»So ist das also«, meinte der Corporal und nickte mit vorgetäuschtem Verständnis, während er seinem Kameraden verschwörerisch zuzwinkerte. »Dann bist du also eine Art Geheimkurier.«
»Genau!« stimmte Frankie Herbert zu, erleichtert darüber, daß ihn die Männer in Blau endlich zu verstehen schienen.
»Und für wen ist deine Nachricht bestimmt?«
»Das ist doch geheim!«
Verärgert stampfte der Junge mit dem Fuß auf. Offenbar verstanden die Soldaten ihn doch nicht.
»Aber nicht für uns«, lächelte der Corporal. »Wir sind Soldaten. Vor uns darf niemand Geheimnisse haben.« Er zeigte auf seinen gelben Winkel. »Sieh her, ich bin sogar Corporal.«
»Ist das so etwas wie Friedensrichter oder Bürgermeister?«
»Noch viel höher«, versicherte der Corporal, während er dem anderen Soldaten erneut zuzwinkerte. »Ein Friedensrichter und ein Bürgermeister werden von der Bevölkerung gewählt. Ich aber bin ernannt worden, und weißt du, von wem?«
»Nein, von wem?« fragte Frankie Herbert gespannt.
»Vom Präsidenten.«
»Von Lincoln?«
Der Corporal nickte.
So ganz gelogen war es nicht einmal. Als Soldat der Union war sein oberster Befehlshaber tatsächlich Abraham Lincoln. Nur hatte der Präsident im fernen Washington noch nie etwas von dem Corporal William Backleton aus der kleinen Garnison von Fogerty gehört.
»Dann kann ich es Ihnen ja sagen«, meinte Frankie Herbert erleichtert, nachdem er sein Staunen überwunden hatte. »Die Nachricht ist für Mr. Schelp.«
»Das ist doch dieser Dutch mit dem vielen Geld, der an Bord ist«, sagte Corporal Backleton zu seinem Kameraden, dem Gemeinen Fred Hickel.
»Woher weißt du, daß er viel Geld hat?« entgegnete Hickel.
»So, wie der rumläuft! Die Nachricht ist bestimmt von einem hübschen Girl, das er sich in der Stadt angelacht hat, um sich die Zeit zu vertreiben.«
»Du hast eine schmutzige Phantasie, Corporal«, lachte Hickel.
Doch der Junge nickte bekräftigend und sagte:
»Yes, Sir, eine Dame hat mir die Nachricht übergeben.«
»Eine Dame, hörst du?« fragte der Corporal belustigt. »Um was soll es auch sonst gehen, wenn es sehr geheim und persönlich ist?«
Er ließ den Jungen endlich los und sagte: »Also gut, überbring deine Nachricht, Großer. Wir wollen den Dutch-Gentleman doch nicht um sein Rendezvous bringen!«
Frankie Herbert verstand zwar längst nicht alles, was die beiden Soldaten miteinander redeten. Aber er verstand, daß er an Bord der ALBANY durfte. Das genügte ihm.
Freudig lief er über eine schmale Planke an Bord, wo er sich erneut zwei großen Männern gegenübersah. Seeleute diesmal, ohne Waffen, wenn man ihre kräftigen Arme außer acht ließ.
»Was willst du hier, Knirps?« fragte einer der beiden.
Da rief der Corporaclass="underline"
»Er hat eine Nachricht für euren Mr. Schelp.«
»Ja«, lachte der andere Soldat. »Sehr geheim und persönlich.«
Der Seemann nickte, sah den Jungen an und sagte:
»Komm mit!«
Er wandte sich um. Frankie Herbert folgte ihm durch die fremde Welt des Schiffsdecks. Er fühlte sich wie ein Kapitän auf großer Entdeckungsfahrt.
*
Die deutschen Auswanderer fuhren durch die von Menschen überfüllte Stadt, bis Jacob vor dem größten, alle anderen Häuser überragenden Gebäude anhielt. Es war aus Stein erbaut.
Ein Schild, das sich über die halbe Vorderfront zog, verkündete, daß es sich um das Fogerty Grand Hotel handelte.
»Wollen wir uns hier wirklich einquartieren, Jacob?« fragte Irene zweifelnd. »Du hast doch gehört, was die Witwe O'Faolain über die Zimmerpreise gesagt hat.«
»Fragen kostet nichts. Außerdem wollen wir ja nicht für ewig hier bleiben.«
Jacob stieg ab und ließ Irene mit Jamie auf dem Wagen zurück. Ein paar niedrige Stufen führten zur breiten, von zwei eingetopften kleinen Tannen gesäumten Doppelflügeltür hinauf.
