»Ach du liebe Zeit«, sagte Paulsen-Fuchs.
»Und wahrscheinlich bleiben mir nur noch ein paar Wochen.«
»Das sagten Sie schon bei Ihrer Ankunft — nur sprachen Sie damals von einer Woche.«
»Ich kann die Veränderungen jetzt spüren. Es geht langsam voran, aber es wird doch dazu kommen.«
Sie starrten einander durch das Dreischichtenglas an. Paulsen-Fuchs setzte mehrere Male zum Sprechen an, brachte aber nichts hervor. Dann hob er hilflos die Hände und ließ sie fallen.
»Ja«, sagte Bernard seufzend.
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Ja, fertig — alle Leitungen entwirrt und angeschlossen — wir alle sind hier ein wenig nervös, machen Sie sich nichts aus dem Zähneklappern. Aufnahme jetzt? Und die Direktleitung… ja, Arnold? 1,2,3, Lloyd Upton hier, ja, das ist richtig… In Ordnung. Colin, diese Flasche. Wird der orangefarbene Anzug das Videobild nicht stören? Mich stört er. Fangen wir an!
Hallo, ich bin Lloyd Upton vom britischen Zweig des Sendernetzes Europäischer Rundfunkanstalten. Ich befinde mich jetzt zwanzigtausend Meter über dem Herzland der Vereinigten Staaten von Amerika, im Nachrichtenraum eines als Höhenfernaufklärer umgebauten B1-Kampfflugzeugs, des RB-IH. Mit mir sind Korrespondenten von vier großen Kontinentalen Sendergruppen, von internationalen Nachrichtenagenturen und der BBC. Wir sind die ersten zivilen Berichterstatter, die seit dem Ausbruch der schrecklichsten Seuche in der Menschheitsgeschichte die Vereinigten Staaten überfliegen. In unserer Begleitung befinden sich zwei namhafte Wissenschaftler, die wir auf der Rückkehr von unserem Aufklärungsflug, auf dem bisher eine Durchschnittsgeschwindigkeit von Mach 2 erreicht wurde, eingehend zu den beobachteten Erscheinungen befragen werden.
In nur acht Wochen, zwei kurzen Monaten, hat der gesamte nordamerikanische Kontinent eine kaum zu beschreibende Umwandlung erfahren. Alle vertrauten Landmarken — ganze Städte — sind unter der Landschaft eines biologischen Alptraums verschwunden oder umgewandelt worden. Unsere Maschine folgte einem Zickzackkurs von New York nach Atlantic City, dann hinüber nach Washington, durch Virginia, Kentucky und Ohio, und bald werden wir auf eine Höhe von eintausend Metern heruntergehen und Chikago, Illinois und die Großen Seen überfliegen. Dort werden wir umkehren und die Ostküste südwärts nach Florida fliegen, von dort über den Golf von Mexiko, wo wir von einem auf dem Marinestützpunkt Guantanamo, auf Kuba, der wie durch ein Wunder den Auswirkungen der Seuche entgangen ist, stationierten Tankflugzeug Treibstoff übernehmen werden.
Wir können den Kummer vieler in England, Europa und Asien wie in anderen Teilen der Welt gestrandeten Amerikaner verstehen. Ich fürchte sehr, daß wir ihnen mit diesem historischem Überflug keine Tröstung bringen können. Was wir gesehen haben, kann keinen Menschen erfreuen. Gleichwohl haben wir nicht Verlassenheit beobachtet, sondern vielmehr eine unheimliche und — wenn ich hier ein ästhetisches Urteil abgeben darf — wundersame Landschaft, gestaltet von einer völlig neuen Lebensform, deren Ursprünge in geheimnisvolles Dunkel gehüllt sind. Spekulationen, daß die Seuche in einem biogenetischen Laboratorium bei San Diego, Kalifornien, entstand, sind von amtlicher Seite weder bestätigt noch dementiert worden, und uns war es bisher nicht möglich, eine potentielle Schlüsselfigur in dem Drama zu interviewen, den berühmten Neurochirurgen Dr. Michael Bernard, der gegenwärtig bei Wiesbaden in Quarantäne gehalten wird.
Während dieses Fluges senden wir Videoaufzeichnungen und Einzelaufnahmen unserer Reihenbildkameras. Einige Bildfolgen werden direkt übertragen, andere ausgewertet und geschnitten, um dieser historischen Lifesendung zu einem späteren Zeitpunkt zu folgen.
