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»Ich bin nicht einmal sicher, worin das Problem besteht«, sagte Edward. Er war ausweichender als er wollte.

»Geheim?«

»Nein. Vielleicht. Aber unheimlich.«

»Ist er krank?«

Edward legte den Kopf schief und hob eine Hand: »Wer weiß?«

»Du willst es mir nicht sagen?«

»Nicht jetzt.« Edwards Lächeln, beschwichtigend gemeint, irritierte sie offensichtlich mehr, noch mehr. »Er bat mich darum, niemandem etwas zu sagen.«

»Könnte er dich in Schwierigkeiten bringen?«

Daran hatte er noch gar nicht gedacht. »Glaube ich nicht«, sagte er.

»Und um welche Zeit wirst du heute nacht zurückkommen?«

»So bald ich kann«, sagte er. Er streichelte ihr das Gesicht mit den Fingerspitzen. »Sei nicht böse«, bat er leise.

»O nein«, sagte sie mit Nachdruck. »Niemals das.«

Edward begann die Fahrt nach La Jolla in zwiespältiger Stimmung; wann immer er an Vergils Zustand dachte, hatte er das Gefühl, in ein anderes Universum einzutreten. Die Rollen waren vertauscht, und Edward hatte keine Ahnung, welchen Ausgang die Sache nehmen würde.

Er erreichte die Ausfahrt La Jolla und fuhr durch die Torrey Pines Road in die Stadt. Bescheidene und sehr kostspielige Einfamilienhäuser entlang den kurvenreichen und ansteigenden Straßen wetteiferten mit Reihenhäusern und mehrstöckigen Wohngebäuden um den verfügbaren Raum. Radfahrer und die allgegenwärtigen Jogger trugen bunte Trainingsanzüge, um die kühle Nachtluft abzuwehren. La Jolla war belebt von Spaziergängern und Sporttreibenden.

Ohne große Schwierigkeit fand er eine Parklücke und lenkte den Volkswagen hinein. Als er ausstieg und die Tür absperrte, roch er die Seeluft und überlegte, ob er und Gail sich einen Umzug leisten könnten. Die Miete würde sehr hoch sein, die Entfernung, die sie als Pendler täglich zu bewältigen hätten, weit. Er fand, daß ihm nicht soviel am Status lag. Immerhin, es war eine hübsche Gegend, und Vergils Adresse in der Pearl Street, obschon nicht die beste, welche die Stadt zu bieten hatte, war feiner als er sich leisten konnte, zumindest jetzt. Es war einfach Vergils Art, ohne viel eigenes Zutun an solche Gelegenheiten heranzukommen. Andererseits, dachte Edward, als er läutete, würde er gern auf Vergils Glück verzichten, wenn es bedeutete daß er alles andere würde mit in Kauf nehmen müssen.

Der Aufzug spielte einschmeichelnde Musik und zeigte kleine Hologrammclips, in denen Eigentumswohnungen zum Kauf angeboten, für verschiedene Produkte geworben und auf gesellschaftliche Ereignisse der nächsten Woche hingewiesen wurde. Im dritten Stock ging Edward durch einen Flur mit Barockmöbeln und Marmorkonsolen mit Spiegeln in vergoldeten Rahmen.

Vergil öffnete die Tür nach dem ersten Läuten und bat ihn herein. Er trug einen karierten Bademantel und Pantoffeln. Seine Finger spielten mit einer unangezündeten Pfeife, als er seinen Besucher ins Wohnzimmer führte und sich wortlos setzte.

»Du hast eine Infektion«, sagte Edward und zeigte ihm den Ausdruck.

»So?« Vergil überflog das Papier, dann legte er es auf die Glasplatte des Kaffeetisches.

»Das sagt die Maschine.«

»Ja, nun ist sie natürlich nicht für solch seltsame Fälle programmiert.«

»Vielleicht nicht, aber ich würde dir raten…«

»Ich weiß. Es tut mir leid, unhöflich zu sein, Edward, aber was kann ein Krankenhaus für mich tun? Eher würde ich einen Computer in einen Stall voller Höhlenmenschen tragen und verlangen, daß sie ihn richten. Diese Zahlen… sie zeigen zweifellos etwas, aber sind nicht imstande zu befinden, was es ist.«

Edward zog seinen Mantel aus. »Hör zu, du machst mir Sorgen.« Virgils Miene wandelte sich langsam zu einem Ausdruck seliger Inbrunst. Er blickte zur Decke auf und spitzte die Lippen.

»Wo ist Candice?«

»Ausgegangen. Wir kommen zur Zeit nicht allzu gut miteinander aus.«

»Sie weiß Bescheid?«

Vergil lächelte. »Wie könnte sie nicht Bescheid wissen? Sie sieht mich jeden Abend nackt.« Er wandte sich von Edward ab, als er das sagte. Edward hatte den bestimmten Eindruck, daß er log.

