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Das war verdammt naiv.

Was Vergil getan hatte, war in der Wissenschaft das größte Ding seit…

Seit wann? Es gab keine Vergleiche. Vergil Ulam war ein Gott geworden. In seinem Körper trug er Hunderte von Milliarden von intelligenten Wesen.

Die Vorstellung war ihm unerträglich. »Reaktionärer Maschinenstürmer«, murmelte er anklagend zu sich selbst.

Vergils Stimme meldete sich schon nach dem ersten Läuten. »Ja?« sagte er in einem sehr frischen, munteren Ton.

»Edward.«

»He, Edward! Komm nur herein! Ich nehme gerade ein Bad. Die Tür ist aufgesperrt.«

Edward betrat Vergils Wohnung und ging durch den Korridor zum Badezimmer. Vergil war in der Wanne, lag bis zum Hals in rosa gefärbtem Wasser. Er lächelte unbestimmt zu Edward und platschte mit den Händen. »Sieht aus, als hätte ich mir die Pulsadern aufgeschnitten, wie?« sagte er. Seine Stimme war ein glückliches Flüstern. »Sei unbesorgt. Alles ist jetzt gut. Genetron kommt herüber, um mich wieder einzustellen. Bernard und Harrison und die Laborleute, alle in einem Kleinbus.« Blasse Schwielen durchzogen kreuz und quer sein Gesicht, und seine Hände waren bedeckt mit weißen Beulen.

»Ich sprach erst heute vormittag mit Bernard«, sagte Edward. Er war perplex.

»He, sie riefen gerade an«, sagte Vergil und zeigte zu seinem Badezimmer-Telefonanschluß. »Ich bin seit einer Stunde hier drin, seit anderthalb Stunden. Einweichen erleichtert das Nachdenken.«

Edward setzte sich auf die Toilette. Die Quarzlampe stand auf dem Wäscheschrank.

»Bist du sicher, daß du zu Genetron zurück willst?« fragte Edward. Er ließ die Schultern hängen.

»Ja. Ich bin sicher«, sagte Vergil. »Wiedervereinigung. Die Heimkehr des verlorenen Sohnes, der nicht so verloren war. Aber der Vergleich hinkt. Schließlich kehre ich nicht reumütig zurück, sondern ich werde es stilvoll tun. Von nun an soll alles stilvoll sein.«

Das rosafarbene Wasser sah nicht wie Seife aus. »Ist das ein Schaumbad, ein Badezusatz?« fragte Edward. Plötzlich kam ihm ein anderer Gedanke und hinterließ ein flaues Gefühl im Magen.

»Nein«, sagte Vergil. »Es kommt von meiner Haut. Sie sagen mir nicht alles, aber ich bin der Meinung, daß sie Kundschafter aussenden. He! Astronauten! Ja. Sie verlassen die Heimatgalaxis.« Er blickte mit einem Ausdruck zu Edward auf, der nicht ganz in Besorgnis überging; eher wie Neugierde, was Edward dazu sagen würde.

Edwards Magen zog sich zusammen, als warte er auf einen zweiten Schlag. Er hatte die Möglichkeit bisher niemals ernsthaft in Betracht gezogen, jedenfalls nicht bewußt. Vielleicht weil er sich allzu sehr auf die Frage der Akzeptanz und mehr unmittelbare Probleme konzentriert hatte. »Ist dies das erste Mal?«

Vergil bejahte lachend. »Ich habe gute Lust, die kleinen Teufel durch den Abfluß zu lassen. Sollen sie nur herausfinden, wie die Welt wirklich beschaffen ist.«

»Sie würden sich überall ausbreiten«, sagte Edward.

»Sicherlich.«

Edward nickte. Sicherlich. »Du hast mich nie mit Candice bekannt gemacht«, sagte er.

Vergil schüttelte den Kopf. »Ja, das stimmt.« Mehr nicht.

»Wie… wie fühlst du dich?«

»Gerade jetzt fühle ich mich ziemlich gut. Müssen Milliarden von ihnen im Badewasser sein.« Wieder platschte er mit den Händen. »Was meinst du? Sollte ich die kleinen Schwerenöter hinauslassen?«

»Ich brauche was zu trinken«, sagte Edward.

»Candice hat etwas Whiskey im Küchenschrank.«

Edward kniete neben der Badewanne nieder. Vergil betrachtete ihn neugierig. »Was sollen wir tun?« fragte Edward.

