Выбрать главу

»Ich würde trotzdem nichts anfassen!«

»Ja. Wahrscheinlich hast du recht.«

Sie gingen weiter die Regale entlang und kamen zu einer mit Röhren bedeckten Wand. Die Röhren wuchsen aus den Regalen und verzweigten sich zu kleineren Bündeln, die zu den glänzenden braunen Stapeln führten. »Was für Zeug ist das, Plastik oder was?« fragte Jerry und klopfte an eine der Halterungen.

»Sieht nicht wie Plastik aus«, sagte John. »Mehr wie sauberer weißer Knochen.« Sie starrten einander an.

»Hoffentlich nicht«, sagte Jerry und wandte sich weg. Sie gingen durch wogende Nebel zum anderen Ende der Regale und fanden dort eine schwammartige weiße Matrize, die an Bienenwaben aus Gummi gemahnte und mit offenen Blasen übersät war, die bis zum Rand mit purpurfarbenem Sirup gefüllt waren. Einige der Blasen vertropften purpurne Flüssigkeit auf den Boden, wo jeder Tropfen beim Auftreffen zischte und rauchte.

John unterdrückte einen Brechreiz und murmelte, daß sie hinaus müßten.

»Einverstanden«, sagte Jerry und bückte sich, die Blasen genauer anzusehen. »Aber vorher sieh dir dies an!«

Widerwillig bückte sich John, die Hände auf die Knie gestützt und besah die Blase, die sein Bruder ihm zeigte.

»Siehst du all diese kleinen Drähte?« fragte Jerry. »Winzige Perlen, die an Drähten über dem purpurnen Zeug dahinwandern. Rote Perlen. Sieht wie Blut aus, nicht?«

John nickte. Er grub in seiner Jeanstasche und zog ein Schweizer Armeemesser hervor, das er unter den zerrissenen Sitzen des britischen Geländewagens gefunden hatte. Mit den Fingernägeln zog er ein kleines Vergrößerungsglas aus dem Messergriff. »Leuchte darauf!« Als der Lichtschein sein Objekt voll traf, spähte er durch das Glas und beobachtete die winzigen Drähte mit den roten Tropfen.

Je genauer er hinsah, desto detaillierter wurde das Bild. Es zeigte keine Strukturen, die er identifizieren konnte, aber die purpurne Oberfläche bestand aus Tausenden winziger Pyramiden. Und das weiße Material glich Styropor oder Korken.

Er biß die Zähne zusammen. »Sehr hübsch«, sagte er. Er faßte den Rand der Blase und riß ihn weg. Die Flüssigkeit ergoß sich zu seinen Füßen, und der Nebel verdichtete sich. »Sie sind nicht hier.«

»Warum hast du das getan?« fragte Jerry.

John schlug nach den weichen Bienenwaben und zog die Hand zurück. Sie glänzte von dem purpurnen Zeug. »Weil sie nicht hier sind.«

»Wer?«

»Ruth und Loren. Sie sind einfach fort.«

»Warte…«, ermahnte ihn Jerry aber John holte mit beiden Armen aus und riß das blasige Netzwerk auseinander. Sie konnten einander durch den süßlichen, stickigen Nebel kaum erkennen. Jerry faßte seinen Bruder bei der Schulter und versuchte ihn zurückzureißen. »Hör auf, hör auf, John, verdammt noch mal!«

»Sie haben sie genommen!« brüllte John. Seine Kehle verkrampfte sich, und er hielt sich mit einer Hand den Hals, während er mit der anderen weiterstieß und zerrte und riß. »Sie sind nicht hier drin, Jerry!«

Jerry wollte ihn zurückreißen, aber John setzte sich zur Wehr, und sie kamen zu Fall und wälzten sich in dem klebrigen Zeug, bis es Jerry gelang, die Arme seines Bruders niederzudrücken. Hinter ihnen zeigte der Lichtkegel schräg aufwärts. John schüttelte den Kopf, dann begann er leise und anhaltend zu schluchzen, die Augen zugedrückt, den Mund breit gedehnt. Jerry half ihm auf und umarmte seinen Bruder, blickte über seine Schulter hinweg in den wogenden, vom Lichtkegel durchschnittenen Nebel. »Schhh!« machte er immer wieder. Sie waren über und über bedeckt mit dem unangenehm riechenden, klebrigen braunen Schmutz. »Schhh.«

»Ich habe es in mir zurückgehalten«, sagte John, nachdem er tief und bebend Atem geholt hatte. »Jerry, laß mich los! Ich habe es zu lange in mir verschlossen. Laß uns von hier verschwinden! Niemand ist da. Niemand ist hier unten.«

»Ja«, sagte Jerry. »Nicht hier. Vielleicht irgendwo, aber nicht hier.«

»Ich kann sie fühlen, Jerry.«

»Ich weiß. Aber nicht hier.«

»Aber wo dann, zum Teufel…«

»Schhh.« Sie lauschten dem leisen Säuseln der Luft, die den Nebel in Wallung brachte. Jerry spürte, wie seine Augen sich in der Dunkelheit so weit wie Katzenaugen öffneten. »Still. Da ist was…«

»Mein Gott.« John machte sich von seinem Bruder los. Sie standen da, triefend vom klebrigen Schlamm und blickten in die Richtung des Lichtkegels. Dort wogte und brodelte der Nebel.

