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Keine dieser Annehmlichkeiten war unerwartet, wenn sie zu einem alten Haus in einer Kleinstadt gehörten. Aber dann erschien seine Mutter, schlank und graziös in fließender lavendelfarbener Seide und golden schimmernden hochhackigen Schuhen. Ihr rabenschwarzes Haar war an den Schläfen kaum angegraut, und als sie herauskam, die Lattentür öffnete und in den Sonnenschein hinaustrat, begrüßte sie Vergil mit einer reservierten Umarmung und führte ihn dann hinein durch die Diele, seine Hand im leichten Griff ihrer dünnen kühlen Finger.

Im Wohnzimmer setzte sie sich auf eine mit grauem Samt bezogene Chaiselongue. Ihr Seidengewand umgab sie wie mit welken Blütenblättern. Das Wohnzimmer paßte insofern zum Haus, als es mit Gegenständen möbliert war, die eine ältere Frau (nicht seine Mutter) im Laufe eines langen und mäßig interessanten Lebens um sich gesammelt haben mochte. Außer der Chaiselongue gab es eine prall gestopfte Couch mit blauem Blumendekor, einen in Messing gefaßten runden Tisch mit arabischen Sprichwörtern, die in konzentrischen Kreisen um abstrakt geometrische Ornamente angeordnet waren, Nachahmungen von Tiffany-Lampen in drei Winkeln, und in der vierten eine verwitterte chinesische Kwan-Yin-Statue, aus einem zwei Meter langen Teakholzstamm geschnitzt. Sein Vater — in allen Gesprächen einfach »Frank« genannt — hatte die Statue von einer Seereise mit der Handelsmarine aus Taiwan mitgebracht; sie hatte den dreijährigen Vergil halb zu Tode geängstigt.

Frank hatte sie beide in Texas verlassen, als Vergil zehn Jahre alt gewesen war. Sie waren dann nach Kalifornien gezogen. Seine Mutter hatte nicht wieder geheiratet und dies damit begründet, daß es ihre Optionen einschränken würde. Vergil war nicht einmal sicher, ob seine Eltern geschieden waren. Er erinnerte sich an seinen Vater als einen dunkelhaarigen Mann mit scharf geschnittenem Gesicht, scharfer Stimme, nicht tolerant und nicht intelligent, mit einem dröhnenden Lachen, das vornehmlich in Augenblicken der Verlegenheit und Unsicherheit hinausgeschmettert wurde. Noch jetzt konnte er sich nicht vorstellen, daß seine Eltern zusammen ins Bett gegangen sein, geschweige denn elf Jahre zusammengelebt haben konnten. Er hatte Frank nicht vermißt, außer in einer theoretischen Art und Weise, wie ein Junge einen Vater vermißt, der sich seiner Sorgen annehmen, ihm bei den Hausaufgaben helfen und eine Zuflucht sein konnte, wenn er Schwierigkeiten hatte, ein Kind zu sein. Diese Art von Vater hatte er immer vermißt.

»Also arbeitest du nicht«, sagte April und musterte ihren Sohn mit einem Ausdruck, der als gelinde besorgt ausgelegt werden konnte.

Vergil hatte seiner Mutter nichts von seiner Entlassung gesagt und stellte sich nicht einmal die Frage, wie sie davon wissen konnte. Sie war ihrem Mann intellektuell überlegen gewesen und konnte es an Schlagfertigkeit noch immer leicht mit ihrem Sohn aufnehmen, dem sie in praktischen und weltlichen Angelegenheiten ohnedies voraus war.

Er nickte. »Seit fünf Wochen.«

»Irgendwelche Aussichten?«

»Nicht besonders gute.«

»Man ließ dich zum eigenen Schaden gehen«, sagte sie.

»Zum eigenen großen Schaden, könnte man sagen.«

Sie lächelte; jetzt konnte das verbale Florettfechten beginnen. Ihr Sohn war sehr klug und konnte ungeachtet seiner anderen Fehler recht amüsant sein. Sie war nicht bekümmert, daß er keinen Arbeitsplatz hatte; das war einfach der Stand der Dinge, und er würde entweder untergehen oder schwimmen. In der Vergangenheit war ihr Sohn trotz seiner Schwierigkeiten immer an der Oberfläche geblieben, zwar mit viel Platschen und in schlechter Form, aber immerhin an der Oberfläche.

Seit er vor zehn Jahren ausgezogen war, hatte er sie nie um Geld gebeten.

