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Die eigentliche Überraschung war gekommen, als er seine veränderten Mikroben überprüft hatte. Die Rechenkapazität selbst der bakteriellen DNS war enorm, verglichen mit von Menschen entwickelter Elektronik. Vergil brauchte nur zu nutzen, was bereits vorhanden war, den entscheidenden Anstoß zu geben.

Mehr als einmal hatte er das unheimliche Gefühl, daß seine Arbeit zu leicht voranging, daß er weniger ein Schöpfer sei als viel mehr ein Diener… Wie anders war zu erklären, daß die Moleküle wie von selbst in ihren zugewiesenen Platz zu fallen schienen, oder in solch einer Weise versagten, daß er seine Irrtümer klar erkannte und sogleich wußte, wie er sie zu berichtigen hatte?

Der unheimlichste Augenblick aber kam, als er begriff, daß er mehr tat als winzige Computer zu schaffen. Sobald er den Prozeß in Gang gesetzt und die genetischen Sequenzen eingeschaltet hatte, welche die biologischen DNS-Abschnitte zusammensetzten und duplizieren konnten, begannen die Zellen als autonome Einheiten zu funktionieren. Sie begannen für sich selbst zu »denken« und komplexere »Gehirne« zu entwickeln.

Seine ersten E. coli-Mutationen hatten die Lernfähigkeit von Plattwürmern gehabt; er hatte sie durch einfache Labyrinthe laufen lassen und Zuckerbelohnungen gegeben. Bald hatten sie die Plattwürmer übertroffen. Die Bakterien — niedere Prokaryoten — machten ihre Sache besser als vielzellige Eukaryoten! Und innerhalb von Monaten hatte er sie dazu gebracht, daß sie — Anpassungen des Maßstabs vorausgesetzt — Leistungen erbrachten, die diejenigen von Mäusen vergleichbar waren.

Nachdem er die besten biologischen Sequenzen der veränderten E. coli isoliert hatte, war er daran gegangen, sie in B-Lymphozyten einzuschleusen, weiße Blutkörperchen aus seinem eigenen Blut. Er hatte viele Intronketten — selbstduplizierende Sequenzen von Basenpaaren, die anscheinend nicht für Proteine zu verschlüsseln waren und einen überraschenden Prozentsatz von eukaryotischer Zell- DNS enthielten — durch seine eigenen entsprechenden Ketten ersetzt. Indem er künstliche Proteine und Hormone als Kommunikationsmittel einsetzte, »erzog« Vergil die Lymphozyten im Laufe der Zeit dazu, daß sie miteinander und mit ihrer Umgebung soviel wie möglich in Wechselwirkung traten, was auf ein sehr viel komplexeres Miniaturlabyrinth hinauslief. Die Ergebnisse waren weit besser als er erwartet hatte.

Die Lymphozyten hatten gelernt, die Schwierigkeiten des Labyrinths mit unglaublicher Geschwindigkeit zu meistern und ihre nahrhaften Belohnungen zu gewinnen.

Er wartete, bis die Probe hinreichend angewärmt war, um aktiv zu sein, dann schob er den Glasstreifen in den Objektträger eines Mikroskops, setzte den Video- Aufnahmekopf auf das Okular und übertrug das Bild auf den ersten von vier Bildschirmen, die in einer Reihe über dem Arbeitstisch angebracht waren. Dort waren ganz deutlich die ungefähr kreisförmigen Lymphozyten zu sehen, in die er zwei Jahre seines Lebens investiert hatte.

Geschäftig übertrugen sie genetisches Material aufeinander, wobei sie sich langer, röhrenförmiger Auswüchse bedienten. Einige der charakteristischen Eigenschaften, die sie während der E. coli-Experimente angenommen hatten, waren auf die Lymphozyten übertragen worden, auf welchem Wege, das wußte er noch nicht genau. Die reifen Lymphozyten reproduzierten sich nicht von selbst, doch frönten sie mit scheinbar unermüdlicher Energie dem Austausch genetischen Materials.

Jedes weiße Blutkörperchen in der Probe, die er beobachtete, hatte das intellektuelle Potential eines Rhesusaffen. Aus der Einfachheit ihrer Aktivität war dies zwar nicht ersichtlich; aber schließlich hatten sie es in ihrem bisherigen Leben ziemlich leicht gehabt.

Er hatte auf der Ebene chemischer Erziehung zu ihnen gesprochen und sie soweit aufgebaut, wie er es für zweckmäßig hielt. Nun war ihr kurzes Leben zu Ende — er hatte Anweisung, sie zu töten. Nichts leichter als das: er brauchte bloß Detergentien in die Behälter zu träufeln, und ihre Zellmembranen würden sich auflösen. Sie würden der Vorsicht und Kurzsichtigkeit einer Gruppe kaufmännisch denkender Plattwurmtypen geopfert.

