwungen mit ihm.

Jacob fuhr rüde dazwischen, zeigte die Plakette vor und fragte:

»Können Sie mir das erklären, Piet?«

Trotz des Bartes konnten Jacob und Irene sehen, wie Hansen erblaßte.

»Wo. wo hast du das her, Junge?« fragte er, vergeblich um Fassung ringend.

»Aus dem Laderaum, ganz tief unten.«

»Hast du etwa rumgeschnüffelt?«

»Ich denke, nicht ich sollte hier Fragen beantworten, Piet, sondern Sie«, blieb Jacob stur. »Und erzählen Sie mir nicht, diese Hamburger Waffenfabrik würde nebenbei Minenbaugeräte herstellen! Das paßt nämlich nicht in das Bild, das ich mir von Ihrem seltsamen Verhalten und den ebenso seltsamen Passagieren in der Nachbarkajüte gemacht habe.«

»Sie sind noch genauso scharfsinnig wie früher, Mr. Adler, mein Kompliment.«

Die Stimme einer Frau in seinem Rücken ließ Jacob herumfahren. Die Frau in Schwarz war aus der Kajüte gekommen und bedrohte ihn mit einem vierläufigen Derringer. Rechts und links von ihr standen ihre Begleiter. Die Waffen in ihren Händen waren größer und bestimmt nicht minder tödlich.