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Die Besucher im Vorführraum — Vorstandsmitglieder der Pharmek und Abgesandte von vier europäischen Ländern — saßen mit undurchdringlichen Mienen auf ihren Klappstühlen. Paulsen-Fuchs stand mit dem Rücken zum Fenster, den Delegierten Frankreichs und Dänemarks gegenüber. Er wandte sich um und zeigte zu Bernard, der in seiner Isolierkammer am Schreibtisch saß und mit einer Hand, die von weißlichen Schwielen gezeichnet war, auf die Tischplatte klopfte.

»Mr. Bernard ist unter Inkaufnahme großer Risiken und nicht ohne Tollkühnheit nach Europa gekommen, um sich als Versuchsperson für unsere Experimente zur Verfügung zu stellen. Wie Sie sehen können, sind wir hier gut ausgerüstet, um Mr. Bernard sicher in Quarantäne zu halten, und es besteht keine Notwendigkeit, ihn zu einem anderen Laboratorium oder Krankenhaus zu verlegen. Solch ein Transport könnte tatsächlich sehr gefährlich sein. Wir sind jedoch durchaus bereit, Anregungen zur wissenschaftlichen Verfahrensweise anzunehmen und zu befolgen.

Offen gesagt, wissen wir noch nicht, welche Art von Experimenten wir durchführen sollen. Gewebeproben von Mr. Bernard lassen erkennen, daß die Krankheit — wenn wir das Phänomen so nennen wollen — sich rasch durch seinen Körper ausbreitet, die Funktionen jedoch in keiner Weise beeinträchtigt. Tatsächlich behauptete er, daß er sich mit Ausnahme gewisser Symptome, auf die wir noch zu sprechen kommen werden, niemals in seinem Leben besser gefühlt habe. Und es hat den Anschein, daß seine Anatomie von Grund auf verändert wird.«

»Warum ist Mr. Bernard nicht vollständig umgewandelt worden?« fragte der Vertreter Dänemarks, ein jugendlich aussehender, dicklicher Mann in einem schwarzen Anzug, dessen Haar wie kurzgeschnittenes Fell aussah. »Unsere wenigen Informationen aus den Vereinigten Staaten zeigen, daß Transformation und Auflösung innerhalb einer Woche nach Infektion stattfinden.«

»Ich weiß es nicht«, sagte Bernard, dessen Stimme durch Lautsprecher übertragen wurde. »Meine Lebensumstände unterscheiden sich von jenen der Opfer in einer natürlichen Umgebung. Vielleicht ist den Organismen in meinem Körper bewußt, daß es ihnen nicht guttun würde, die Umwandlung zu vollenden.«

Die Bestürzung in ihren Gesichtern zeigte, daß sie das Konzept der Noozyten noch nicht gewohnt waren. Oder vielleicht glaubten sie einfach nicht daran.

Paulsen-Fuchs setzte die Diskussion fort, aber Bernard schloß die Augen und versuchte, die Besucher auszuschließen. Es war schlimmer, als er sich vorgestellt hatte; in nur vier Tagen war er — sehr höflich, und mit großer Fürsorglichkeit — vierzehn solcher Zusammenkünfte ausgesetzt worden, hatte eine Serie von Versuchen über sich ergehen lassen, die auf indirektem Wege vorgenommen worden waren, hatte Fragen nach beinahe jedem Aspekt seines Lebens, seiner Vergangenheit, Gegenwart, seiner privaten und öffentlichen Funktionen beantwortet. Er war der Mittelpunkt einer sekundären Schockwelle, die um die Welt ging — die Welle der Reaktion auf das Geschehen in Nordamerika.

Er war eben noch rechtzeitig herausgekommen. Die Etiologie der Seuche hatte sich drastisch verändert und folgte nun mehreren Mustern, oder vielleicht überhaupt keinem Muster; es war denkbar, daß die Organismen auf ihre jeweilige Umgebung reagierten und ihre Methoden dementsprechend veränderten. So waren die großen Städte beinahe sofort zum Schweigen gebracht worden; die meisten oder alle ihrer Bewohner wurden innerhalb von achtundvierzig Stunden infiziert und umgewandelt. Abgelegenere Kleinstädte und ländliche Gegenden waren weniger rasch betroffen worden, vielleicht wegen des Fehlens einer gemeinsamen Wasserversorgung und Abwasserbeseitigung. Die Ausbreitung der Seuche auch auf diese Gebiete schien durch Säugetiere, Vögel und Insekten ebenso zu erfolgen wie durch unmittelbare menschliche Kontakte.

