Выбрать главу

»Ich verstehe dich nicht, Vergil.« Edwards Stimme klang spröde, am Rand des Zorns. Er war müde, und alte Erinnerungen an Vergils Achtlosigkeit gegen andere stellten sich wieder ein; er war erschöpft, und Vergil leierte noch immer weiter, sagte nichts, was wirklich Sinn ergab.

Schließlich schlug Vergil mit der Faust auf die Tischkante. »Sie zwangen mich, es zu tun! Die gottverdammten Gene!«

»Warum, Vergil?«

»Damit sie sich nicht mehr auf uns verlassen müssen. Das höchste egoistische Gen. Die ganze Zeit überlege ich, daß die DNS bloß zu dem hinführte, was ich tat. Verstehst du? Jemand dazu verleiten, daß er ihr gibt, was sie wollte.«

»Das ist verrückt, Vergil.«

»Du hast nicht daran gearbeitet, du spürtest nicht, was ich spürte. Um zu tun, was ich tat, hätte es einer ganzen Forschungsgruppe bedurft, vielleicht sogar eines neuen Manhattan-Projekts. Ich bin intelligent, aber nicht so intelligent. Die Dinge regelten sich wie von selbst, alles fand seinen Platz. Es war zu einfach.«

Edward rieb sich die Augen. »Ich werde jetzt noch eine Blutprobe nehmen, und ich möchte Urin und eine Stuhlprobe.«

»Warum?«

»Damit ich feststellen kann, was mit dir vorgeht.«

»Das habe ich dir gerade gesagt.«

»Es ist hirnverbrannt.«

»Edward, du kannst den Bildschirm sehen. Ich trage keine Brille mehr, mein Rücken schmerzt nicht mehr, ich habe seit vier Monaten keine Allergie gehabt, und ich bin nicht krank gewesen. Früher hatte ich wegen der Allergien ständig Infektionen in den Nasenhöhlen. Keine Erkältungen, keine Infektionen, nichts. Ich habe mich niemals besser gefühlt.«

»Also sind in dir veränderte kluge Lymphozyten am Werk, finden Fehler und reparieren sie.«

Vergil nickte. »Und inzwischen ist jede Anhäufung von Zellen so klug wie du oder ich.«

»Du erwähntest vorher keine Anhäufungen.«

»Sie pflegten sich im Medium zusammenzuschließen. Vielleicht hundert oder zweihundert Zellen. Der Grund wurde mir nie klar. Jetzt scheint es offenkundig. Sie arbeiten zusammen.«

Edward starrte ihn an. »Ich bin sehr müde.«

»Ich sehe es so, daß ich abnahm, weil sie meinen Stoffwechsel verbesserten. Meine Knochen sind kräftiger, mein Rückgrat wurde umgebaut…«

»Dein Herz sieht anders aus.«

»Davon wußte ich nichts.« Er untersuchte das Bild aus der Nähe. »Mein Gott, ich meine, ich habe nicht alles verfolgen können, seit ich von Genetron wegging; ich habe vermutet und mich gesorgt. Du weißt nicht, welch eine Erleichterung es ist, mit jemandem, der es verstehen kann, darüber zu sprechen.«

»Ich verstehe es nicht.«

»Edward, die Beweise sind überwältigend. Ich dachte an das Fett. Sie können meine braunen Zellen vermehrt und meinen Stoffwechsel in Ordnung gebracht haben. Meine Eßgewohnheiten haben sich geändert. Aber sie sind noch nicht zu meinem Gehirn vorgedrungen.« Er tippte sich an den Kopf. »Sie verstehen alle Drüsenfunktionen und so weiter, aber sie haben nicht das große Gesamtbild, wenn du verstehst, was ich meine.«

Edward fühlte ihm den Puls und überprüfte seine Reflexe. »Ich glaube, wir sollten jetzt die Proben nehmen und es für heute genug sein lassen.«

»Und ich wollte nicht, daß sie in meine Haut kämen. Das machte mir wirklich Angst. Vor ein paar Nächten fing meine Haut an zu jucken und zu prickeln, und ich beschloß, etwas dagegen zu tun. Ich kaufte eine Quarzlampe. Ich wollte sie unter Kontrolle halten, für alle Fälle. Verstehst du? Angenommen, sie überwinden die Blut-Gehirn-Barriere und entdeckten, was es mit mir auf sich hat, mit der eigentlichen Funktion des Gehirns, der Persönlichkeit. Ich dachte mir, der Grund, daß sie in meine Haut wollten, sei die Einfachheit, Kommunikationsbahnen über die Oberfläche zu leiten. Viel einfacher als der Versuch, Kommunikationsbahnen durch Muskeln und Organe und das Gefäßsystem zu erhalten, viel direkter. Ich wechsle jetzt zwischen Höhensonnen- und Quarzlampenbestrahlungen. Das hält sie aus meiner Haut heraus, soweit ich es beurteilen kann. Und nun weißt du, warum ich hübsch braun bin.«

»Damit wirst du dir noch einen Hautkrebs einhandeln«, sagte Edward.