Er begann vor Aufregung zu schnaufen, als er die geschäftige Tätigkeit der Lymphozyten beobachtete. Sie waren schön. Sie waren seine Kinder, seinem eigenen Blut entnommen, sorgfältig ernährt und operiert; er selbst hatte das biologische Material in mindestens tausend von ihnen injiziert. Und nun waren sie mit Eifer dabei, all ihre Gefährten umzuwandeln, und so weiter, und so weiter…

Wie Washoe, die Schimpansin, die ihr Kind lehrte, in der Taubstummensprache zu sprechen, gaben sie die Fackel potentieller Intelligenz weiter. Wie würde er je wissen, ob sie ihr gesamtes Potential nutzbar machen konnten?

Pasteur.

»Pasteur«, sagte er laut. »Jenner.«

Sorgsam bereitete er eine Injektion vor. Die Brauen zusammengezogen, stieß er die Kanüle durch den Wattestöpsel des ersten Reagenzglases und tauchte sie in die Lösung. Er zog die Spritze auf. Die pastellfarbene Flüssigkeit füllte den zylindrischen Raum; fünf, zehn, fünfzehn Kubikzentimeter.

Minutenlang hielt er die Spritze in Augenhöhe und war sich dabei bewußt, daß er im Begriff war, überstürzt zu handeln. Bis jetzt, dachte er zu seinen Schöpfungen, habt ihr es leicht gehabt. Sitzt in eurem Serum und furzt herum und absorbiert alle Hormone, die ihr braucht. Müßt nicht mal für euren Lebensunterhalt arbeiten. Keine strengen Tests, kein Streß. Keine Notwendigkeit, von dem Gebrauch zu machen, was ich euch mitgab.

Was also sollte er tun? Sie in ihrer natürlichen Umgebung arbeiten lassen? Indem er sie sich selbst injizierte, könnte er sie hinausschmuggeln und später genug von ihnen wiedergewinnen, um das Experiment neu zu beginnen.

»He, Vergil!« Ernesto Villar klopfte an den Türrahmen und steckte den Kopf herein. »Wir haben den Film von der Rattenarterie. Wir kommen in Zimmer 233 zusammen.« Er trommelte mit den Fingern an den Türrahmen und lächelte strahlend. »Sie sind eingeladen. Wir brauchen unseren hauseigenen Schlaumeier.«

Vergil ließ die Spritze sinken und blickte ins Leere.

»Vergil?«

»Ich werde kommen«, sagte er mit tonloser Stimme.

»Lassen Sie sich nicht zu lange Zeit«, sagte Villar. »Wir werden mit der Premiere nicht lange warten.« Er verschwand aus der Türöffnung. Vergil lauschte den sich entfernenden Schritten.

Wirklich, es war übereilt. Er steckte die Kanüle wieder durch den Wattestöpsel, spritzte das Serum zurück ins Reagenzglas und legte die Spritze in ein Alkoholbad.

Darauf steckte er das Reagenzglas wieder in das Kunststoffkissen und tat es in den Kühlschrank. Bisher waren die Spinnerflasche und das Kissen mit Reagenzgläsern lediglich mit seinem Namen gekennzeichnet gewesen. Nun zog er das Namensetikett ab und ersetzte es durch ein anderes mit der Aufschrift: BIOCHIP-PROTEINMUSTER; LABORVERSAGER 21-32. Die Flasche beklebte er mit Einem anderen Etikett: RATTEN-ANTIGEN, LABORVERSAGER 13-14. Niemand würde sich an anonymen und nicht analysierten Laborversagern vergreifen. Versager waren, sofern sie nicht gleich der Vernichtung anheimfielen, bis zu ihrer Analyse unantastbar.

Er brauchte Zeit zum Nachdenken.

Rothwild und zehn am MAB-Projekt beteiligte Wissenschaftler hatten sich in Zimmer 233, einem leeren Laborraum, der gegenwärtig für Zusammenkünfte genutzt wurde, vor einem Großbildempfänger versammelt. Rothwild war ein adretter, gewandter Bursche, der als Kontrolleur und Mittler zwischen Geschäftsleitung und den Forschungsabteilungen diente. Er stand neben dem Bildschirm, elegant in beigefarbenem Jackett und schokoladenbrauner Hose. Villar bot Vergil einen avocadogrünen Plastikstuhl an, und er setzte sich in die hintere Reihe, schlug die Beine übereinander und verschränkte die Hände hinter dem Kopf.