Vergils Gesichtsausdruck wechselte mit erschreckender Plötzlichkeit von wachem Interesse zu einer Trauermaske. »Mein Gott, Edward, meine Mutter — weißt du, sie kommen, mich zurückzuholen, aber sie sagte… ich sollte sie anrufen. Mit ihr reden.« Tränen kullerten über die Schwielen und Beulen, die seine Wangen deformierten. »Sie sagte mir, ich solle zu ihr zurückkommen, wenn… wenn es Zeit sei. Ist es Zeit, Edward?«

»Ja«, sagte Edward. Er fühlte sich wie aufgehängt in einer von Funken durchschossenen Wolke. »Ich glaube, es muß sein.« Seine Finger schlossen sich um das Kabel der Quarzlampe und folgten seiner Länge bis zum Stecker.

Vergil hatte Türklinken elektrisiert, seiner Kommilitonen Urin blau gefärbt, tausend handfeste Streiche verübt und war dabei nie erwachsen geworden, nie ausreichend gereift, um zu verstehen, wie brillant er war, was er bewirken konnte und welche Verantwortlichkeit ihm damit zufiel.

Vergil streckte die Hand zur Kette des Badewannenstöpsels aus. »Weißt du, Edward, ich…«

Weiter kam er nicht. Edward hatte den Stecker in den Wandanschluß gesteckt. Nun nahm er die Lampe, schaltete sie ein und warf sie ins Badewasser. Er sprang vor dem Blitz, dem Dampf und dem Funkenregen zurück. Die Deckenbeleuchtung erlosch. Vergil schrie und schlug um sich und zuckte, und dann war alles still, bis auf das leise gleichmäßige Zischen und den Rauch, der von seinem Haar aufstieg. Licht von der kleinen Entlüftungsöffnung durchschnitt in mattem Strahl den übelriechenden Dunst.

Edward hob den Toilettendeckel und übergab sich. Dann hielt er sich die Nase zu und stolperte hinaus ins Wohnzimmer. Seine Beine gaben nach, und er fiel auf die Couch.

Aber er hatte keine Zeit. Schwankend stand er auf, überwältigt von erneuerter Übelkeit, und tappte in die Küche. Er fand die Flasche Jack Daniels und kehrte zurück zum Badezimmer. Er schraubte die Kappe ab und schüttete den Inhalt der Flasche ins Badewasser, bemüht, Vergil nicht direkt anzusehen. Aber das war nicht genug. Zu einer wirksamen Desinfektion würde er Bleichmittel und Ammoniak benötigen, und dann würde er gehen müssen.

Er war nahe daran, Vergil zu fragen, wo der Chlorkalk und das Ammoniak seien, besann sich aber noch rechtzeitig. Vergil war tot. Edwards Magen begann wieder zu rebellieren, und er lehnte sich im Korridor an die Wand, die Wange an den Wandanstrich gedrückt. Wann hatte der Realitätsverlust eingesetzt?

Als Vergil ins Medizinische Zentrum Mount Vernon gekommen war. Das war wieder einer von Vergils Scherzen. Ha. Färbe dein ganzes Leben mitternachtsblau, Edward; vergiß niemals einen Freund!

Er schaute in den Wäscheschrank, sah aber nur Handtücher und Laken. Auch im Kleiderschrank fand er nicht das Gesuchte. Zum Schlafzimmer gehörte ein zweites Bad, und von der Stelle am Fuß des ungemachten Bettes, wo er stand, konnte er dort einen niedrigen weißen Schrank sehen. Edward ging hinüber. An einem Ende, dem Schrank gegenüber, war eine Duschkabine. Unter ihrer Tür kam ein dünnes Rinnsal hervor. Er betätigte den Lichtschalter, aber dieser ganze Teil der Wohnung war ohne Strom; das einzige Licht kam vom Schlafzimmerfenster. In dem Schrank fand er sowohl Chlorkalk zum Bleichen als auch einen großen Zweiliterkanister Ammoniak.

Er trug beides durch den Korridor und schüttete den Inhalt in die Wanne, ohne Vergils blicklose blasse Augen anzusehen. Dämpfe zischten auf, und hustend schloß er die Tür hinter sich.

Jemand rief leise Vergils Namen. Edward trug die leeren Kanister in das Schlafzimmer, wo die Stimme lauter zu hören war. Er blieb stehen und neigte lauschend den Kopf.

»He, Vergil, bist du’s?« fragte die Stimme. Sie kam aus der Duschkabine. Edward tat einen Schritt vorwärts. Hielt inne. Genug, dachte er. Die Realität war abschreckend genug, und er wollte wirklich nicht mehr davon. Dennoch tat er einen weiteren Schritt, dann noch einen und erreichte die Tür der Duschkabine.

Die Stimme klang wie die einer Frau, rauh und fremd, aber nicht wie die Stimme eines Menschen in Not.

Er faßte den Türgriff mit einer Hand und zog. Mit einem hohlen Klicken schwang die Tür auf. Er spähte in die Dunkelheit der Duschkabine, bis seine Augen sich angepaßt hatten.