»Ja, aber…«
»Aber…« Harrison hob abwehrend die Hand. »Das alles ist ganz irrelevant. Was immer Sie noch vorhaben, die Tatsache bleibt, daß Sie bereit waren, gegen Ihre Vertragsbedingungen zu verstoßen, uns zu hintergehen, indem Sie sich direkt an Bernard wandten, und versuchten, sich für Ihre persönlichen Ziele seiner Unterstützung zu versichern. Richtig?«
Vergil sagte nichts.
»Ich halte Sie nicht für einen weltklugen Mann, Vergil. Nicht in den Dingen der Geschäftswelt. Vielleicht haben Sie die Implikationen nicht erkannt.«
Vergil schluckte mühsam. Sein Gesicht war noch immer feuerrot. Er fühlte das Blut in den Schläfen pochen, benommen vom streßerzeugten Schwindelgefühl. Er nieste zweimal.
»Nun, ich werde Ihnen die Implikationen erklären. Sie sind nahe daran, eingemacht und als Hundefutter verkauft zu werden.«
Vergil hob nachdenklich die Brauen.
»Sie sind wichtig für das MAB-Projekt. Wäre dies nicht der Fall, würden Sie im Nu auf der Straße sitzen, und ich würde persönlich dafür sorgen, daß Sie nie wieder in einem Labor der Privatindustrie arbeiten. Aber Thornton und Rothwild und die anderen glauben, wir könnten Sie zurückgewinnen und vor sich selbst retten. Ich habe mit Yng noch nicht darüber gesprochen. Aber die Sache wird keine Weiterungen haben — wenn Sie sich korrekt verhalten.«
Er durchbohrte Vergil mit einem Blick, der unter gesenkten Brauen hervorschoß. »Sie stellen Ihre außerplanmäßigen Aktivitäten ein. Wir werden Ihre Aufzeichnungen dabehalten, aber ich wünsche, daß alle nicht mit dem MAB-Projekt verbundenen Experimente sofort beendet und alle Organismen, die in irgendeiner Weise verändert worden sind, zerstört werden. Ich werde Ihr Labor in zwei Stunden persönlich inspizieren. Wenn bis dahin nicht geschehen ist, was ich von Ihnen verlange, sind Sie fristlos entlassen. Zwei Stunden, Vergil! Keine Ausnahmen, keine Auslegungen!«
»Ja, Sir.«
»Das ist alles.«
2
Vergils Entlassung hätte seine Arbeitskollegen nicht allzusehr bekümmert. In den drei Jahren, die er bei Genetron arbeitete, hatte er sich ungezählter Verstöße gegen die Laboratoriumsordnung schuldig gemacht. Reagenzgläser und Schalen wusch er nur selten, und zweimal hatte man ihn dabei ertappt, daß er verschüttetes Äthidiumbromid, ein starkes Mutagen, nicht vom Arbeitstisch aufgewischt hatte. Auch im Umgang mit Radionukleiden zeigte er sich ziemlich unbekümmert. Die meisten Leute, mit denen er arbeitete, waren nicht eben Muster von Bescheidenheit. Schließlich waren sie junge Wissenschaftler, hervorragende Forschungskräfte auf einem vielversprechenden Gebiet — viele rechneten fest damit, daß sie in ein paar Jahren reich und im Besitz ihrer eigenen Firmen sein würden. Vergil paßte nicht in ihre Verhaltensmuster. Er arbeitete tagsüber still und intensiv und abends machte er Überstunden. Er war ungesellig, wenn man ihm auch nicht nachsagen konnte, daß er unfreundlich war; die meisten Leute ignorierte er einfach.
Er teilte ein Labor mit Hazel Overton, einer gewissenhaften und vorbildlichen Wissenschaftlerin, wie man sich keine bessere wünschen konnte. Hazel würde ihn am allerwenigsten vermissen. Vielleicht war sie es gewesen, die seine Unterlagen ausgeforscht hatte — sie war keine Anfängerin im Umgang mit dem Computer, und es war ihr zuzutrauen, daß sie nach etwas Ausschau hielt, was geeignet wäre, ihn in Schwierigkeiten zu bringen. Aber er hatte keine Anhaltspunkte für solch eine Vermutung, und es hatte keinen Sinn, paranoid zu sein.
Im Labor war es dunkel, als Vergil die Tür öffnete. Hazel saß an einer kleinen UV-Lampe und führte eine Fluoreszenzuntersuchung an einer mit Elektrophorese behandelten Matrize mit Eiweißkörpern durch. Vergil schaltete das Licht ein. Sie blickte auf und nahm die Schutzbrille ab, bereit zu einer gereizten Bemerkung.
»Sie sind spät dran«, sagte sie statt dessen. »Und Ihr Labor sieht aus wie ein ungemachtes Bett. Vergil, es ist…«
»Kaputt«, beendete er den Satz für sie und warf seinen Kittel über seinen Hocker.