»Ich bin unbesorgt. Sie werden sich darum kümmern. Wie Polizei.«

»Gut.« Edward hob beide Hände in einer Geste der Resignation. »Ich habe dich untersucht. Du hast mir eine Geschichte erzählt, die ich nicht akzeptieren kann. Was, möchtest du, soll ich tun?«

»Ich bin nicht so unbekümmert, wie es scheint. Ich mache mir Sorgen, Edward. Ich würde gern eine bessere Methode finden, sie unter Kontrolle zu halten, bevor sie mein Gehirn entdecken. Ich meine — überleg einmal! Ihre Zahl muß mittlerweile Milliarden betragen, noch mehr, wenn sie andere Arten von Zellen umwandeln. Vielleicht Trillionen. Jede Zellanhäufung Intelligenz. Ich bin wahrscheinlich das intelligenteste Wesen auf der Erde, und sie haben noch nicht einmal angefangen, gemeinsam zu handeln. Ich möchte nicht, daß sie die Herrschaft übernehmen.« Er lachte unangenehm. »Daß sie mir die Seele stehlen, weißt du? Also denk dir eine Behandlung aus, die sie blockiert. Vielleicht können wir die kleinen Teufel aushungern. Denk einmal darüber nach! Und sag mir Bescheid!«

Er griff in die Hosentasche und gab Edward einen Zettel mit seiner Anschrift und Telefonnummer. Dann ging er an den Datenanschluß und löschte die Darstellung auf dem Bildschirm, löschte die gespeicherten Informationen der Untersuchung. »Nur du. Einstweilen kein anderer. Und bitte… beeil dich!«

Es war ein Uhr früh, als Vergil den Untersuchungsbereich verließ. Die Proben waren genommen. In der Eingangshalle verabschiedete sich Vergil mit einem Händedruck von Edward. Vergils Hand war feucht, nervös. »Sei vorsichtig mit den Proben«, sagte er. »Gib acht, daß du nichts davon einnimmst!«

Edward sah Vergil den Parkplatz überqueren und in seinen Volvo steigen. Dann wandte er sich langsam um und ging zurück zum Frankenstein-Flügel. Er goß einen Kubikzentimeter von Vergils Blut in eine Ampulle und mehrere Kubikzentimeter Urin in eine andere und tat beide in das Analysegerät für Gewebeproben und Serum. Am Morgen würde er die Resultate am Datenanschluß seines Büros abfragen können. Die Stuhlprobe erforderte manuelle Arbeit, aber das konnte warten; im Augenblick fühlte er sich mehr tot als lebendig. Es war zwei Uhr früh.

Er zog ein Feldbett heraus, löschte das Licht und legte sich in seinen Kleidern nieder. Er verabscheute es, im Krankenhaus zu schlafen. Wenn Gail am Morgen erwachte, würde sie im Telefon eine gespeicherte Nachricht vorfinden — eine Nachricht, aber keine Erklärung. Er fragte sich, was er ihr sagen sollte.

»Ich werde bloß sagen, daß es der gute alte Vergil war«, murmelte er.

10

Edward rasierte sich mit einem alten geraden Rasiermesser, das er für solche Notfälle in seiner Schreibtischschublade verwahrte, betrachtete sich im Spiegel des Umkleidezimmers für Ärzte und rieb sich kritisch die Wange. Er hatte das Rasiermesser während seiner Studentenzeit regelmäßig benutzt: eine Affektiertheit. Seit damals hatte sich selten eine Gelegenheit ergeben, und sein Gesicht zeigte es: drei Schritte, die er mit blutstillendem Stift und Zellstoff behandelt hatte. Er blickte auf die Armbanduhr. Die Batterie war im Begriff, sich zu verausgaben, und die Ziffern waren matt. Er schüttelte sie ärgerlich, und die Darstellung wurde klarer: 6.30 Uhr. Gail würde schon auf sein und die Vorbereitungen für die Schule treffen.

Er steckte zwei Vierteldollarstücke in den Münzautomaten des Aufenthaltsraums für Ärzte und fummelte mit den Bleistiften und Kugelschreibern in der Brusttasche, während er wartete.

»Hallo?«

»Gail, Edward. Ich liebe dich, und es tut mir leid.«