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»Ich verstehe nicht.«

Er zeigte zum Bildschirm. »Du hast es dir nie erklären lassen.«

»Du wirst ganz verrückt, und ich verstehe dich nicht«, sagte Candice mit bebenden Lippen.

»Es ist mehr, als ich je für möglich gehalten hätte.«

»Was, Vergil?«

»Die Verkettungen. Die Kombinationen. Die Macht.«

»Bitte, kannst du dich verständlich ausdrücken?«

»Ich bin gefangen. Verführt, aber schwerlich verlassen.«

»Ich habe dich nicht bloß verführt…«

»Nicht du, Süßes«, sagte er abwesend. »Nicht du.«

Candice näherte sich zögernd dem Schreibtisch, als ob der Bildschirm beißen könnte. Ihre Augen waren umflort, und sie nagte an der Unterlippe. »Schatz.«

Er notierte Zahlen vom unteren Rand des Bildschirms.

»Vergil.«

»Hmm?«

»Hast du in der Arbeit etwas getan, ich meine, bevor du dort aufhörtest, bevor wir uns kennenlernten?«

Er wandte den Kopf und blickte sie verständnislos an.

»Vielleicht mit den Computern? Warst du wütend und brachtest ihre Computerprogramme durcheinander?«

»Nein«, sagte er und grinste. »Ich brachte sie nicht durcheinander. Vielleicht drehte ich ein bißchen daran, aber sie werden es nicht merken.«

»Weil ich mal einen kannte, der etwas gegen das Gesetz tat und anfing, sich komisch zu benehmen. Er wollte nicht ausgehen, er mochte nicht viel reden, genau wie du.«

»Was hatte er getan?« fragte Vergil, immer noch Zahlen notierend.

»Er beraubte eine Bank.«

Der Bleistift hielt inne. Ihre Blicke trafen sich. Candice weinte.

»Ich liebte ihn und mußte ihn verlassen, als ich es erfuhr«, sagte sie. »Ich kann mit solch schlechten Dingen einfach nicht leben.«

»Keine Sorge!«

»Ich war vor ein paar Wochen schon drauf und dran, dich zu verlassen«, sagte sie. »Ich dachte, vielleicht hätten wir alles getan, was wir zusammen tun konnten. Aber es ist irgendwie verrückt. Ich habe nie jemanden wie dich gekannt. Du bist verrückt. Verrückt klug, nicht verrückt von irgendwelchen blödsinnigen Ideen, wie andere Kerle. Ich habe mir gedacht, daß es wirklich wundervoll sein würde, wenn wir einfach aufgelockerter miteinander sein könnten. Ich würde dir zuhören, wenn du etwas erklärst, vielleicht könntest du mir etwas von dieser Biologie und Elektronik beibringen.« Sie zeigte zum Bildschirm. »Ich würde mir Mühe geben zu verstehen, wirklich!«

Vergils Mund hing offen. Er klappte ihn zu und schaute zum Bildschirm, zögerte wie in momentaner Verwirrung.

»Ich habe mich in dich verliebt. Als du fort warst, deine Mutter zu besuchen. Ist das nicht unheimlich?«

»Candice…«

»Und wenn du etwas wirklich Schlimmes getan hast, dann verletzt es nicht bloß dich, sondern auch mich.« Sie trat einen Schritt zurück, die Faust unter dem Kinn, als wollte sie sich selbst schlagen.

»Ich möchte niemand verletzen«, sagte Vergil.

»Ich weiß. Du bist nicht böse.«

»Ich würde dir alles erklären, wenn ich selbst wüßte, was geschieht. Aber ich weiß es nicht. Ich habe nichts getan, wofür man mich ins Gefängnis stecken könnte. Nichts Illegales.« Abgesehen von der Manipulation seiner Personalakte.

»Du kannst mir nicht erzählen, daß alles in Ordnung sei. Etwas bedrückt dich, plagt dich. Warum können wir nicht einfach darüber reden?« Sie zog einen Faltstuhl aus dem Schrank und klappte ihn ein paar Schritte vom Schreibtisch entfernt auf und ließ sich darauf nieder, die Knie zusammengepreßt, die Füße auseinander.

»Ich sagte gerade, ich weiß nicht, was es ist.«

»Hast du… dir selbst etwas getan? Ich meine, hast du dir im Labor eine Krankheit geholt, oder was? Ich hörte, das sei möglich. Ärzte und Wissenschaftler arbeiten mit Krankheiten und stecken sich manchmal an.«

»Du und meine Mutter«, sagte er kopfschüttelnd.