Infrarotaufnahmen, die von Landsat- und Spionagesatelliten aufgenommen, verarbeitet und in anderen Ländern ausgewertet wurden, zeigten bedeutsame Veränderungen selbst in den Wäldern und Wasserwegen Nordamerikas.

Schon hatte er das Gefühl, daß Michael Bernard nicht mehr existiere. Er war von etwas Größerem und weitaus Eindrucksvollerem verschluckt worden, und nun war er in einem Museum ausgestellt, etikettiert und, seltsam genug, in der Lage, Antworten zu geben. Exneurochirurg, männlich, einst wohlbekannt und wohlhabend, in letzter Zeit nicht sehr aktiv…

Es schien durchaus möglich, daß Michael Bernard seit sechs Jahren nicht mehr existiert hatte, irgendwann verschwunden war, nachdem er das letzte Mal ein Skalpell angesetzt, einen Schädel angebohrt hatte.

Er öffnete die Augen und sah die Männer und eine Frau im benachbarten Raum.

»Dr. Bernard…« Die Frau versuchte seine Aufmerksamkeit auf sich zu lenken, offenbar zum dritten oder vierten Mal.

»Ja?«

»Trifft es zu, daß Sie zumindest teilweise mitschuldig an dieser Katastrophe sind?«

»Nein, nicht unmittelbar.«

»Und mittelbar?«

»Ich konnte die Konsequenzen, die sich aus den Handlungen anderer Menschen ergaben, unmöglich voraussehen. Ich bin kein Hellseher.«

Die Frau errötete. »Ich habe — oder hatte — eine Tochter und eine Schwester in den Vereinigten Staaten. Ich komme aus Frankreich, ja, aber ich bin in Kalifornien geboren. Was ist mit ihnen geschehen? Wissen Sie es denn?«

»Nein, Madame, ich weiß es nicht.«

Die Frau verlor die Fassung, wehrte Paulsen-Fuchs’ Beschwichtigungsversuch ab und rief mit schriller Stimme: »Wird es niemals enden? Katastrophen und Tod, Wissenschaftler dafür verantwortlich, ja, Sie alle sind verantwortlich! Wird es…« Und sie wurde hinausgeführt. Paulsen-Fuchs hob resignierend die Hände und schüttelte den Kopf. Das Zimmer leerte sich rasch, und Bernard blieb hinter der Panzerglasscheibe allein zurück.

Und da er niemand war, bedeutete es, daß, wenn er allein war, es in der Kammer überhaupt nichts gab.

Nichts als die Mikroben, die Noozyten mit ihrem unglaublichen Potential, die sich Zeit ließen…

Die warteten, um mehr aus ihm zu machen, als er je gewesen war.

22

Am vierten Tag gingen die Lichter aus — am Morgen, kurz nachdem sie erwachte. Sie zog ihre Modelljeans an, ihren besten Büstenhalter und einen Pullover, nahm die Windjacke aus dem Schrank hinter der Treppe, und trat hinaus ins Tageslicht. Nicht mehr gesegnet, dachte sie. Nicht mehr begehrenswert für den Teufel oder sonstwen. »Mit meinem Glück geht’s zu Ende«, sagte sie laut.

Aber sie hatte Nahrung, und das Wasser lief noch immer. Sie überdachte ihre Lage und kam zu dem Schluß, daß sie nicht allzu schlecht dran sei. »Entschuldige, lieber Gott«, sagte sie und blinzelte zum Himmel auf.

Die Häuser auf der anderen Straßenseite waren vollständig verhängt mit braun und weiß gefleckten Laken, die wie Haut oder Leder in der Sonne glänzten. Die Bäume und Eisengeländer waren mit Fetzen vom gleichen Zeug behangen. Auch auf ihrer Seite waren die Laken drauf und dran, die Häuser zu überwachsen.

Es war Zeit, fortzugehen. Sie würde nicht mehr lange verschont bleiben.

Sie packte Lebensmittel in Kartons und stapelte diese im Einkaufswagen. Auch das Gas war noch an; mit den letzten Eiern und Speckstreifen briet sie sich ein feines Frühstück, toastete Brot über der Gasflamme, wie ihre Mutter es ihr beigebracht hatte, bestrich es mit dem Rest Butter und legte dick Marmelade auf. Davon aß sie vier Schnitten, dann ging sie die Treppe hinauf und packte eine kleine Reisetasche. Unbeschwert reisen, dachte sie. Dicke Winterjacke und warme Sachen, Revolver, Stiefel. Wollsocken aus den Schubladen ihrer Brüder. Handschuhe. Grenzlandzeit. Pionierzeit.