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Weder Vergils Leidenschaft noch seine Lebensweise ließen diese Art von gesättigter Gleichgültigkeit zu.

Es fiel ihm schwer, Candice als intellektuell tieferstehend zu sehen. Bisweilen zeigte sie sich annehmbar geistreich und aufmerksam, und dann war es lustig, mit ihr beisammen zu sein. Aber sie beschäftigte sich nicht mit denselben Dingen wie er. Candice glaubte an die Oberflächenwerte des Lebens — Äußerlichkeiten, Rituale, was andere Leute dachten und taten. Vergil hingegen kümmerte es wenig, was andere Leute dachten, solange sie nicht aktiv in seine Pläne eingriffen.

Candice akzeptierte und erfuhr. Vergil zündete und beobachtete.

Er beneidete sie. Wie sehr wünschte er sich eine Linderung der ständig mahlenden Gedanken und Pläne und Sorgen, der Verarbeitung von Information, um neue Einsichten zu gewinnen. Wie Candice zu sein, wäre eine Erholung.

Candice wiederum sah in ihm unzweifelhaft einen Anreger und Beweger. Sie führte ihr eigenes Leben, mit wenigen Plänen, ohne viel Nachdenken und ohne irgendwelche Skrupel… Gewissensbisse waren ihr so fremd wie selbstkritische Betrachtungen. Als es klargeworden war, daß dieser Anreger und Beweger arbeitslos war und wenig Hoffnung hatte, bald wieder eine Anstellung zu finden, war ihre Zuversicht davon seltsam unberührt geblieben. Vielleicht hatte sie, wie eine Katze, wenig Verständnis von diesen Dingen.

So schlief sie, wohlig erschöpft von ihren geschlechtlichen Aktivitäten, und er grübelte und durchlebte immer wieder die Geschehnisse bei Genetron, sorgte sich um die Implikationen, das zugegebenermaßen übereilte und unbedachte Injizieren seiner veränderten Lymphozyten in seinen Blutkreislauf, seine Unfähigkeit, sich auf die nächsten Schritte zu konzentrieren.

Er starrte zur dunklen Decke auf, dann kniff er die Augen zu, um die Phosphenmuster zu beobachten. Um den Effekt zu verstärken, führte er die Hände zu den Augen und drückte mit den Zeigefingern von außen gegen die Lider. Heute nacht konnte er sich jedoch nicht mit psychedelischen Augenlider- Filmen unterhalten. Nichts als warme Dunkelheit kam, untermalt von kurzen Lichterscheinungen, die so fern und unbestimmt waren wie Mündungsfeuer von einem anderen Kontinent.

Jenseits des Grübelns, doch hellwach, überließ er sich ziellos schweifenden Gedanken und einer Aufmerksamkeit, die kein besonderes Ziel hatte…

… bemüht, auf den Morgen zu warten…

Gedanken an alle verlorenen Dinge zu meiden und an alle kürzlich gewonnen, die verloren gehen könnten er ist nicht bereit und dennoch bewegt er und erschüttert noch als Verlierer. Am Sonntagmorgen der dritten Woche:

Candice reichte ihm eine Tasse heißen Kaffees. Sekundenlang starrte er darauf. Etwas stimmte nicht mit der Tasse und ihrer Hand. Er tastete nach der Brille, sie aufzusetzen, aber mit den Gläsern sah er auch nicht deutlicher, und seine Augen schmerzten. »Danke«, murmelte er, nahm ihr die Tasse ab und rückte im Bett aufwärts, bis er das Kopfkissen im Rücken hatte. Dabei verschüttete er ein wenig vom Kaffee auf die Laken.

»Was hast du heute vor?« fragte sie. (Die Zeitung nach Stellenangeboten durchforschen? Die Frage schien dahinterzustehen, aber Candice legte nie besonderen Wert auf Verantwortung und stellte keine Fragen nach seinen Geldmitteln.)

»Sehen, ob es Arbeit gibt, denke ich«, sagte er. Wieder blinzelte er durch die Brille und hielt sie dabei mit einer Hand an der Schläfe.

»Ich«, sagte sie, »werde eine Anzeige zum Büro bringen und an dem kleinen Gemüsestand unten an der Straße einkaufen. Dann werde ich mir eine Mahlzeit zubereiten und sie allein essen.«

Er schaute sie verdutzt an.

»Was hast du«, fragte sie.

