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»Keine«, antwortete Paulsen-Fuchs. »Sie kontrollieren offensichtlich das gesamte Immunsystem; abgesehen davon, daß sie eine erhöhte Stoffwechselrate haben, sind sie sehr gründlich getarnt. Wir glauben, daß sie inzwischen alle Antimetaboliten neutralisieren können, bevor diese zu wirken beginnen; sie sind bereits gewarnt vor Inhibitoren wie Aktinomycin. Kurzum, wir können ihnen nicht schaden, ohne Ihnen zu schaden.«

Bernard nickte. Seltsamerweise interessierte ihn das kaum noch.

»Und Sie kommunizieren inzwischen mit ihnen?« fragte Paulsen-Fuchs.

»Ja.«

Paulsen-Fuchs seufzte und wandte sich von dem Panzerglasfenster weg. »Sind Sie noch ein Mensch, Michael?«

»Selbstverständlich«, erwiderte er. Dann aber kam ihm der Gedanke, daß er es nicht war, daß er seit mehr als einem Monat nicht bloß ein Mensch war. »Ich bin immer noch ich, Heinz.«

»Warum mußten wir schnüffeln, um diese Tatsache aufzudecken?«

»Ich würde das nicht so sehen. Ich dachte, meine Eintragungen würden abgefragt und gelesen.«

»Aber Michael, warum haben Sie mir nichts davon gesagt? Es mag albern klingen, aber ich fühle mich verletzt. Ich dachte, ich sei eine Vertrauensperson in Ihrer Welt.«

Bernard schüttelte den Kopf und schmunzelte. »Das sind Sie in der Tat, Heinz. Sie sind mein Gastgeber. Und sobald ich mir darüber im klaren bin, wie ich es sprachlich auszudrücken habe, werde ich Ihnen alles erklären. Der Dialog zwischen den Noozyten und mir beginnt gerade erst. Ich kann nicht ausschließen, daß es noch zahlreiche fundamentale Mißverständnisse gibt.«

Paulsen-Fuchs ging zur Tür des Nebenzimmers. »Sagen Sie mir, wenn Sie bereit sind, es könnte sehr wichtig sein«, sagte er in müdem Tonfall.

»Gewiß.«

Paulsen-Fuchs ging hinaus.

Das war beinahe kalt, dachte Bernard. Ich benahm mich wie ein Außenseiter, der allen mißtraut. Und Heinz ist ein Freund.

Doch was konnte er tun?

Vielleicht näherte seine Menschlichkeit sich ihrem Ende.

30

Im sechzigsten Stockwerk erkannte Suzy, daß sie an diesem Tag nicht würde höher steigen können. Sie saß im Schreibtischsessel eines Direktors hinter einem riesigen Schreibtisch (sie hatte den grauen Anzug und das feine Seidenhemd und die Alligatorschuhe des Mannes in eine Ecke geworfen) und schaute zum breiten Fenster hinaus auf die einige zweihundert Meter unter ihr liegende Stadt. Die Wände hatten echte Holzvertäfelung und waren mit signierten Drucken von Werken Norman Rockwells in bronzierten Rahmen geschmückt. Sie aß Zwieback mit Marmelade und Erdnußbutter aus ihrem in der Plastiktüte mitgebrachten Vorrat und trank dazu Mineralwasser aus der gut sortierten Bar des Geschäftsmannes.

Ein vor dem Fenster aufgestelltes Messingteleskop bot eine großartige Gelegenheit, ihre heimatliche Nachbarschaft zu beobachten, die inzwischen völlig in die ledrigen braunen Laken eingehüllt war. Auch konnte sie alles beobachten, was sie im Süden und Westen interessierte. Der Fluß um Governors Island sah nicht mehr wie Wasser aus, sondern schlammig und wie gefroren, und eigentümlich verfestigte Wellen breiteten sich kreisförmig aus, um anderen Wellen zu begegnen, die von Ellis Island und Liberty Island ausgingen. Das alles sah mehr wie geharkter Sand denn wie Wasser aus, aber sie wußte, das es nicht zu Sand geworden sein konnte.

»Du mußt sehr reich gewesen sein und eine Menge Geld verdient haben«, sagte sie zu dem grauen Anzug und dem seidenen Hemd und den Schuhen. »Ich meine, es ist hübsch hier, und elegant. Ich würde dir danken, wenn ich könnte.« Sie trank die Flasche leer und steckte sie in einen hölzernen Papierkorb unter dem Schreibtisch.

Der Schreibtischsessel war so bequem, daß man darin schlafen konnte, aber sie hoffte, ein Bett zu finden. In Fernsehfilmen sah man manchmal reiche Geschäftsleute, die in ihren Büroräumen private Schlafzimmer eingerichtet hatten. Dieses Büro sah sicherlich vornehm genug aus. Aber im Moment war sie zu müde, um nach einem Schlafzimmer zu suchen.

