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»Nicht wirklich«, sagte er.

»Sie haben recht, nicht wirklich. Aber es muß einen Zusammenhang damit haben, was mein Sohn tat.«

»Unsinn!« sagte John.

»Nein«, widersprach ihm Jerry und nickte April zu. »Ich glaube Ihnen.«

»Wenn es in La Jolla anfing und sich von dort über das Land ausbreitete, wo ist es dann am ältesten und am festesten etabliert?«

»In La Jolla«, sagte Jerry und schaute sie erwartungsvoll an. »Vielleicht fing es bei der UCSD an?«

»Nein, in La Jolla, wo Vergil arbeitete und lebte. Aber es breitete sich rasch die Küste entlang aus. Also vielleicht bis hinunter nach San Diego. Es hat sich vereint, ist zusammengekommen und hat diesen Ort zu seinem Zentrum gemacht.«

»Scheiß drauf!« sagte John.

April sagte: »Wir können nicht nach La Jolla, solange dies im Weg ist. Und ich bin hierher gekommen, um bei meinem Sohn zu sein.«

»Sie müssen zu heiß gebadet haben«, sagte John.

»Ich weiß nicht, warum Sie verschont wurden, meine Herren«, sagte April, »aber warum ich verschont geblieben bin, ist offensichtlich.«

»Weil Sie seine Mutter sind«, sagte Jerry und lachte und nickte, als hätte er eine großartige Schlußfolgerung gezogen.

»Genau«, sagte April. »Also, meine Herren, werden wir morgen zurückfahren, und wenn Sie wollen, können Sie sich mir anschließen, aber ich werde, wenn nötig, allein gehen und mich meinem Sohn anschließen.«

Jerry ernüchterte sich. »Aber das ist wirklich verrückt! Angenommen, dieses Ding oder diese Erscheinung ist etwas wahrhaft Gefährliches, wie ein schweres Gewitter, oder ein durchgeschmolzener Atomreaktor?«

»In Los Angeles gibt es keine Atomkraftwerke«, sagte John. »Aber Jerry hat recht. Es ist einfach verrückt, in diese Hölle hineinzugehen oder auch nur daran zu denken!«

»Wenn mein Sohn dort ist, wird es mir nicht schaden«, sagte April.

Jerry stocherte energisch im Feuer. »Ich werde Sie hinfahren«, sagte er, »aber ich werde nicht mit Ihnen hineingehen.«

John bedachte seinen Bruder mit einem scharfen und kritischen Blick. »Ihr seid beide übergeschnappt!«

»Ich kann auch zu Fuß gehen«, sagte April entschlossen.

John starrte, die Hände in die Hüften gestemmt, grollend seinem Bruder und April Ulam nach, die zum Lastwagen gingen. Süßlicher purpurrosa Nebel stieg aus dem Becken von Los Angeles und zog in Baumwipfelhöhe über Fort Tejon hinweg, trübte den Schein der Morgensonne und ließ alles schattenlos und geisterhaft erscheinen.

Erst als die beiden einstiegen und Jerry den Motor startete, setzte John sich in Bewegung. »He!« rief er. »Verdammt noch mal, he! Laßt mich nicht einfach hier!«

Die verlassene Fernstraße zog sich in weiten Kurven über die Höhen, und sie blickten hinab in den Strudel. Bei Tageslicht sah es kaum anders aus als am Abend zuvor.

»Es ist wie alles, was du je geträumt hast, alles zusammengerollt und durcheinandergeschoben«, sagte Jerry.

»Keine schlechte Beschreibung«, erwiderte April. »Ein Wirbel von Träumen. Vielleicht den Träumen aller Menschen, die von der Veränderung erfaßt wurden.« John hatte beide Hände am Armaturenbrett und starrte mit aufgerissenen Augen die Straße hinunter. »Es sind noch knapp zwei Kilometer Straße übrig«, sagte er. »Dann müssen wir halten.«

Jerry stimmte mit kurzem Nicken zu und verlangsamte. Mit weniger als fünfzehn Stundenkilometern näherten sie sich einem Vorhang tanzender, vertikaler Nebelstreifen. Dieser Vorhang erreichte über der Straße und zu beiden Seiten eine Höhe von annähernd fünfzehn Metern und umhüllte undeutlich sichtbare, orangefarbene Umrisse, die einmal Gebäude gewesen sein mochten.

»Herr Jesus«, sagte John.

»Halt!« befahl April, und Jerry brachte den Lastwagen zum Stillstand. Die Frau schaute John mit strengem Blick an, bis er die Tür öffnete und ausstieg, um sie hinauszulassen. Jerry schaltete den Leerlauf ein und zog die Bremse an, dann stieg er auf der anderen Seite aus.

