Großer Gott! Das war anscheinend der Wiedereintritt eines ausgedienten Satelliten in die obere Atmosphäre, vielleicht ein paar Dutzend Kilometer entfernt. Detektoren an Bord der Maschine geben Strahlungsalarm. Die Besatzung hat alle Notsysteme aktiviert, und wir befinden uns jetzt in einem steilen Steigflug aus der Gefahrenzone, mit… ja… nein, wir gehen tiefer und zeigen dem Objekt, was immer es war, ein Heckprofil…
Hier wird davon gesprochen, daß die Feuerkugel möglicherweise eine wieder in die Erdatmosphäre eintretende Interkontinentalrakete war, die jedoch nicht zündete, andernfalls würden wir kaum noch hier sein, und nun…
(Mehr Stimmen, die verwirrt durcheinander rufen; weitere Alarmsignale.)
Großer Gott! Nein! Ich fürchte, wir können die Maschine nicht mehr abfangen. Die meisten Instrumente und die Triebwerke sind ausgefallen, und wir sind in einem antriebslosen Sturzflug. Noch ist die Radioverbindung intakt, aber…
(Ende der Sendung RB-IH. Ende der Direktübertragung Lloyd Upton für das Sendernetz Europäischer Rundfunkanstalten. Ende der wissenschaftlichen Telemetrie.)
34
Bernard lag auf dem Feldbett, einen Fuß am Boden, das andere Bein angezogen und den Fuß gegen eine Falte in der Matratze gestützt. Er hatte sich seit einer Woche weder rasiert noch gebadet. Seine Haut war gezeichnet von weißlichen Schwielen, und aus den Schienbeinen hatten sich beulenartige Auswüchse entwickelt, die bis zu den Mittelfußknochen reichten. Sogar unbekleidet sah er aus, als trage er ausgestellte Hosen.
Ihm war es gleich. Mit Ausnahme seiner einstündigen Sitzung mit Paulsen-Fuchs und seiner täglichen Untersuchung, die etwa zehn Minuten in Anspruch nahm, verbrachte er einen großen Teil seiner Zeit auf dem Feldbett, wo er, die Augen geschlossen, mit den Noozyten kommunizierte. Den Rest der Zeit widmete er dem Bemühen, die chemische Sprache zu entschlüsseln. Er hatte wenig Hilfe von den Noozyten erhalten. Das letzte Gespräch über den Gegenstand hatte drei Tage zuvor stattgefunden.
Deine Konzeption ist nicht vollständig, nicht richtig.
— Sie ist noch nicht fertig.
Warum läßt du deine Kameraden nicht mit der Arbeit fortfahren? Es kann mehr erreicht werden, wenn du deine Aufmerksamkeit nach innen lenkst.
— Es wäre einfacher, wenn ihr mir einfach sagen würdet, wie ihr kommuniziert…
Wir WÜNSCHEN, wir könnten mehr »rein« miteinander sein, aber Befehlsgruppen glauben, daß Verschwiegenheit jetzt das Beste ist.
— Das kann ich mir denken!
Die Noozyten wollten ihm und den Forschern außerhalb der Isolierkammer also Informationen vorenthalten. Die Leute der Pharmek wiederum verschwiegen ihm in letzter Zeit immer mehr. Bernard konnte über die Gründe nur Mutmaßungen anstellen; er hatte Paulsen-Fuchs wegen der allmählichen Reduktion von Nachrichten und Untersuchungsergebnissen nicht zur Rede gestellt. In mancher Weise schien es ihm kaum der Mühe wert; er hatte mehr als genug zu tun, sich den Wechselwirkungen der Noozyten anzupassen.
Der Datenanschluß war noch eingeschaltet, zeigte noch immer Datenmaterial, das dem Computer vor drei Tagen eingegeben worden war. Die roten Linien hatten die grünen Zahlenkolonnen jetzt vollständig verdrängt. Von Zeit zu Zeit kamen blaue Linien hinzu. Die Kurven ihres Koordinatensystems flachten sich mehr und mehr ab, als die chemische Zusammensetzung in eine vermittelnde mathematische Sprache umgesetzt wurde, die in der nächsten Phase in eine Art Hilfssprache formaler Logik übersetzt würde. Aber diese nächste Phase war noch Wochen oder Monate entfernt.
Sein Gedankengang löste eine untypische Unterbrechung von Seiten der Noozyten aus.
Bernard, arbeitest du noch immer an unserer »Blutmusik«?
Hatte Ulam diese Wendung nicht auch einmal gebraucht?
Ist es dein WUNSCH, dich auf unserer Ebene zu uns zu gesellen? Wir hatten diese Möglichkeit nicht erwogen.
— Ich verstehe nicht recht, was ihr damit andeuten wollt.