»Sie ließen eine Anzahl Reagenzgläser auf dem Tisch im Gemeinschaftslabor liegen. Ich fürchte, sie sind ruiniert.«
»Scheiß drauf!«
Hazel sah ihn groß an. »Meine Güte, in was für einer Stimmung Sie sind!«
»Ich bin abgemahnt worden. Ich muß meine außerplanmäßige Arbeit aufgeben und alles ausräumen, oder Harrison gibt mir den Laufpaß.«
»Das ist nicht mehr als recht und billig«, sagte Hazel und wandte sich wieder ihrer Arbeit zu. Harrison hatte im Vormonat eine ihrer außerplanmäßigen Projekte stillgelegt. »Was haben Sie gesagt?«
»Wenn es Ihnen nichts ausmacht, würde ich lieber allein sein.« Vergil musterte sie finster über den Tisch hinweg. »Sie können das im Gemeinschaftslabor beenden.«
»Ich könnte, aber…«
»Wenn Sie es nicht tun«, sagte Vergil drohend, »werde ich Ihre kleinen Kulturen mit meinen Flügelspitzen auf den Boden schmieren.«
Hazel sah ihn eine kleine Weile aus schmalen Augen an und kam zu dem Schluß, daß er dazu imstande wäre. Sie schaltete die Elektroden ab, nahm ihre Sachen und ging zur Tür. »Mein Beileid«, sagte sie.
»Klar.«
Er mußte sich etwas ausdenken. Während er sich das stopplige Kinn kratzte, versuchte er einen Weg zu finden, der seine Verluste verringern würde. Er könnte die Teile des Experiments opfern, die entbehrlich waren — die E. coli- Kulturen zum Beispiel. Er war längst darüber hinaus, hatte sie gleichsam als Erinnerung an seine Fortschritte aufbewahrt, und als eine Art Reserve für den Fall, daß die nächsten Arbeitsstadien mit Fehlschlägen endeten. Es war jedoch alles gut gegangen. Zwar hatte er noch keinen Abschluß erreicht, war ihm aber so nahe, daß er den Erfolg wie einen kühlen, aromatischen Schluck Wein schmecken konnte.
Hazels Hälfte des Laboratoriums war aufgeräumt, sauber und ordentlich. Seine Hälfte war ein Chaos von Ausrüstungen und Chemikalienbehältern. Eines seiner wenigen Zugeständnisse an die Sicherheitsvorschriften, eine weiße Saugmatte zum Auffangen von verschütteten Flüssigkeiten, hing halb vom Arbeitstisch und wäre zu Boden gefallen, hätte nicht der Kanister mit Reinigungsmittel auf einem Zipfel gestanden.
Vergil stand vor der weißen Notiztafel, rieb sich den Stoppelbart und starrte auf die geheimnisvollen Botschaften, die er am Tag zuvor hingekritzelt hatte.
Kleine Ingenieure. Machen die winzigsten Maschinen der Welt. Besser als MABs! Kleine Chirurgen. Führen Krieg gegen Tumore. Computer mit Riesenkapazität. (Computer = Mustertumor, Ha!) Größe von Volvo.
Offensichtlich das Gefasel eines Verrückten. Hazel konnte ihm kaum Beachtung geschenkt haben. Oder vielleicht doch? Es war allgemein geübte Praxis, jede zufällige Idee oder Inspiration oder auch einen Scherz an die Tafel zu schreiben, wo sie vom nächsten eiligen Genius ausgelöscht wurden. Dennoch…
Die Bemerkungen könnten die Neugierde einer so klugen Frau wie Hazel erregt haben. Um so mehr als seine Arbeit an den MABs ins Hintertreffen geraten war.
Er war nicht sehr umsichtig vorgegangen.
MABs — Medizinisch anwendbare Biochips — sollten das erste praktische Erzeugnis der Biochip-Revolution sein, die Verbindung von Schaltkreisen aus Proteinmolekülen mit Silikonelektronik. Biochips waren in der Fachliteratur seit Jahren Gegenstand von Spekulationen, aber Genetron hoffte, der Bundesaufsichtsbehörde für Lebensmittel und Arzneien innerhalb der nächsten drei Monate erste einsatzfähige Muster zur Prüfung und Genehmigung einreichen zu können.
Sie sahen sich scharfem Wettbewerb ausgesetzt. In dieser Gegend, die bald unter dem Namen Enzyme Valley bekannt werden sollte — dem Biochip-Äquivalent von Silicon Valley —, hatten sich mindestens sechs Firmen niedergelassen, die meisten von ihnen in und um La Jolla. Einige hatten als Pharmazeutische Betriebe angefangen, in der Hoffung, mit den Erzeugnissen der Biochip-Forschung Geld zu verdienen. Genetron war das erste Unternehmen, das speziell zur Entwicklung und Herstellung von Biochips gegründet worden war.