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»Eine junge Dame?« Kinley wirkte alarmiert und reckte das spitze Kinn vor. »Hören Sie, Mister, dies ist ein anständiges Hotel. Falls Sie meine übergroße Gutmütigkeit ausnutzen wollen, seien Sie gewarnt. Ich lasse nicht zu.«

»Sie denken falsch von Mrs. Sommer und mir«, fiel ihm Jacob ins Wort. »Mrs. Sommer ist eine anständige Frau. Sie ist mit ihrem kleinen Sohn unterwegs zu ihrem Mann.«

Eigentlich waren Irene und Carl Dilger nicht verheiratet. Jacob hätte folglich nicht von einer Mrs., sondern von Miß Sommer sprechen müssen. Aber angesichts der moralischen Verantwortung, die Jefferson Kinley offenbar für sein Haus fühlte, hielt er ein bißchen Flunkern für angebracht.

Außerdem wollten Irene und Carl ja heiraten; ein für Jacob schmerzlicher Gedanke.

»Wenn das so ist«, meinte der Hotelier unsicher. »Aber Sie erwähnten gerade ein Kind. Dann sind es also drei Personen?«

»Zahlen Kleinkinder bei Ihnen etwa auch drei Dollar pro Nacht?«

»Nein, die Hälfte. Aber ich will kooperativ sein. Die junge Dame zahlt den halben Preis, und ihr Kind darf umsonst wohnen.«

Jacob schüttelte entschlossen den Kopf und sagte mit fester Stimme:

»Freie Unterkunft und freie Verpflegung für uns alle drei, Mr. Kinley. Oder wir suchen uns einen anderen Platz!«

Der Hotelier sah den Auswanderer an wie ein von unerträglichen Schmerzen gepeinigter Mann.

»Sie ruinieren mich wirklich, Mr. Adler.«

Jacob grinste nur. Er spürte, daß er dieses Spiel gewonnen hatte.

»Na schön, na schön, ich schlage ein«, brummte Kinley, als er einsah, daß der Zimmermann nicht nachgeben würde. »Wann fangen Sie an zu arbeiten?«

»Sobald ich im Hafen gewesen bin und mich um eine Passage nach Kalifornien gekümmert habe.«

»So lange wollen Sie in Fogerty bleiben?«

Jacob nickte.

Der Hotelier rieb zufrieden seine Hände.

»Dann wird der Mietstall bestimmt bald fertig. Schiffspassagen nach Kalifornien sind hier so rar wie Negersklaven im Weißen Haus. Sie werden soviel Zeit haben, daß Sie eine ganze Stadt bauen können, Mr. Adler.«

»Führen Sie mich nicht in Versuchung, Sir«, grinste Jacob und ging nach draußen zu Irene und Jacob.

*

Piet Hansen und Arnold Schelp saßen in der Kapitänskajüte über den Resten des Mittagessens, das sie mit einem Bourbon begossen.

Der Kapitän war alles andere als wild darauf, mit dem Rothaarigen zu speisen. Arnold Schelp dagegen bestand auf dem gemeinsamen Essen, jeden Tag. Und leider mußte Hansen tun, was Schelp sagte.

Der rothaarige Geschäftsmann wollte gerade sein Bourbonglas nachfüllen, als heftig gegen die Tür geklopft wurde.

»Ja?« fragte Hansen, fast ein wenig erleichtert darüber, daß die ungeliebte Zweisamkeit mit Schelp unterbrochen wurde.

Es war einer der amerikanischen Seeleute aus der hauptsächlich aus Deutschen und Amerikanern bestehenden Mannschaft. In seiner Begleitung befand sich ein blondschöpfiger Junge.

»Der Knirps hier hat eine Nachricht für Mr. Schelp, Käpten«, wandte sich der Seemann ordnungsgemäß an den Kapitän.

Dieser wechselte einen kurzen Blick mit dem Rothaarigen. Beide dachten dasselbe: Der Junge brachte die Botschaft, auf die sie schon seit Tagen warteten!

»Ist gut«, nickte der Käpten. »Schick den Jungen herein und warte draußen!«

Zögernd ging Frankie Herbert auf den großen Tisch zu, nachdem der Seemann die Kajütentür hinter sich geschlossen hatte. Dies hier war wirklich eine fremde Welt. Die geräumige Kajüte wirkte auf den Jungen wie der Palast eines Königs.

Tatsächlich war die Kapitänskajüte für eine Bark wie die ALBANY sehr prunkvoll ausgestattet. Die Wände waren mit Bücherregalen und Gemälden bedeckt; letztere zeigten ausnahmslos Motive aus der Seefahrt. Die Vorhänge aus feinstem Samt vor dem großen Fenster waren an den Rändern mit Goldborten besetzt. Über dem Tisch hing ein Kronleuchter, der auch dem Salon eines großen Herrenhauses Ehre gemacht hätte.

