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Suzy schaltete das Radio aus. Gewäsch. Sie wollte wissen, mußte wissen, was mit ihrer Heimat geschehen war.

»Warum?« fragte sie laut. Sie sah die Räder flatternd und torkelnd über den Platz wehen, sah ihre Überreste den Beton wie mit dünnem Schleim überziehen. »Warum bringe ich mich nicht einfach um und mache alledem ein Ende?« Sie breitete melodramatisch die Arme aus, fing an zu lachen. Sie lachte, bis es schmerzte, und bekam es mit der Angst, als sie merkte, daß sie nicht mehr aufhören konnte. Sie hielt sich mit beiden Händen den Mund zu, lief zu einem Wasserhahn und trank von dem klaren, gleichmäßig fließenden Strom.

Was ihr wirklich Angst machte, begriff Suzy jetzt, war der Gedanke, den Turm zu ersteigen. Würde sie Schlüssel benötigen? Würde sie halb hinaufkommen und finden, daß sie nicht weitergehen konnte?

»Ich werde mutig sein«, sagte sie mit einem Schokoladenriegel im Mund. »Etwas anderes kann ich nicht sein.«

25

Livermore, Kalifornien

Es war ein normales und gutes Leben gewesen, aus seinem Hinterhof Einzelteile und Trödel aller Art zu verkaufen, zu Auktionen zu gehen und dies und das mitzunehmen, seine Tochter aufzuziehen und stolz auf seine Frau zu sein, die Lehrerin war. Seine größeren Erwerbungen hatten ihm viel Freude bereitet: eine Ladung Fliesen der verschiedensten Art, mit der er Badezimmer und Küche in dem großen alten, weiß gestrichenen Haus hergerichtet hatte; einen alten englischen Geländewagen; fünfzehn verschiedene Personen- und Lastwagen, alle blau; anderthalb Tonnen alte Büromöbel, einschließlich eines »antiken« hölzernen Aktenschrankes, dessen Wert sich als höher erwies als der Betrag, den er für die gesamte Ladung bezahlt hatte.

Das Unheimlichste, was er (seit seiner Eheschließung) je getan hatte, war die mutige Beschleunigung seiner beginnenden Kahlköpfigkeit gewesen, indem er sich das lichter werdende Haar vom Schädel rasiert hatte, weil ihm der Übergangszustand verhaßt gewesen war. Ruth hatte bei seinem Anblick geweint. Das war vor zwei Monaten gewesen, und das dünne Haar war inzwischen nachgewachsen, spärlich und unordentlich und so widerwärtig wie zuvor.

John Olafsen war gut zurechtgekommen, solange das Leben seinen normalen Gang genommen hatte. Er hatte Ruth und die siebenjährige Loren gut gekleidet und genährt. Das Haus gehörte seit neunzig Jahren seiner Familie, seit es neu gewesen war. Sie hatten keine großen Ansprüche gestellt.

Er setzte das zerkratzte schwarze Fernglas ab und wischte sich mit einem roten Halstuch Müdigkeit und Schweiß von den Augen. Dann setzte er seine Beobachtung fort. Er hatte den Feldstecher auf das weitläufige Gelände der Lawrence Livermore National Laboratories und die Sandia Laboratories auf der anderen Straßenseite gerichtet. Der Geruch von Staub und dünnem Gras weckte in ihm den Wunsch, sich zu schneuzen, zusammenzupacken und wegzugehen — und doch wiederzukommen, weil dies der einzige Ort war, der ihm geblieben war. Es war halb sechs, und die Dämmerung senkte sich auf das Land herab. »Nun zeig schon deine Fahne, Jerry!« murmelte er. »Du Armleuchter!«

Jerry war sein Zwillingsbruder, fünf Minuten jünger und doppelt so leichtsinnig wie er. Jerry hatte im Salinas-Tal Sprühflugzeuge geflogen. Wie John es geschafft hatte, der Seuche zu entgehen, wußte keiner von ihnen, aber es lag auf der Hand, daß Jerry bis zum Kragen voll mit DDT und PCBs und weiß Gott was noch war. Er konnte dem, was die Stadt Livermore und Ruth und Loren gefressen hatte, einfach nicht schmecken.