Die Sonne ging über New Jersey nieder, und Suzy massierte sich die strapazierten Beinmuskeln.

Der größte Teil der Stadt, so weit sie sehen konnte, war verhängt mit braunen und schwarzen Decken. Es gab keine bessere Beschreibung. Jemand war gekommen und hatte alle Gebäude in Manhattan bis zum zehnten oder zwanzigsten Stockwerk in Decken gehüllt. Von Zeit zu Zeit sah sie riesige Bahnen des Materials auffliegen und davonsegeln, wie sie es schon in Brooklyn beobachtet hatte, aber anscheinend hatte der Wind nachgelassen, denn es gab jetzt weniger von dieser Aktivität.

»Leb wohl, Sonne«, sagte sie. Der kleine rote Bogen versank hinter dem Horizont, und zum ersten Mal in ihrem Leben sah sie in der letzten Sekunde gebrochenen Lichts ein kurzes Aufleuchten von Grün. Sie hatte in der Schule davon gehört; die Lehrerin hatte gesagt, es sei ein sehr seltenes Phänomen (und hatte sich nicht die Mühe gemacht zu erklären, wodurch es verursacht wurde), und nun lächelte sie voll Freude. Sie hatte es tatsächlich gesehen.

»Ich bin eben privilegiert, das ist es«, sagte sie. Und das brachte sie auf eine Idee. Sie war nicht sicher, ob es einer ihrer unheimlichen Anflüge von Einsicht war, oder ob es sich bloß um einen Tagtraum handelte. Sie wurde beobachtet. Das Braune beobachtete sie, und der Fluß. Die Häuflein der Kleider. Was aus den Menschen geworden war, beobachtete sie. Es war keine unangenehme Art von Beobachtung, weil Suzy wußte, daß sie ihnen gefiel. Sie würde unverändert bleiben, solange sie weiterhin tat, was sie tat.

»Nun, ich muß mir mein Bett suchen«, sagte sie, stemmte sich aus dem Schreibtischsessel hoch und reckte die Arme. »Hübsches Büro«, sagte sie zu dem grauen Anzug.

Hinter dem Sekretärinnenschreibtisch im Vorzimmer war eine unmarkierte Tür. Sie öffnete sie und fand eine Kammer voll von Akten und Papieren, die auf Regalen gestapelt waren, darunter verschiedene Büromaterialien und einen eigentümlichen kleinen Kasten mit einem glimmenden roten Licht. Etwas versorgte ihn noch mit Elektrizität. Vielleicht war es ein Einbruchsalarm, dachte sie, eine von Batterien gespeiste Anlage. Oder vielleicht war es ein Rauchdetektor. Sie schloß die Tür und ging in die entgegengesetzte Richtung. Um die Ecke vom großen Büro war eine weitere Tür, und sie trug eine Messingplakette mit der Aufschrift PRIVAT. Sie nickte und probierte den Drücker. Die Tür war verschlossen, aber mittlerweile war sie routiniert in der Beschaffung von Schlüsseln. Sie fand einen wahrscheinlichen Kandidaten in der Schreibtischschublade und steckte ihn ins Schloß. Er öffnete die Tür.

Der Raum war dunkel. Sie schaltete die Taschenlampe ein. Der breitgefächerte Lichtkegel wanderte über ein bequem aussehendes Bett, einen Nachttisch, einen Tisch mit einem kleinen Computeranschluß in einer Ecke, und…

Suzy schrie auf. Sie hörte ein dumpfes Geräusch und sah aus den Augenwinkeln, wie ein kleines Ding unter den Schreibtisch und andere Dinger unter das Bett huschten. Sie hob den Lichtkegel. Neben dem Bett erhob sich eine Röhre. Auf ihrem Ende saß ein runder Gegenstand mit vielen flachen, dreieckigen Facetten und Strähnen oder Fransen, die von den Seiten hingen. Es schwankte und versuchte, dem Lichtschein zu entgehen. Etwas Kleines und Dunkles sauste an ihren Füßen vorbei, und sie sprang zurück und leuchtete auf ihre Schuhe.

Es mochte eine Ratte gewesen sein, aber dafür war es zu groß und nicht richtig geformt, und für eine Katze wiederum zu klein. Es hatte viele große Augen oder glänzende Teile an einem runden Kopf, aber nur drei mit rotem Pelz bedeckte Beine. Es rannte in das große Büro. Hastig schloß Suzy die Tür zum Schlafzimmer und wich zurück, eine Hand vor dem Mund.