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Tiefes Schweigen.

Edward fuhr zum Museum für Moderne Kunst in La Jolla und ging über die Betonfläche zu einem Münzfernsprecher bei einem bronzenen Trinkbrunnen. Vom Ozean trieb Nebel herein, verhüllte die gelbbraun verputzten spanischen Umrisse der Kirche St. James und schlug sich in feinen Tautropfen auf die Blätter der Bäume nieder. Er steckte seine Kreditkarte in den Fernsprecher und verlangte die Nummer von Genetron. Die mechanische Stimme ließ ihn nicht lange warten, und er wählte durch.

»Bitte verbinden Sie mich mit Dr. Michael Bernard«, sagte er.

»Wer ist am Apparat, bitte?«

»Dies ist sein Anrufbeantwortungsdienst. Wir haben einen Notruf und sein Signalgerät scheint nicht zu arbeiten.«

Ein paar in Sorge verbrachte Minuten später meldete sich Bernard. »Wer, zum Teufel, ist am Apparat?« fragte er mit gedämpfter Stimme. »Ich habe keinen Anrufbeantwortungsdienst.«

»Mein Name ist Edward Milligan. Ich bin ein Freund von Vergil Ulam. Ich glaube, wir haben ein Problem zu besprechen.«

Am anderen Ende blieb es lange still. »Sie sind am Mount Freedom-Krankenhaus, Dr. Milligan?«

»Ja.«

»Sind Sie jetzt dort?«

»Nein.«

»Ich kann mich heute nicht mit Ihnen treffen. Würde Ihnen morgen früh passen?«

Edward dachte an die weite Fahrt, an verlorene Zeit und an Gail, die sich Sorgen machte. Das alles schien jetzt trivial. Er bejahte.

»Gut. Also neun Uhr, bei Genetron. 60895 Torrey Pines Road.«

»Gut.«

Edward ging durch den grauen Nebelmorgen zurück zu seinem Wagen. Als er die Tür öffnete und sich in den Sitz fallen ließ, kam ihm ein Gedanke. Candice war letzte Nacht nicht nach Haus gekommen.

Sie war am Morgen in der Wohnung gewesen. Vergil hatte ihn über ihren Aufenthalt belogen, soviel war ihm jetzt klar. Was für eine Rolle spielte sie? Und wo war sie?

12

Gail fand Edward in unruhigem Schlaf auf der Couch. Draußen pfiff ein winterlich kalter Wind. Sie setzte sich zu ihm und streichelte ihm den Arm, bis er die Augen aufschlug.

»Hallo«, sagte sie.

»Selber hallo.« Er zwinkerte und blickte umher. »Wie spät ist es?«

»Ich bin gerade heimgekommen.«

»Halb fünf. Gott. Habe ich geschlafen?«

»Ich war nicht hier«, sagte Gail. »Hast du?«

»Ich bin immer noch müde.«

»Also, was hat Vergil diesmal angestellt?«

Edwards Gesicht wurde zu einer gleichmütigen Maske. Er faßte ihr mit dem Zeigefinger unters Kinn und streichelte es — »Kinnkratzen« nannte sie es und fand es ein wenig anstößig, als ob sie eine Katze wäre.

»Etwas ist faul«, sagte sie. »Willst du es mir sagen, oder einfach so tun, als ob alles normal und in Ordnung wäre?«

»Ich weiß nicht, was ich dir sagen soll«, erwiderte Edward.

»Ach du lieber Gott«, seufzte Gail und stand auf. »Du wirst dich wegen dieser Baker-Frau von mir scheiden lassen.« Mrs. Baker wog dreihundert Pfund und hatte bis zu ihrem fünften Monat nicht gewußt, daß sie schwanger war.

»Nein«, sagte Edward lustlos.

»Große Erleichterung.« Sie berührte leicht seine Stirn. »Du weißt, daß diese Art von Insichgekehrtheit mich verrückt macht.«

»Nun, ich kann nicht darüber sprechen, also…« Er nahm ihre Hand in die seine und tätschelte sie.

»Das ist abscheulich herablassend«, sagte sie. »Ich werde Tee kochen. Willst du welchen?« Er nickte, und sie ging in die Küche.

Warum nicht einfach alles sagen? fragte er sich. Ein alter Freund verwandelte sich in eine Galaxis.

Statt dessen räumte er den Tisch ab.

Am Abend, unfähig zu schlafen, saß Edward aufrecht im Bett, das Kissen im Rücken, blickte auf Gail hinab und versuchte zu bestimmen, was zur Realität gehörte, und was nicht.

Ich bin Arzt, sagte er sich. Ein technischer, wissenschaftlicher Beruf. Sollte gegen Phänomene wie Zukunftsschock immun sein.

