»Ja, gut, ich habe es mit knapper Not geschafft, hierher zu kommen«, sagte Gogarty, »und meine Zeit war und ist leider begrenzt. Ich habe Ihnen einen Gedanken vorzutragen und möchte Sie und Ihre kleinen Kollegen bitten, ein Urteil darüber abzugeben.«
»Wie erhielten Sie detaillierte Information über mich und über die Noozyten?« fragte Bernard.
»Fachleute aus ganz Europa zerbrechen sich den Kopf über diese Fragen. Jemand kam zu mir, weil er eine Idee hatte. Ich hoffe, es wird seine berufliche Karriere nicht beeinträchtigen. Nicht alle Kollegen zollen mir den höchsten Respekt, Dr. Bernard. Meine Ideen sind, so fürchte ich, bisweilen mehr als nur ein bißchen weit hergeholt.«
»Dann lassen Sie hören!« sagte Bernard mit wachsender Ungeduld.
»Ja. Ich nehme an, Sie haben nicht viel über Informationsmechanik gehört?«
»Nicht ein Flüstern«, sagte Bernard.
»Ich arbeite auf einem sehr spezialisierten Gebiet dieses Zweiges der Physik — einem noch nicht anerkannten Gebiet, das sich mit den Auswirkungen von Informationsverarbeitung auf die Raumzeit beschäftigt. Ich werde versuchen, es mit einfachen Worten auszudrücken, weil die Noozyten bereits mehr wissen mögen als ich und besser in der Lage sein werden, es Ihnen zu erklären…«
»Verlassen Sie sich nicht darauf! Die Noozyten schätzen Komplexität, und ich teile diese Vorliebe durchaus nicht.«
Gogarty saß einige Sekunden still und wie in sich versunken, bis Paulsen-Fuchs ihn besorgt ansah.
»Dr. Bernard, ich habe eine große Menge theoretischer Strukturen gesammelt, welche die folgende Aussage stützt.« Tiefer Atemzug. »Informationsverarbeitung hat eine Wirkung auf Ereignisse, die im Raumzeitkontinuum stattfinden. Bewußte Wesen spielen im Universum eine integrale Rolle; wir bestimmen seine Grenzen und im großen Umfang seine Natur, wie es unsere Natur bestimmt. Ich habe Grund zu der Annahme — bloß eine Hypothese einstweilen —, daß wir physikalische Gesetze weniger entdecken als vielmehr an ihnen mitarbeiten. Unsere Theorien werden an früheren Beobachtungen von uns selbst und anderen erprobt — und vom Universum selbst. Wenn das Universum zustimmt, daß vergangenen Ereignissen nicht von einer Theorie widersprochen wird, dann gewinnt die Theorie Schablonencharakter. Das Universum geht darauf ein. Je besser die Theorie den Tatsachen entspricht, desto länger hat sie Bestand — wenn ihr überhaupt ein Bestand beschieden ist. Dann unterteilen wir das Universum in Territorien — unser besonderes Territorium als Menschen zeichnet sich infolgedessen durch ganz besondere Eigenschaften aus. Kein extraterrestrischer Kontakt, verstehen Sie? Wenn es jenseits der Erde andere intelligente Wesen gibt, würden sie weitere Territorien der Theorie besetzen. Wir würden zwischen den Theorien verschiedener Territorien keine größeren Differenzen erwarten — schließlich spielt das Universum eine bedeutende Rolle —, aber kleine Differenzen wären zu erwarten.
Die Theorien können nicht für allezeit wirksam sein. Das Universum ist in steter Veränderung begriffen; wir können uns Regionen der Realität vorstellen, die sich entwickeln, bis neue Theorien notwendig sind. Bislang hat die Menschheit nicht Annähernd die Dichte oder Menge von Informationsverarbeitung erzeugt, um wirklich erkennbare Auswirkungen auf die Raumzeit zu haben. Wir haben keine so vollständigen Theorien geschaffen, daß sie die Evolution der Wirklichkeit festhalten könnten. Aber das alles hat sich geändert, vor kurzer Zeit.«
Hör gut auf den GOGARTY!
Bernard merkte auf und begann, den Worten des anderen mehr Aufmerksamkeit zu schenken.