Piet Hansen war weder im Luxus aufgewachsen, noch benötigte er ihn. Aber er hatte sich daran gewöhnt. Er hatte die Kajüte von seinem Vorgänger, dem alten Josiah Haskin, so übernommen, wie sie war. Natürlich störte der Luxus den Seebären auch nicht. Er hatte lange genug auf die ihm gebührende Kapitänsstellung verzichten müssen - mehr als zwanzig Jahre.

»Schlaf nicht ein, Junge!« ermahnte der Rothaarige den staunenden Frankie Herbert. »Wer schickt dich?«

»Eine Dame«, antwortete der Fleischersohn, als er vor dem reich gedeckten Tisch stand.

»Was für eine Dame?« fragte Schelp überrascht. »Wie heißt sie?«

»Das weiß ich nicht, sie ist neu in der Stadt. Sie wohnt im Hotel.«

»Im Grand Hotel?«

Frankie Herbert nickte eingeschüchtert. Was ihn ängstigte, war nicht so sehr die fremdartige Umgebung, sondern mehr der Mann mit den roten Haaren.

Es war ein seltsamer Mann. Er wirkte grob, fast wie ein Fleischer. Aber seine Kleidung war die eines feinen Pinkels -so nannte Frankies Vater die Honoratioren von Fogerty, die am Samstag höchstpersönlich in seinem Laden erschienen, um den Einkauf des Sonntagsbratens zu überwachen. Es paßte nicht zusammen.

»Wie sieht diese Dame denn aus?« forschte Schelp nach.

»Das weiß ich auch nicht.«

Ungeduldig schlug die große Hand des Rothaarigen auf den Tisch. Die Hand war grobporig wie sein Gesicht. Und sie war dicht behaart; die vielen Härchen schimmerten rötlich. Sie sah nicht aus wie die Hand eines feinen Mannes - der Grund, weshalb Schelp, außer beim Schlafen und Essen, fast immer Handschuhe trug.

»Was weißt du denn überhaupt?« rief Schelp verärgert. »Hast du nicht mit dieser Dame gesprochen?«

»Doch!«

»Weshalb kannst du dann nicht sagen, wie sie aussieht?«

»Schwarz.«

»Schwarz?«

Der Junge nickte eifrig.

»Ihre Kleidung ist ganz schwarz, und vor dem Gesicht trägt sie einen schwarzen Schleier.« Während er sprach, zog Frankie Herbert ein kleines Briefkuvert aus der Jackentasche. »Das soll ich Ihnen geben, Mr. Schelp.«

»Dann gib es mir!« verlangte der Rothaarige unwirsch und streckte eine seiner behaarten Pranken aus.

Aber der Junge legte das Kuvert nicht hinein, sondern sagte leise:

»Die Dame hat gesagt, Sie geben mir für den Brief einen Golddollar.«

»Gib mir den Brief, dann bekommst du deinen Dollar.«

»Haben Sie denn einen Golddollar, Sir?« fragte der Junge zweifelnd und dachte an das viele Gesindel, das sich zur Zeit in Fogerty herumtrieb. Sein Vater hatte ihn eindringlich vor Bettlern und Betrügern gewarnt.

»Willst du mich beleidigen?« brüllte Schelp.

Seine Rechte schnappte sich den stets griffbereiten Stock und hob ihn drohende zum Schlag.

Piet Hansen hielt Schelps Arm fest und sagte:

»Mäßigen Sie sich, Schelp! Sie als Geschäftsmann sollten die Vorsicht unseres Kuriers eigentlich zu würdigen wissen.«

Das Lächeln, das daraufhin über Schelps grobes Gesicht glitt, war nicht geeignet, Frankie Herberts Furcht vor dem seltsamen Mann zu mindern.

Wenigstens ließ dieser den Stock sinken, kramte etwas aus der Tasche seiner dunklen Weste und sagte:

»Sie haben recht, Käpten, wenn ich darüber nachdenke. Der Junge imponiert mir. So habe ich auch mal angefangen.«

Hoffentlich endet der Junge nicht so wie Schelp! schoß es durch Hansens Kopf.

»Hier, mein Sohn, nimm deinen Golddollar!«

Vorsichtig, nach der Hand mit dem Stock schielend, nahm Frankie Herbert das glänzende Geldstück entgegen und legte dafür den Brief in die behaarte Hand.

»Sollst du auf eine Antwort warten?« fragte Schelp.

»Nein, Sir.«

Schelp wandte sich an Hansen.

»Dann kann der Junge gehen.«