Er nahm die Brille ab. »Warum allein?«

»Weil ich finde, daß du anfängst, mich für selbstverständlich zu halten. Das gefällt mir nicht. Ich spüre, daß du mich akzeptierst.«

»Was ist daran auszusetzen?«

»Nichts«, sagte sie in geduldigem Ton. Sie hatte sich zum Ausgehen angezogen und das Haar gekämmt, das ihr nun lang und schimmernd auf die Schultern hing. »Ich möchte einfach nicht das Gewürz verlieren.«

»Gewürz?«

»Sieh mal, jede Beziehung hat dann und wann nötig, daß das Kätzchen die Krallen zeigt. Ich fange an, dich als einen jederzeit verfügbaren jungen Hund zu sehen, und das ist nicht gut.«

»Nein«, sagte Vergil. Er schien zerstreut.

»Hast du letzte Nacht nicht geschlafen?« fragte sie.

»Nein«, sagte Vergil. »Nicht viel.« Er schaute verwirrt drein.

»Was gibt es sonst noch?«

»Ich sehe dich ganz deutlich«, sagte er.

»Siehst du? Du nimmst mich als gegeben hin.«

»Nein, ich meine… ohne Brille. Ich kann dich ohne Brille ganz deutlich sehen.«

»Na, wie schön für dich!« sagte Candice mit katzenhafter Sorglosigkeit. »Ich werde dich morgen anrufen. Sorge dich nicht.«

»O nein«, sagte Vergil und drückte sich die Fingerspitzen gegen die Schläfen.

Leise schloß sie die Tür hinter sich.

Er blickte im Zimmer umher.

Alles war wunderbar scharf. Er hatte seine Umgebung nicht mehr so klar gesehen, seit die Masern ihm in seinem siebten Jahr das Augenlicht geschädigt hatten.

Das war die erste Verbesserung, von der er überzeugt war, daß er sie nicht Candice zuschreiben konnte.

»Gewürz«, sagte er und zwinkerte zu den Gardinen.

6

Vergil hatte, so schien es ihm, Wochen in Büros wie diesem verbracht: beigefarbene Wände, graues Stahlmobiliar mit säuberlich geordneten Stößen von Papieren, Eingang-Ausgang- Körben und einem Mann oder einer Frau, die in höflichem Ton psychologisch effektvolle Fragen stellten. Diesmal war es eine Frau, üppig und gut gekleidet, mit einem freundlichen, geduldigen Gesicht. Vor ihr lag seine Bewerbung auf dem Tisch, und das Ergebnis eines psychologischen Tests. Er hatte längst gelernt, wie man derartige Tests bestand: Wollen sie eine Skizze haben, darfst du keine Augen oder scharfe, keilförmige Gegenstände zeichnen, sondern vielmehr Lebensmittel oder hübsche Frauen; deine Ziele mußt du immer in klaren, praktischen Begriffen darstellen, dir dabei aber eine Spur zuviel zumuten; zeige Einbildungskraft, aber keine überschäumende Phantasie.

Sie deutete mit einem Kopfnicken zu seinen Papieren und faßte ihn ins Auge. »Ihre Unterlagen sind bemerkenswert, Mr. Ulam. Zwar läßt Ihr akademischer Hintergrund ein wenig zu wünschen übrig, aber Ihre praktische Erfahrung könnte dies mehr als ausgleichen. Ich nehme an, Sie wissen schon, welche Fragen wir als nächstes stellen werden.«

Er machte große Augen, ganz Unschuld.

»In Ihrem Bewerbungsschreiben drücken Sie sich ein wenig vage darüber aus, was Sie für uns tun könnten, Mr. Ulam. Ich würde gern mehr darüber hören, wie Sie sich Ihre Mitarbeit in der Codonforschung vorstellen.«

Er blickte verstohlen auf seine Armbanduhr, nicht um sich der Stunde zu vergewissern, sondern des Datums. In einer Woche würde es nur noch wenig oder gar keine Hoffnung mehr geben, seine veränderten Lymphozyten zu bergen. Dies war seine letzte Chance.

»Ich bin qualifiziert für alle Arten von Laborarbeit, sei es in der Forschung oder zu kommerziellen Zwecken.

Codonforschung ist eng mit der Pharmazeutik verwandt, und das interessiert mich, aber ich glaube eher, daß ich Ihnen mit Biochip-Programmen helfen könnte, die Sie entwickeln.«

Die Augen der Personalchefin wurden um ein geringes schmaler. Dummes Zeug, dachte er. Die Codonforschung wird zwangsläufig in Biochips einsteigen.

»Wir arbeiten nicht an Biochips, Mr. Ulam. Immerhin, Ihre praktische Erfahrung auf Gebieten, die mit der Pharmazeutik verwandt sind, ist eindrucksvoll. Sie haben sehr viel mit Kulturen gearbeitet; mir scheint, Sie würden für eine Brauerei beinahe so wertvoll sein wie für uns.« Das war die verwässerte Version eines alten Scherzes unter den Züchtern von Bottichkulturen. Vergil lächelte.