»Sie vermissen Angehörige, nicht wahr, meine Herren?« sagte April und strich ihr zerrissenes Seidengewand glatt. Der Strudel brüllte wie ein ferner Tornado — brüllte und zischte und dröhnte.

John und Jerry nickten.

»Wenn mein Vergil hier drin ist, und ich weiß es, dann müssen sie auch dort sein. Oder wir können sie von hier erreichen.«

»Das ist verrückt«, sagte John. »Meine Frau und mein Junge können nicht dort drin sein.«

»Warum nicht? Sind sie tot?«

John starrte sie an.

»Sie wissen, daß sie nicht tot sind. Ich weiß, daß mein Sohn nicht tot ist.«

»Sie sind eine Hexe«, sagte Jerry, weniger anklagend als bewundernd.

»Sie sind nicht der erste, der das sagt. Vergils Vater sagte es, bevor er mich verließ. Aber Sie wissen es, nicht wahr?«

John begann zu zittern. Tränen rannen ihm über die Wangen. Jerry starrte mit einem ungewissen Grinsen auf den wogenden Vorhang.

»Na, John, sind sie da drin?« fragte er seinen Bruder.

»Ich weiß nicht«, antwortete John. Er schnupfte und wischte sich das Gesicht mit dem Ärmel.

April ging ein paar Schritte auf den Vorhang zu. »Danke für Ihre Hilfe, meine Herren«, sagte sie, dann ging sie weiter. Als sie in den Vorhang trat, verzerrten sich ihre Umrisse wie in einer Bildstörung im Fernsehen, und dann verschwand sie.

»Sieh dir das an!« sagte John. Sein Zittern verstärkte sich.

»Sie hat recht«, sagte Jerry. »Spürst du es nicht?«

»Ich weiß es nicht!« heulte John. »Großer Gott, Bruder, ich weiß es nicht.«

»Laß uns gehen und sie suchen!« sagte Jerry und nahm den Zwillingsbruder bei der Hand. Er zog ihn behutsam, aber John widerstrebte.

Jerry zog wieder, etwas energischer.

»Einverstanden«, sagte John leise. »Zusammen.«

Seite an Seite gingen sie die wenigen Schritte die Straße entlang und in den Vorhang.

36

Im zweiundachtzigsten Stockwerk setzte der Muskelkrampf in ihrem Oberschenkel mit solch jäher Heftigkeit wieder ein, daß sie strauchelte, mit dem Kopf gegen das Treppengeländer schlug und auf die Stufen fiel. Ihre Kniescheibe prallte schmerzhaft auf eine Stufenkante, Taschenlampe und Radio flogen aus ihren Händen auf den betonierten Treppenabsatz. Die Wasserflasche platzte auf, bespritzte sie und ergoß den Inhalt über die Stufen, während Suzy, gelähmt vom Schmerz, hilflos zusah. Es schien Stunden zu dauern — waren aber wahrscheinlich nur Minuten —, bis sie sich zum Treppenabsatz hinaufziehen, auf den Rücken legen und die Beinmuskeln entspannen konnte. Während sie mit beiden Händen das Bein massierte, schloß sie die Augen. Es fühlte sich an, als hätte sie Sand darin, so sehr wünschte sie zu weinen, aber sie hatte keine Tränen mehr.

Eine Beule an der Stirn, ein Bein, das bei jeder neuerlichen Anstrengung schmerzte, wenig Nahrung und kein Wasser, und dreißig Stockwerke waren noch zu steigen. Das Licht der Taschenlampe flackerte und ging aus, ließ sie in vollkommener Dunkelheit. »Scheiße«, sagte sie. Ihre Mutter hatte den Gebrauch dieses Wortes noch mehr beklagt als die Anrufung des Namens Gottes ohne Notwendigkeit. Da sie keine sonderlich religiöse Familie waren, galt dies als eine geringere Übertretung, abstoßend nur in Gegenwart jener, die es beleidigen würde. Aber »Scheiße« zu sagen, war das letzte. Eine Anerkennung schlechter Manieren und schlechter Erziehung, oder einfach eine disziplinlose Kapitulation vor den niedrigsten Regungen.

Suzy versuchte, aufzustehen und sank wieder zu Boden. Ein stechender Schmerz war ihr durchs Knie gefahren. »Oh, oh«, stöhnte sie. »Werde besser, bitte, werde besser!« Sie versuchte, das Knie zu massieren, wie sie es zuvor mit den Beinmuskeln getan hatte, aber das machte den Schmerz nur schlimmer.