Der Teil von dir, der hinter allen ausgegebenen Kommunikationen steht, mag verschlüsselt, aktiviert, zurückgegeben werden. Es wird wie ein TRAUM sein, wenn wir völlig verstehen, was das ist. (ANMERKUNG: Du träumst die ganze Zeit. Wußtest du das?)
— Ich kann einer von euch werden?
Wir denken, das ist eine richtige Einschätzung. Du bist bereits einer der unsrigen. Wir haben Teile von dir in viele Arbeitsgruppen verschlüsselt. Wir können deine PERSÖNLICHKEIT verschlüsseln und den Kreis schließen. Du wirst einer der unsrigen sein — zeitweilig, solltest du das wollen. Wir können es jetzt tun.
— Ich fürchte mich. Ich fürchte, ihr werdet mir die Seele stehlen…
Deine SEELE ist bereits verschlüsselt, Bernard. Wir werden nichts einleiten, solange wir nicht von all deinen geistigen Fragmenten die Erlaubnis erhalten.
»Michael?« Paulsen-Fuchs’ Stimme riß ihn aus dem inneren Zwiegespräch. Bernard schlug die Augen auf und blinzelte zum Fenster des benachbarten Raums. »Michael? Sind Sie wach?«
»Ich bin wach. Was gibt es?«
»Vor einigen Tagen gaben Sie uns Ihre Einwilligung, Sean Gogarty zu empfangen. Er ist jetzt hier.«
Michael stand auf. »Ja, verstehe. Dort bei Ihnen? Meine Sicht ist verschwommen.«
»Nein, draußen. Ich denke, Sie werden sich vorher anziehen und säubern wollen.«
»Wozu?« erwiderte Bernard gereizt. »Ganz gleich, wie oft ich mich rasiere, ich werde keinen hübschen Anblick bieten.«
»Sie wünschen ihn zu empfangen, wie Sie sind?«
»Ja. Bringen Sie ihn herein. Sie unterbrachen gerade ein interessantes Zwiegespräch, Heinz.«
»Wir alle werden für Sie jetzt immer mehr zu bloßen Unterbrechungen, nicht wahr?«
Bernard versuchte zu lächeln. Sein Gesicht fühlte sich steif an, unvertraut. »Bringen Sie ihn herein, Heinz!«
Sean Gogarty, Professor für theoretische Physik am Kings College der Universität London, betrat den Beobachtungsraum und beschirmte mit einer Hand die Augen, als er in die Isolierkammer spähte. Sein Gesicht war offen und freundlich, mit vorstehenden Vorderzähnen und einer langen Nase. Er war groß und hielt sich gut, und unter seinem Jackett aus irischer Wolle wirkten seine Arme kräftig und muskulös. Aber sein Lächeln verblaßte, und die Augen hinter der modischen Brille wurden schmal, als er Bernard sah. »Dr. Bernard?« sagte er zögernd. Seine Stimme hatte einen angenehmen irischen Dialekt mit einem Firnis von Oxford.
»Dr. Gogarty.«
»Ja, nun… ah… Ich weiß von Ihnen, und ich bin sicher, daß Sie nie von mir gehört haben, Dr. Bernard.« Wieder das Lächeln, aber die Selbstsicherheit war dahin, und er schien gründlich beunruhigt. Als hätte er, dachte Bernard, ein menschliches Wesen erwartet und sehe sich nun…
»Heinz — Dr. Paulsen-Fuchs — hat mich über einige Ihrer Arbeiten unterrichtet. Es geht etwas über meine Begriffe, Dr. Gogarty.«
»Geradeso wie diese Ereignisse in Ihrem Land über meine Begriffe gehen. Ich habe ein paar Punkte, die ich gern mit Ihnen erörtert hätte, Dr. Bernard, und nicht bloß mit Ihnen.«
Paulsen-Fuchs warf ihm einen etwas besorgten Seitenblick zu. Diese Zusammenkunft war unzweifelhaft von den beteiligten Regierungen abgesegnet worden, dachte Bernard, oder es wäre nie dazu gekommen. Aber Paulsen-Fuchs befand sich trotzdem in einem Zustand sichtlicher Anspannung.
»Meine Kollegen?« Bernard machte eine Handbewegung zu Paulsen-Fuchs.
»Nein, nicht ihre menschlichen Kollegen?« sagte Gogarty.
»Meine Noozyten.«
»Noozyten? Ja, ja, ich verstehe. Ihre Noozyten. Teilhard de Chardin hätte diesen Namen gebilligt, denke ich.«
»Ich habe in letzter Zeit nicht viel an Teilhard de Chardin gedacht«, antwortete Bernard, »aber er mag kein schlechter Führer sein.«