Vergil Ulam verwandelte sich in eine Galaxis.

Wie fühlte es sich an, mit einer Billion Chinesen vollgestopft zu sein? Er lächelte im Dunkeln, und hätte gleichzeitig weinen mögen. Was Vergil in sich hatte, war unvorstellbar fremdartiger als Chinesen. Fremdartiger als alles, was Edward oder Vergil selbst ohne weiteres verstehen konnten.

Welche Psychologie oder Persönlichkeit würde eine Zelle entwickeln — oder eine Ansammlung von Zellen? Er versuchte sich seiner Grundkenntnisse über Zellumgebungen im menschlichen Körper zu erinnern. Blut, Gewebe, Körperflüssigkeit, cerebrospinale Flüssigkeit… Ein Organismus von menschlicher Komplexität müßte in solch einer Umgebung vor Langeweile verrückt werden. Die Umgebung war einfach, die Anforderungen relativ einfach, und die Verhaltensebenen waren Zellen angemessen, nicht Menschen. Auf der anderen Seite mochte Streß der Hauptfaktor sein — die Umgebung war körpereigenen Zellen wohltätig, aber fremden Zellen feindlich.

Wenn er auch nicht wußte, was notwendigerweise real war, so wußte er doch, worauf es ankam: auf das Schlafzimmer, den Schein der Straßenbeleuchtung und die Schatten der Bäume auf den Vorhängen, die schlafende Gail.

Das war sehr wichtig. Gail in ruhigem Schlaf.

Er dachte an Vergil, wie er die Petrischalen mit veränderten E. coli sterilisierte. Die Flasche mit veränderten Lymphozyten. Tragisches Geschick, Milliarden von potentiellen Genies, vernichtet in einem alles umfassenden Untergang. Mord? Völkermord?

Es gab keine Schranken zwischen Schlafen und Wachen. Er betrachtete das Fenster, und die Lichter der Stadt funkelten durch, als die Vorhänge sich öffneten. Sie hätten geradesogut in New York wohnen können (in Erwine waren die Nächte niemals so hell illuminiert), oder in Chikago; er hatte zwei Jahre in Chikago gelebt und das Fenster zerbrach geräuschlos, das Glas schälte sich zurück und fiel auseinander. Die Stadt kroch zum Fenster herein, ein riesiger, stachliger, beleuchteter Einbrecher, der in einer Sprache knurrte, die er nicht verstehen konnte, gemacht aus Autohupen, den Lärm von Menschenmengen und Baumaschinen. Er versuchte ihn abzuwehren, aber er erreichte Gail und verwandelte sich in einen Schauer von Lichtfunken, der über das Bett niederging, über das ganze Zimmer.

Er schrak auf, als die Fenster unter einem Windstoß klapperten. Es war besser, dachte er bei sich, nicht zu schlafen, und blieb wach, bis es Zeit war, aufzustehen und sich mit Gail anzuziehen. Als sie zur Schule ging, küßte er sie mit Inbrunst, genoß die Wirklichkeit ihrer menschlichen, unverletzten Lippen.

Dann machte er die lange Fahrt zur Torrey Pines Road, vorbei am Salk Institute mit seiner sparsamen Betonarchitektur, vorüber an Dutzenden neuer und wiederauferstandener Forschungszentren, die Enzyme Valley ausmachten, umgeben von Eukalyptusbäumen und den neuen, raschwüchsigen Koniferenhybriden, deren Vorfahren der Straße ihren Namen gegeben hatten.

Die schwarze Tafel mit der roten Antiquaschrift erhob sich auf ihrem mit koreanischem Gras bewachsenen Hügel. Die Gebäude dahinter folgten der Mode kastenförmiger einfacher Betonoberflächen; selbst der ominöse schwarze Würfel, wo militärische Forschung betrieben wurde, machte nur in Farbe und Material eine Ausnahme.

Am Eingang trat ein dünner, drahtiger Mann in dunkelblauer Uniform aus seinem Wachhaus und beugte sich zum Fenster des Volkswagens. Er musterte Edward mit einem hochmütigen Blick. »In welcher Angelegenheit, Sir?«

»Ich bin mit Dr. Bernard verabredet.«

Der Wachmann verlangte seinen Ausweis. Edward zog die Brieftasche und gab ihm seinen Paß. Der Wachmann ging damit in sein Häuschen und verbrachte einige Zeit am Telefon, während er den Paß durchblätterte. Er brachte ihn zurück und sagte, immer noch in seiner hochmütigen Art: »Es gibt keinen Besucherparkplatz. Stellen Sie Ihren Wagen auf Platz einunddreißig, das ist hinter dieser Kurve und auf der anderen Seite des Bürotraktes, Westflügel. Benutzen Sie nur den Haupteingang zum Bürotrakt.«