»Und nun kommst du, zu sehen, was deine alte Mutter macht.«

»Was macht meine alte Mutter?«

»Sie steckt bis zum Hals drin, wie gewöhnlich«, sagte sie. »Sechs Freier im letzten Monat. Es ist eine Qual, alt zu sein und nicht danach auszusehen, Vergil.«

Er schmunzelte und schüttelte den Kopf, was sie, wie er wußte, erwartete. »Irgendwelche Aussichten?«

Sie winkte spöttisch ab. »Nie wieder. Kein Mann könnte Frank ersetzen, Gott sei Dank.«

»Sie warfen mich hinaus, weil ich auf eigene Faust Experimente machte«, sagte er. Sie nickte und fragte, ob er Tee oder Wein oder ein Bier wolle. »Ein Bier«, sagte er.

Sie wies mit einem Kopfnicken zur Küche. »Der Kühlschrank ist nicht zugesperrt.«

Er nahm ein Bier heraus und wischte das Kondenswasser mit dem Ärmel ab, als er es ins Wohnzimmer trug. Er setzte sich in einen breiten Lehnstuhl und tat einen langen Zug.

»Sie wußten deine Brillanz nicht zu schätzen?«

Er schüttelte den Kopf. »Niemand versteht mich, Mutter.«

Sie blickte über seine Schulter ins Leere und seufzte. »Ich jedenfalls nie. Rechnest du in nächster Zeit mit einer neuen Anstellung?«

»Das fragtest du bereits.«

»Ich dachte, eine Umformulierung würde vielleicht eine bessere Antwort erbringen.«

»Die Antwort ist die gleiche, und wenn du in Suaheli fragst. Ich habe es satt, für andere zu arbeiten.«

»Mein unglücklicher, ungeratener Sohn.«

»Mutter«, sagte Vergil, ein wenig gereizt.

»Was hast du getan?«

Er gab ihr einen kurzen Überblick, von dem sie außer den wichtigsten Punkten wenig verstand. »Also wolltest du hinter ihrem Rücken ein Geschäft machen.«

Er nickte. »Wenn ich nur einen Monat mehr gehabt hätte, und wenn Bernard es gesehen hätte… Dann wäre jetzt alles in Butter.« Bei seiner Mutter war er selten ausweichend. Es war praktisch unmöglich, sie zu schockieren; mit ihr Schritt zu halten, war schwierig genug, und sie zu täuschen, noch schwieriger.

»Und du wärst jetzt nicht hier und würdest deine gebrechliche alte Mutter besuchen.«

»Wahrscheinlich nicht«, sagte Vergil achselzuckend. »Außerdem gibt es ein Mädchen. Ich meine, eine Frau.«

»Wenn sie zuläßt, daß du sie ein Mädchen nennst, ist sie keine Frau.«

»Sie ist ziemlich unabhängig.« Er sprach eine Weile über Candice, über ihre dreisten Avancen am Anfang und ihre allmähliche Domestikation. »Ich gewöhne mich daran, sie um mich zu haben. Ich meine, wir leben nicht zusammen. Zur Zeit sind wir auf einer Art Wochenendbasis, um zu sehen, wie die Dinge sich entwickeln. In häuslichen Angelegenheiten bin ich kein Gewinn.« April nickte und bat ihn, ihr ein Bier zu holen. Er brachte eine ungeöffnete Flasche.

»So zäh sind meine Fingernägel nicht«, sagte sie.

»Oh.« Er ging zurück in die Küche und öffnete sie.

»Nun, wieso erwartetest du, daß ein großer Gehirnchirurg wie Bernard etwas für dich tun könne?«

»Er ist nicht bloß ein Neurochirurg. Er interessiert sich seit Jahre für AI.«

»AI?«

»Artifizielle Intelligenz.«

»Ah.« Sie lächelte verstehend. »Du bist arbeitslos«, sagte sie, »vielleicht verliebt, ohne Aussichten. Erfreue dein Mutterherz noch mehr. Was geht sonst noch vor?«

»Ich experimentiere an mir selbst, glaube ich«, sagte er.

Sie schaute ihn groß an. »Wie?«

»Na, diese Zellen, die ich veränderte. Ich mußte sie hinausschmuggeln, indem ich sie mir injizierte. Und seither habe ich keinen Zugang zu einem Labor oder einer Arztpraxis gehabt. Inzwischen werde ich sie nicht wiedergewinnen können.«

»Wiedergewinnen?«

»Sie von den anderen absondern. Es gibt Milliarden von weißen Blutkörperchen, Mutter.«