Er öffnete einen Türflügel und betrat eine große, für seinen Geschmack ein wenig zu dunkle Empfangshalle. Es roch muffig. Bei näherem Hinsehen war die luxuriöse Einrichtung nicht mehr ganz so beeindruckend. Aus den zerschlissenen, teilweise aufgerissenen Polstern quoll schon die Füllung hervor.
In Hamburg oder gar in New York hätte dieses >Grand Hotel< wohl keinen Blumentopf gewonnen. Aber für Fogerty war es vermutlich eine kleine Sensation.
Er hatte den Empfangstresen noch nicht erreicht, da schlurfte schon ein älterer Mann mit hängenden Schultern aus einem verborgenen Raum nach vorn und musterte den Deutschen skeptisch.
Jacob konnte sich gut vorstellen, daß er auf den Mann einen zweifelhaften Eindruck machte. Die weite, anstrengende Reise hatte ihre Spuren an Jacobs Kleidern und an ihm selbst hinterlassen. Sein Gesicht und sein ganzer Körper waren noch ziemlich zerschunden von der gefährlichen Begegnung, die er und Irene mit den Nez-Perce-Indianern und den Siedlern von Greenbush gehabt hatten.
»Die billigsten Zimmer kosten drei Dollar pro Person und Nacht, Mister«, schnarrte der grauhaarige Mann hinter dem Tresen, bevor Jacob noch etwas sagen konnte. »Aber diese Zimmer sind nicht groß und nur sehr einfach ausgestattet.«
»Drei Dollar pro Person?« brummte der junge Deutsche unwillig und strich mit der Hand überlegend an seinem Kinn entlang. »Das ist ein ziemlich stolzer Preis, Sir.«
»Es ist der Preis.«
Jacob dachte an die Schiffspassage, die auch Geld kosten würde. Und daran, daß er und Irene nicht wußten, was sie in Kalifornien erwartete.
Gewiß, sie konnten den Wagen und die Pferde verkaufen. Aber dennoch war es ratsam zu sparen.
Ein paar weitere Nächte im Planwagen würden Irene und Jamie auch noch überstehen. Und Jacob war an das Schlafen unterm Sternenzelt seit seiner dreijährigen Walz durch Deutschland gewöhnt.
»Sir, ich danke Ihnen für die Auskunft«, sagte er enttäuscht. »Aber das ist zuviel für einen armen Zimmermann.«
Er drehte sich um und wollte die Empfangshalle verlassen, als die brüchige Stimme des älteren Mannes ihn zurückhielt:
»Warten Sie, Mister! Sagten Sie eben, Sie sind Zimmermann?«
Der Auswanderer wandte sich erneut zu ihm um und zeigte auf den goldenen Ring in seinem rechten Ohrläppchen.
»Ja, Sir. Dies hier ist bei uns in Deutschland das Zeichen meiner Zunft.«
»Das ist etwas anderes«, meinte der Graukopf interessiert und zeigte mit dem Daumen über seine Schulter. »Wir bauen hinten gerade einen großen Mietstall. Warum sollen wir das Geschäft anderen überlassen? Leider ist unser Zimmermann überraschend abgehauen. Goldfieber, wissen Sie. Wenn Sie für ihn einspringen, erhalten Sie ein Zimmer zum halben Preis, solange Sie für mich arbeiten. Ihr Deutsche sollt ja sehr fleißig sein. Übrigens, ich heiße Jefferson Kinley. Mir gehört das Hotel. Was sagen Sie zu meinem Angebot, Mister.«
Jacob nannte seinen Namen und meinte dann: »Das Angebot ist gut, aber nicht gut genug.«
»Was verlangen Sie?« erkundigte sich der Alte im geschäftsmäßigen Tonfall.
»Freies Logis und freie Verpflegung.«
»Sie ruinieren mich, Mr. Adler.«
»Bei Ihren Preisen bestimmt nicht.«
»Also gut«, seufzte Kinley, in sein Schicksal ergeben. »Freies Logis und freie Verpflegung.«
»Für mich und meine Begleitung, also zwei Zimmer.«
»Ihre Begleitung? Zwei Zimmer?«
Der Hotelier wirkte auf Jacob fast komisch, wie ein verwirrter Papagei.
»Eine junge Dame, die ich nach Kalifornien begleite. Sie benötigt natürlich ein eigenes Zimmer.«
Jacob wußte, daß er hoch pokerte. Aber er war fest entschlossen, es darauf ankommen zu lassen. Schließlich waren er und Irene auf das Grand Hotel, mochte das Wohnen hier gegenüber dem Übernachten im Wagen auch noch so angenehm sein, nicht angewiesen. Außerdem benahm sich Jefferson Kinley mit seinen Preisen auch nicht gerade wie ein barmherziger Samariter.