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»Ach, Mutter«, schluchzte Suzy. »Was ist geschehen?«

»Nun«, sagte ihre Mutter und befeuchtete sich die Lippen mit der Zunge, »eigentlich ist es ganz schön. Dir fehlt nichts, nicht wahr? Oh, Suzy.« Und dann schloß sie die Augen und sagte nichts mehr. Suzy wandte sich zu Howard, der auf dem Stuhl saß. Sie berührte ihn am Arm und schrak zurück, als die Haut Luft abzulassen schien. Dann erst bemerkte sie das Geflecht wurzelartiger Röhren, das aus seinen Jeans kam und in dem Spalt zwischen Küchenwand und Boden verschwand.

Weitere Wurzeln erstreckten sich von Kenneths teigfarbenen Armen in die Speisekammer. Und hinter ihrer Mutter, unter dem Rocksaum herauswachsend und in den Schrank unter der Spüle reichend, war ein einziges dickes Rohr aus bleichem Fleisch. Suzy dachte im ersten Augenblick an Horrorfilme und Make-up, und daß sie vielleicht einen Film drehten und ihr nichts gesagt hatten. Sie beugte sich näher und spähte hinter ihre Mutter. Sie war keine Expertin, aber das Rohr aus Fleisch war nicht Make-up. Sie konnte Blut darin pulsieren sehen.

Langsam stieg Suzy wieder die Treppe zu ihrem Zimmer hinauf. Sie setzte sich aufs Bett, knüpfte ihr langes blondes Haar zu einem Zopf und löste ihn wieder auf, dann legte sie sich hin und blickte zu dem sehr alten silbrigen Linoleum an der Decke auf. »Lieber Gott, bitte komm und hilf mir, denn ich brauche dich jetzt«, betete sie. »Lieber Gott, bitte komm und hilf mir, denn ich brauche dich jetzt!«

Und so weiter, bis in den Nachmittag hinein, als der Durst sie ins Badezimmer trieb, etwas zu trinken. Während sie das Wasser schluckte, wiederholte sie ihr Gebet, bis die Einförmigkeit und Vergeblichkeit sie schließlich verstummen ließen. Sie stand am Treppengeländer, noch immer in ihrem himmelblauen Bademantel und begann, Pläne zu schmieden. Sie war nicht krank — noch nicht —, und sie war ganz gewiß nicht tot.

Also mußte etwas geschehen, mußte sie etwas unternehmen.

Und doch hoffte sie im Hintergrund ihres Bewußtseins, daß sie vielleicht durch die Art und Weise, wie sie eine Tür öffnete oder einem besonderen Pfad durch die Straßen folgte, dem Weg zurück in die vertraute alte Welt finden könne. Sie dachte nicht, daß es wahrscheinlich sei, aber alles, was sie versuchte, war der Mühe wert.

Es galt harte Entscheidungen zu treffen. Was nützte ihr alle Ausbildung, wenn sie nicht selbständig denken und notwendige Entschlüsse fassen konnte? Sie wollte nicht mehr in die Küche, wenn es sich vermeiden ließ, aber dort waren Lebensmittel. Sie konnte versuchen, in andere Häuser einzudringen, oder sogar in den Lebensmittelladen am Ende des Blocks, doch befürchtete sie, daß dort andere Körper liegen würden.

Diese Körper — lebendig oder tot — waren wenigstens ihre Verwandten.

Mit hoch erhobenem Kopf betrat sie die Küche. Allmählich, als sie von der Anrichte zum Küchenschrank und dann zum Kühlschrank ging, senkte sie den Blick. Die Körper waren noch weiter in sich zusammengesunken. Kenneth war nicht viel mehr als ein von weißlichen Fäden wie mit einem Geflecht überzogener Flecken in zerknitterten Kleidern. Die fleischigen Wurzeln hatten die Wasserleitung gesucht, waren direkt zum Spülbecken hinaufgeklettert und von dort sowohl in den Wasserhahn als auch in den Abfluß hinab. Jeden Augenblick rechnete sie, daß etwas sich ausstrecken und nach ihr greifen würde — oder daß Howard oder ihre Mutter zu schwankenden Schreckensgestalten würden —, und sie biß die Zähne zusammen, bis ihre Backenmuskeln schmerzten, aber keiner von ihnen regte sich. Sie sahen nicht mehr so aus, als könnten sie sich bewegen.

Sie verließ die Küche mit einem Karton voller Konserven, die sie in den nächsten Tagen zu benötigen glaubte — und dem Dosenöffner, den sie beinahe vergessen hätte.