»Leider reicht meine Zeit nicht, Ihnen meine mathematischen Berechnungen und die Wechselbeziehungen zur formalen Informationsmechanik und Quanten-Elektrodynamik darzulegen… Und ich fürchte, Sie würden nicht alles verstehen.«
»Ich höre, Professor Gogarty. Wir hören.«
Gogartys Augen weiteten sich. »Die… Noozyten? Haben sie reagiert?«
»Sie haben ihnen nicht viel gegeben, worauf sie reagieren könnten. Bitte fahren Sie fort, Professor!«
»Bisher war die dichteste Einheit der Informationsverarbeitung auf dieser Welt das menschliche Gehirn — man müßte vielleicht bestimmte Wale und Delphine miteinbeziehen, aber ich würde sagen, daß in dem Bereich nicht annähernd so viel Stimulus existiert, was auf die Menge des verarbeiteten Materials nicht ohne Auswirkung bleiben kann. Bleiben wir also bei den Menschen. Vier oder fünf Milliarden von uns denken jeden Tag. Die Auswirkungen sind gering. Zeitspannungen, kleine Erschütterungen, nicht einmal meßbar. Unsere Beobachtungsfähigkeit — unsere Fähigkeit, effektive Theorien zu formulieren — ist nicht hinreichend intensiv, um die Auswirkung zu erzeugen, die ich in meiner Arbeit entdeckt habe. Nichts im ganzen Sonnensystem, vielleicht nicht einmal in der Galaxis!«
»Sie schweifen ab, Professor Gogarty«, sagte Paulsen-Fuchs. Gogarty nickte zerstreut, ohne den Blick von Bernard zu wenden.
Er spricht von Interesse.
»Er kommt schon zur Sache, Heinz, drängen Sie ihn nicht!«
»Danke. Ich danke Ihnen sehr, Dr. Bernard. Was ich sagen möchte, ist dies: wir haben jetzt Bedingungen, die ausreichend sind, die Wirkungen zu verursachen, die ich in meinen Untersuchungen beschrieben habe. Nicht bloß vier oder fünf Milliarden individueller Denker, Dr. Bernard, sondern Billionen… vielleicht Milliarden von Billionen. Die meisten in Nordamerika. Winzig, sehr dicht, alle Aspekte ihrer Umwelt in ihre Aufmerksamkeit einbeziehend, vom sehr sehr Kleinen bis zum sehr Großen. Sie beobachten alles in ihrer Umgebung und theoretisieren über die Dinge, die sie nicht beobachten. Beobachter und Theoretiker können die Form von Ereignissen, von Realität in durchaus signifikanter Weise bestimmen. Es gibt nichts als Information, Dr. Bernard. Alle Partikel, alle Energie, selbst Raum und Zeit sind letzten Endes nichts als Information. Die Natur, die Klangfarbe des Universums kann verändert werden, Dr. Bernard. Hier und jetzt. Von den Noozyten.«
»Ja«, sagte Bernard. »Das wird sie interessieren.«
»Vor zwei Tagen«, fuhr Gogarty mit zunehmender Lebhaftigkeit fort, »führte die Sowjetunion anscheinend einen großangelegten Atomschlag gegen Nordamerika. Anders als im Fall des Angriffs auf den Panamakanal detonierte nicht ein einziger der Gefechtsköpfe.«
Bernard blickte zu Paulsen-Fuchs, zuerst unwillig, dann erheitert. Man hatte ihm nichts davon gesagt.
»Die Sowjetunion ist im Bau nuklearer Gefechtsköpfe nicht so schlecht, Dr. Bernard. Noch ist sie ohne Erfahrung darin. Es hätte eine atomare Vernichtung größten Stils geben müssen. Sie trat nicht ein. Nun, ich habe nach Beobachtungen und Informationen mehrere eindrucksvolle Diagramme zusammengestellt. Eine sehr wichtige Quelle war ein Fernaufklärer, der Wissenschaftler und Journalisten über Teile Nordamerikas flog und durch die Satellitenverbindung eine Liveübertragung für die Europäischen Rundfunkanstalten ermöglichte. Die Maschine befand sich mitten über dem Kontinent, als der Atomschlag versucht wurde. Allem Anschein nach stürzte sie ab, aber nicht wegen des Angriffs. Es gibt keine Gewißheit über die Ursachen des Absturzes, doch kann man Schlüsse aus der Art und Weise ziehen, wie Kommunikation und Telemetrie unterbrochen wurden… Der Zeitpunkt des Geschehens paßt genau in meine Theorie. Nicht nur das, sondern auch in anderen Weltteilen wurden recht eigentümliche Auswirkungen festgestellt. Funkstille, Stromausfall, meteorologische Phänomene. Bis hinaus in eine geosynchrone Umlaufbahn, wo zwei Satelliten, die zwölftausend Kilometer voneinander entfernt waren, vorübergehend Funktionsstörungen zeigten. Ich gab alle bekanntgewordenen Auswirkungen und Koordinaten der Vorfälle unserem Computer ein, der dieses Profil des Vierraumfeldes lieferte.« Er zog eine Vergrößerung von einer Computergraphik aus seiner Aktentasche. Bernard kniff die Augen zusammen, um sie besser zu sehen. Plötzlich verbesserte sich sein Sehvermögen. Er konnte sogar das Korn des Fotopapiers ausmachen. »Wie der Alptraum eines Gewichthebers«, sagte er.