»Stehst du unter Drogen?«

Er schüttelte den Kopf, dann nickte er einmal, sehr langsam. »Ich lausche«, sagte er.

»Wem?«

»Ich weiß nicht. Geräuschen. Nein, nicht Geräuschen. Wie Musik. Das Herz, alle Adern, die Reibung des durch die Arterien fließenden Blutes. Aktivität. Musik im Blut.« Er betrachtete Edward mit kläglichem Ausdruck. »Welchen Vorwand hast du Gail eigentlich genannt?«

»Keinen. Ich sagte bloß, daß du in Schwierigkeiten seist und ich zu dir müsse.«

»Kannst du bleiben?«

»Nein.« Edward sah sich argwöhnisch um, hielt Ausschau nach Aschenbechern, nach Packen Papier.

»Ich habe keine Drogen genommen, Edward«, sagte Vergil. »Ich mag mich täuschen, aber ich glaube, etwas Großes geschieht. Ich glaube, sie entdecken, wer ich bin.«

Edward setzte sich Vergil gegenüber und faßte ihn aufmerksam ins Auge. Vergil schien es nicht zu bemerken. Irgendein innerer Vorgang nahm ihn gefangen.

»Hast du Kaffee?« fragte Edward. Vergil wies zur Küche. Edward ging hinaus, füllte einen Topf mit Wasser, stellte ihn auf den Herd und fand ein Glas Pulverkaffee im vierten Schrankfach, das er durchsuchte. Die Tasse in der Hand, kehrte er zu seinem Platz zurück. Vergil reckte und drehte den Kopf vor und zurück. Seine Augen waren weit geöffnet.

»Du wußtest immer, was du sein wolltest?« fragte er Edward.

»Mehr oder weniger.«

»Kluge Schritte. Ein Gynäkologe. Niemals falsche Entscheidungen. Ich war anders. Ich hatte Ziele, aber keine Richtung. Wie eine Landkarte ohne Straßen, nur Orte, dort zu sein. Ich gab keinen Furz für irgendwas oder irgendwen. Nicht einmal für die Wissenschaft. Bloß als Mittel zum Zweck. Ich bin überrascht, daß ich soweit gekommen bin.« Er umfaßte die Armlehnen. »Was Mutter betrifft…« Die Spannung in seinen Händen war eindeutig. »Hexe! Eine Hexe und ein Gespenst als Eltern! Das Kind als Wechselbalg. Wo kleine Dinge große Veränderungen bewirken.«

»Stimmt was nicht?«

»Sie sprechen zu mir, Edward.« Er schloß die Augen.

»Großer Gott!« Er wußte nicht, was er sonst denken oder sagen sollte. Er dachte verzweifelt an einen Jux, und daß er zum Narren gehalten wurde, und daß Vergil in der Vergangenheit unzuverlässig und zu Streichen aufgelegt war, aber er konnte sich den harten Tatsachen, die das Diagnosegerät ihm gezeigt hatte, nicht verschließen.

Eine Viertelstunde lang schien Vergil zu schlafen. Edward fühlte ihm den Puls, der kräftig und gleichmäßig war, legte ihm die Hand an die Stirn, die sich etwas kühl anfühlte, und bereitete sich mehr Kaffee. Er war im Begriff, den Telefonhörer abzunehmen, unschlüssig, ob er ein Krankenhaus oder Gail anrufen solle, als Vergils Augenlider sich blinzelnd öffneten und er Edward ins Auge blickte.

»Schwierig zu begreifen, was der Zeitbegriff für sie ist«, sagte er. »Sie haben vielleicht drei, vier Tage benötigt, um der Sprache und anderen menschlichen Schlüsselbegriffen auf den Grund zu gehen. Kannst du dir das vorstellen, Edward? Sie wußten nichts davon, sie dachten, ich sei das Universum. Aber jetzt sind sie darauf gekommen. Auf mich. Gerade jetzt.« Er stand auf und ging über den beigefarbenen Teppich zum Fenster, wo er ungeschickt hinter den zugezogenen Vorhängen nach der Kordel tastete, sie schließlich fand und zog. Ein paar Lichter anderer Häuser und Wohnungen blinzelten aus dem Abgrund der Nacht herein. »Sie müssen Tausende von Forschern haben, die sich an meine Neuronen angeschlossen haben. Sie sind verdammt tüchtig, kann ich dir sagen, sonst hätten sie mir den Verstand verwirrt. So feinfühlig machen sie ihre Veränderungen.«

»Das Krankenhaus«, sagte Edward heiser. Er räusperte sich. »Bitte, Vergil. Jetzt.«

»Was, zum Teufel, kann ein Krankenhaus tun? Hast du dir eine Methode ausgedacht, die Zellen unter Kontrolle zu bringen? Schließlich sind es meine eigenen. Schadest du ihnen, so schadest du mir.«