Wie kann ich die Landschaft unter uns bildhaft beschreiben? Ein neues Vokabular, eine neue Sprache mag dazu notwendig sein. Strukturen und Formen, die Biologen und Geologen bislang unbekannt waren, haben die Städte und ihre Vororte abgelöst und sogar die unbewohnten Gebiete Nordamerikas umgewandelt. Während die Wälder ihr Aussehen weitgehend behalten haben, sind weite landwirtschaftliche Flächen zu grüngrauen Dickichten geworden. Durch Teleobjektive haben wir da und dort Bewegung in diesen Komplexen beobachtet, elefantengroße Objekte, die sich auf unbekannte Weise fortbewegen. Wir haben gesehen, wie Flüsse in eine Art Kontrollierter Strömung überführt wurden und Strömungsmuster zeigen, die dem Fluß natürlicher Wasserwege unähnlich sind. An der Atlantikküste, vor allem aber in der Nachbarschaft von Städten wie New York und Atlantic City, ist der Ozean selbst über eine Entfernung von zehn bis zwanzig Kilometern bedeckt mit einer anscheinend lebenden Schicht glänzender, glasig-grüner Materie.
Was die Städte selbst betrifft, so konnten wir kein Zeichen vertrauten Lebens feststellen, auch keine Zeichen überlebender Menschen. Das Stadtgebiet von New York ist heute ein fremdartiges Gewirr teils organisch anmutender, teils geometrischer Formen, eine Stadt, die offensichtlich niedergerissen worden ist und nun nach den Bedürfnissen der Seuche umgestaltet wird — wenn eine Seuche Ziele und Bedürfnisse haben kann. Tatsächlich bestätigt alles, was wir, gesehen haben, die volkstümlichen Gerüchte, nach denen Nordamerika der Invasion einer Form intelligenten biologischen Lebens erlegen ist — das heißt, intelligenter Mikroorganismen, die zusammenarbeiten, mutieren, sich anpassen und ihre Umwelt verändern. New Jersey und Connecticut zeigen ähnliche biologische Formationen, die wir Journalisten »Megaplexe« zu nennen uns angewöhnt haben, da uns ein passenderer Ausdruck fehlt. Wir überlassen die weitere Verfeinerung der Nomenklatur den Wissenschaftlern.
Wir gehen jetzt tiefer. Die Stadt Chikago liegt im Bundesstaat Illinois am Südwestende des Michigansees, eines riesigen Süßwasserreservoirs. Wir befinden uns gegenwärtig einhundert Kilometer von Chikago entfernt und überfliegen den Michigansee in südwestlicher Richtung. Schwenken wir die Kamera, um zu zeigen, was wir, die Korrespondenten, Wissenschaftler und Besatzungsmitglieder an Bord dieser Maschine, mit eigenen Augen sehen. Dieser besondere Bildschirm, der sich durch hohes Auflösungsvermögen auszeichnet, zeigt die Oberfläche des Michigansees absolut glatt, ähnlich der Oberfläche des Ozeans im Umkreis der großen Hafenstädte. Das Gitternetz ist vermutlich für kartographische Zwecke. Verzeihen Sie, daß ich meinen Finger ins Bild bringe, aber ich möchte diese eigentümlichen Merkmale zeigen, die wir schon in den Wassern des Hudson gesehen haben, diese charakteristischen, sehr lebhaft erscheinenden gelbgrünen Kreise oder Atolle, von denen äußerst komplexe Linien wie die Speichen eines Rades ausstrahlen. Eine Erklärung für diese Formationen ist nicht bekannt, obwohl Satellitenaufnahmen bisweilen gezeigt haben, daß Ausläufer der Speichen sich rasch zum Ufer hin verlängerten, um dort Verbindung mit topographischen Veränderungen aufzunehmen, die auf dem Festland stattfanden.
Wie bitte? Ja, ich verstehe. Wir sind… ah… soeben unterrichtet worden, daß einige dieser Phänomene vorläufig der Geheimhaltung unterliegen.
Wir haben den Kurs geändert und gehen in einem weiten Bogen über Waukegan, Illinois nieder. Illinois ist bekannt für das Fehlen von Bodenerhebungen und für seine Automobile, da Detroit in… nein, Detroit ist oder war in Michigan. Ja. Illinois ist bekannt für seine flache Topographie, und Chikago trug den Beinamen Windy City, wegen der Winde, die oft vom Michigansee hereinblasen. Wie wir sehen können, ist die Topographie jetzt zu Strukturen verändert worden, die an Farmgebiete erinnern, doch sind die Unterteilungen nicht rechteckig oder gitterförmig, sondern oval oder kreisförmig, wobei kleinere Kreise die Räume zwischen den größeren ausfüllen. Im Mittelpunkt eines jeden Kreises liegt ein Hügel, eine Erhebung, die an die Zentralkegel von Mondkratern erinnert. Diese Kegel — ja, ich sehe, daß sie tatsächlich kegelförmige Pyramiden mit konzentrischen Ringen oder Stufen sind, haben wahrscheinlich eine Funktion, die uns jedoch nicht bekannt ist. Die Spitzen dieser Kegel sind orangefarben, etwa wie der Fluganzug, den ich trage. Leuchtfarbenorange, sehr auffallend.