»Wir machen uns Sorgen. Werde ich deine Mutter einmal kennenlernen?«

»In nächster Zeit wahrscheinlich nicht.«

»Es tut mir leid…« Sie schüttelte energisch den Kopf. »Ich wollte bloß offen mit dir reden.«

»Das ist schon in Ordnung«, sagte er.

»Ja?«

»Liebst du mich?«

»Ja«, sagte er und überraschte sich selbst damit, daß es sein Ernst war, wenn er den Blick auch nicht vom Bildschirm wandte.

»Warum?«

»Weil wir einander so ähnlich sind«, sagte er. Er war sich keineswegs darüber im klaren, wie er das meinte; vielleicht war ihnen beiden bestimmt, Versager zu sein, oder es jedenfalls nicht zu weit zu bringen — für Vergil war es das gleiche wie Versagen.

»Komm schon!«

»Wirklich. Vielleicht siehst du es bloß nicht.«

»Ich bin nicht so klug wie du, das ist sicher.«

»Manchmal ist es eine Qual, klug zu sein«, sagte er. Und er fragte sich, ob seine kleinen Lymphozyten vielleicht gerade dabei waren, dies herauszufinden: die Qual, klug zu sein, zu überleben…

»Können wir heute ein bißchen hinausfahren, irgendwohin, und ein Picknick machen? Von gestern abend ist noch kaltes Huhn da.«

Er notierte eine letzte Zahlenkolonne und begriff, daß er jetzt wußte, was er hatte wissen wollen. Die Lymphozyten konnten ihre Biologik an andere Zelltypen weitergeben. Also waren sie für die physiologischen Veränderungen verantwortlich, die er festgestellt hatte.

»Ja«, sagte er. »Ein Picknick wäre großartig.«

»Und dann, wenn wir zurückkommen… mit Beleuchtung?«

»Warum nicht?« Früher oder später würde sie es erfahren. Und er konnte sich zur Erklärung der Streifenmuster etwas ausdenken. Die Schwielen waren zurückgegangen, seit er mit der Lampenbestrahlung begonnen hatte. Er dankte Gott für kleine Vergünstigungen.

»Ich liebe dich«, sagte sie, noch immer auf dem Faltstuhl sitzend und ihn anblickend.

Er sammelte die Berechnungen und Niederschriften und schaltete den Computer aus. »Danke«, sagte er leise.

PROPHASE

Oktober-Dezember

9

Irvine, Kalifornien

Zwei Jahre waren vergangen, seit Edward Milligan Vergil zuletzt gesehen hatte. Edwards Erinnerung hatte kaum etwas mit dem gebräunten, lächelnden und gut gekleideten Herrn zu tun, der vor ihm stand. Sie hatten am Tag zuvor eine telefonische Verabredung zum Mittagessen getroffen und standen einander jetzt am Kantineneingang des neuen Medizinischen Zentrums Mount Freedom in lrvine gegenüber.

»Vergil?« Edward drückte ihm die Hand und ging um ihn herum, einen Ausdruck übertriebener Verwunderung im Gesicht. »Bist du es wirklich?«

»Gut, dich wiederzusehen, Edward.« Er erwiderte den Händedruck kräftig. Er hatte zwanzig bis fünfundzwanzig Pfund abgenommen, und was blieb, schien besser proportioniert. Als Medizinstudent war Vergil ein dicklicher junger Mann mit einem ungebärdigen Haarschopf und vorstehenden Zähnen gewesen, der im Studentenwohnheim Türdrücker verkabelt und unter Strom gesetzt hatte, der seinen Kommilitonen Punsch gegeben hatte, der ihren Urin blau färbte, und der es nie zu einer Verabredung mit einem Mädchen gebracht hatte, ausgenommen Eileen Termagant, die einige seiner körperlichen Merkmale mit ihm gemeinsam hatte und froh über jeden war, der ihr auch nur einen Funken Aufmerksamkeit schenkte.

»Du siehst phantastisch aus«, sagte Edward. »Hast du den Sommer in Cabo San Lucas verbracht?«

Sie stellten sich vor der Selbstbedienungstheke an und wählten ihre Speisen. »Die Bräune«, sagte Vergil und stellte einen Karton Milchkakao auf sein Tablett, »ist von drei Monaten Höhensonnenbestrahlung. Und meine Zähne habe ich korrigieren lassen, nachdem ich dich das letzte Mal sah.«