Jerry war unten zwischen den großen, modernen Kästen und den alten Bungalows und Baracken, die zehn Meter hohen Hügel zu erforschen, die sich nun überall erhoben, wo auf dem Gelände der Lawrence Livermore freier Raum war. Er hatte ein weiteres rotes Halstuch an einen Stock gebunden. Keiner der beiden Brüder war jemals ohne ein Halstuch gesehen worden. Jedes Jahr hatten sie einander zu Weihnachten neue gekauft und in rote Folie mit breiten roten Bändern verpackt.

John schwenkte den Feldstecher ein Stück weiter und sah das rote Halstuch rasch am Stock kreisen: einmal im Uhrzeigersinn, einmal anders herum, dann wieder dreimal im Uhrzeigersinn. Das bedeutete, das John hinunterkommen und sehen sollte, was es zu sehen gab. Nichts Gefährliches… soweit Jerry es beurteilen konnte.

Er wuchtete seine zweihundertfünfzig Pfund in die Höhe und streifte dürre Halme von den Hosenbeinen seiner verschlissenen schwarzen Jeans. Sein rotes Kraushaar und der Bart hoben sich leuchtend vom tiefen Graublau des Osthimmels ab, als er aus dem Entwässerungsgraben stieg und sich durch den Stacheldrahtzaun zwängte, dann durch das Loch im Maschendrahtzaun und den nicht mehr unter Strom stehenden inneren Schutzzaun.

Dann lief und schlitterte er den steilen Hang hinab und übersprang einen weiteren Graben, bevor er zu einem beiläufigen Schlendern verlangsamte. Er zündete sich eine Zigarette an und zerbrach das Streichholz, bevor er es wegwarf. Fünfzehn oder zwanzig Wagen standen noch immer auf dem Parkplatz neben den alten Gebäuden des Fusionsprojekts. Ein besonders eindrucksvoller Hügel, ungefähr zwanzig Meter im Durchmesser, erhob sich nahe dem Parkplatz aus der Erde. Jerry stand obendrauf. Er war irgendwo zu einer Spitzhacke gekommen und ließ sie am ausgestreckten Arm baumeln, ein breites Grinsen im bartlosen Gesicht.

»Keine Jogger mehr«, sagte er, als John den Hügel erstieg und bei ihm anlangte. Sie nannten einige der eigentümlichen Dinger, die sie in Livermore gesehen hatten, Jogger. Der Name schien passend, da die Dinger fast immer liefen; nicht ein einziges Mal hatten sie eins stillstehen gesehen.

»Erfreut mein Herz«, sagte John. »Was hast du vor?«

»Mich nach China durchgraben«, sagte Jerry und klopfte auf den Hügel. »Bist du nicht neugierig?«

»Man kann neugierig sein, und neugierig«, sagte John. »Angenommen, diese Hügel sind etwas, was die Leute hier sich ausgedacht haben? Was Militärisches, oder vielleicht ein Experiment, das ihnen außer Kontrolle geriet?«

»Ich würde sagen, daß ein Experiment bereits außer Kontrolle geraten ist.«

»Ich glaube noch immer nicht, daß es von hier seinen Ausgang genommen hat.«

»Scheiße.« Jerry ließ die Spitzhacke auf den Hügel plumpsen, daß die rissige Erde und das ausgetrocknete Gras staubten. »Warum nicht, und wo sonst, zum Teufel?«

»Anderswo gibt es mehr zu holen.«

»Sicher, und vor allem die Seuche.«

John zuckte die Achseln. Wahrscheinlich würden sie es nie wissen. »Also dann mach schon, in Gottes Namen!«

Jerry holte mit der Spitzhacke aus und schlug zu. Die Spitze durchbrach die Erde wie eine Nadel, die durch eine Eierschale gestoßen wird, und der Griff wurde ihm fast aus den Händen gerissen. »Hohl«, grunzte er und zog die Spitzhacke mit einiger Mühe heraus. Er kniete nieder und spähte in das Loch. »Nichts zu sehen.« Er stand auf und holte abermals aus.

»Hast sie getroffen«, sagte John und leckte sich die Lippen. »Laß mich mal ran!«

»Wir wissen nicht, was da unten ist«, sagte Jerry und brachte den Spitzhackenstiel vor der breiten, dicken, ausgestreckten Hand des Bruders in Sicherheit.

John nickte widerwillig und steckte die Hand in die Jeanstasche. Er blickte zur untergehenden Sonne hinüber und schüttelte den Kopf. »Wir können ihnen nichts anhaben«, sagte er. »Es gibt bloß uns.«