Es dämmerte bereits, als ihr einfiel, das Radio einzuschalten. Sie hatten keinen Fernseher mehr, seit der letzte defekt geworden war; sein Gehäuse stand im Hausgang unter der Treppe und setzte hinter Schachteln mit alten Zeitschriften Staub an. Sie zog das tragbare Transistorgerät hervor, das ihre Mutter für Notfälle bereithielt, und suchte methodisch die Skalen ab. In der Theatergruppe der Schule hatte sie einmal einen Funkamateur gespielt, aber natürlich konnte das Transistorgerät nicht senden.

Auf Mittelwelle und Ultrakurzwelle spielte nicht ein einziger Sender. Auf der Kurzwelle empfing sie verschiedene Stationen, einige sogar sehr klar, aber es waren keine englischsprachigen Sender darunter.

Im Zimmer wurde es rasch dunkel. Sie stand Qualen der Ungewißheit aus, bevor sie versuchte, die Lampen einzuschalten. Würde es immer noch Licht geben, wenn alle krank waren?

Als die Schatten das Wohnzimmer gefüllt hatten und dem Dilemma nicht länger auszuweichen war — entweder mußte sie im Dunkeln sitzen oder feststellen, ob sie im Dunkeln würde sitzen müssen —, streckte sie die Hand zur Stehlampe neben der Couch aus und betätigte rasch den Schalter.

Das Licht ging an, kräftig und gleichmäßig.

Damit brach ein sehr schwacher Damm in ihr, und sie überließ sich der Trauer. Auf der Couch sitzend, schaukelte sie mit gekreuzten Beinen vor und zurück und weinte herzzerreißend, bis ihr Gesicht tränenüberströmt und die Augen rot und geschwollen waren. Ihre Hände flochten das Haar zum Zopf und lösten ihn wieder auf und wischten damit die Augen, und zuletzt hing es in feuchten Strähnen. Der Lampenschein warf einen goldenen Halbmond auf ihr Gesicht, und sie saß und weinte, bis die Kehle schmerzte und sie die Augen kaum offenhalten konnte.

Ohne zu essen, ging sie hinauf, schaltete alle Lampen ein — jeder ruhige Lichtschein ein Wunder — und kroch in ihr Bett, wo sie nicht schlafen konnte, weil sie sich einbildete, sie höre jemand die Treppe heraufkommen oder den Korridor entlang zu ihrer Tür gehen.

Die Nacht währte eine Ewigkeit, und in dieser Zeit wurde Suzy ein wenig reifer, oder ein bißchen verrückter, sie wußte nicht, was. Manche Dinge waren nicht mehr wichtig. So war sie beispielsweise durchaus bereit, ihr früheres Leben zurückzulassen und eine neue Art Leben zu suchen. Sie machte dieses Zugeständnis in der Hoffnung, daß derjenige, wer immer er war, der die Aufsicht führte, einfach erlauben würde, daß die Lichter weiterbrannten.

Gegen Morgen war sie ein körperliches Wrack — erschöpft und hungrig, aber unwillig zu essen, der ganze Körper angespannt und ausgelaugt von Furcht, Schrecken und Wachsamkeit. Sie trank wieder vom Wasserhahn im Badezimmer… und dachte plötzlich an die Wurzeln, die in die Wasserleitung führten. Würgend und spuckend setzte sie sich auf die Toilette und sah das Wasser rein und klar aus dem Hahn strömen. Endlich zwang der Durst sie, die Gelegenheit wahrzunehmen und mehr zu trinken, aber sie gelobte, einen Vorrat von Mineralwasser in Flaschen anzulegen.

Im Wohnzimmer bereitete sie eine kalte Mahlzeit aus grünen Bohnen und Corned Beef und war hungrig genug, hinterher noch eine Dose Pflaumenkompott zu essen. Die Dosen standen in einer Reihe auf dem abgenutzten Kaffeetisch. Sie trank den Rest vom süßen Pflaumensirup und fand, daß nichts ihr jemals so gut geschmeckt habe.

Darauf kehrte sie in ihr Schlafzimmer zurück und legte sich nieder, und diesmal schlief sie fünf Stunden, bis sie von einem Geräusch geweckt wurde. Irgendwo im Haus war etwas Schweres gefallen. Vorsichtig schlich sie die Treppe hinunter und spähte in Hausgang und Wohnzimmer umher.

»Nicht die Küche«, murmelte sie und wußte doch instinktiv, daß das Geräusch von dort gekommen war. Zögernd öffnete sie die Pendeltür. Ihrer Mutter Kleider — aber nicht ihre Mutter — lagen in einem Häuflein vor der Spüle. Suzy trat ein und schaute zu der Stelle, wo Kenneth gelegen hatte. Kleider, aber sonst nichts. Sie wandte sich schnell um.