»Es ist ein Jogger«, sagte Jerry, als die Silhouette Gestalt annahm.

»Es ist zu groß«, meinte John.

Das Objekt hatte einen Durchmesser von mindestens drei Metern, war abgeflacht und hatte Fransen, die von seiner Seite herabhingen. Im ungewissen Licht schien es bräunlich zu sein.

»Es hat keine Beine«, wisperte Jerry. »Es schwebt einfach da.«

John trat vor. »Gottverdammte Bestien«, sagte er mit gepreßter Stimme. Er hob die Faust. »Ich werde sie…«

Und es folgte ein Augenblick des Vergessens.

Der Morgen färbte den Osthimmel aquamarinblau. Die Stadt, bedeckt mit braunen und weißlichen Laken, gemahnte an etwas, das eher unter Wasser gehörte, eine niedrige, ebene Strecke Meeresgrund.

Sie standen im Entwässerungsgraben jenseits der Zäune und blickten zur Stadt hin.

»Ich kann mich kaum bewegen«, sagte Jerry.

»Ich mich auch nicht.«

»Ich glaube, es hat uns gestochen.«

»Ich fühlte nichts.«

John bewegte versuchsweise den Arm. »Ich glaube, ich sah sie.«

»Du sahst — wen?«

»Ich bin ziemlich durcheinander, Jerry.«

»Ich auch.«

Die Sonne war schon ein gutes Stück am Himmel emporgestiegen, als sie endlich imstande waren, einen Fuß vor den anderen zu setzen. Über der Stadt trieben transparente Halbkugeln zwischen den Umrissen der Gebäude und versprühten bisweilen dünne Lichtimpulse. »Erinnert mich an eine Qualle«, bemerkte Jerry, während sie schwankend zur Straße und zum Lastwagen tappten.

»Ich glaube, ich sah Loren und Ruth. Ich bin nicht sicher«, sagte John. Langsam und mit steifen Bewegungen näherten sie sich allmählich dem Lastwagen, kletterten ins Fahrerhaus und schlossen die Türen. »Fahren wir!«

»Wohin?«

»Ich sah sie unten, wo wir waren. Aber sie waren nicht da. Das ergibt keinen Sinn.«

»Nein, ich meine, wohin fahren wir jetzt?«

»Aus der Stadt. Anderswohin.«

»Sie sind überall, John. Sagt das Radio.«

»Verdammte Marsbewohner.«

Jerry seufzte. »Marsbewohner? — Die hätten uns längst umgelegt, John.«

»Scheiß auf sie! Laß uns fahren!«

»Was immer sie sind«, meinte Jerry, »ich bin ziemlich sicher, daß sie von hier sind.« Er deutete mit einem Nicken hinüber zum Lawrence Livermore-Gelände. »Von dort drüben.«

»Fahr los!« sagte John. Jerry startete den Motor, legte den Gang ein und rumpelte die ungeteerte Straße entlang. Sie bogen in die East Avenue ein, wichen an der nächsten Kreuzung mit knapper Not einem verlassenen Wagen aus und schleuderten mit quietschenden Reifen auf die South Vasco Road, um die Fernstraße zu erreichen. »Wieviel Sprit haben wir im Tank?«

»Hab gestern erst aufgetankt. Bevor die Laken die Zapfsäulen einwickeln konnten.«

»Weißt du«, sagte John, bückte sich und hob Putzwolle vom Boden auf, sich die Hände zu wischen, »ich glaube nicht, daß wir klug genug sind, diesen Dingen auf den Grund zu kommen. Wir haben einfach keine Ahnung.«

»Oder keine guten Ideen, vielleicht.« Jerry kniff die Augen zusammen. Einen Kilometer voraus stand jemand am Straßenrand und winkte lebhaft. John folgte der Blickrichtung seines Bruders.

»Wir sind nicht allein«, sagte er.

Jerry verlangsamte. »Eine Frau.« Vierzig oder fünfzig Schritte vor der Stelle, wo sie wartete, hielten sie an. Jerry beugte sich aus dem Fenster der Fahrerseite, um sie genauer ins Auge zu fassen. »Jung ist sie nicht«, sagte er in enttäuschtem Ton.