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Rothwild sprach die einleitenden Worte. »Dies ist der Zusammenschnitt unseres Gemeinschaftsprodukts E-64. Sie alle haben daran mitgearbeitet…« Er warf Vergil einen ungewissen Blick zu. »Und nun können Sie alle an dem… ah, dem Triumph teilnehmen. Ich glaube, wir können es getrost so nennen.

E-64 ist der Prototyp eines für Forschungszwecke entwickelten Biochips, mit einem Durchmesser von dreihundert Mikrometern, Protein auf einem Silikonsubstrat, empfindlich für siebenundvierzig verschiedene Varianten der Blutzusammensetzung.« Er räusperte sich. Sie alle wußten das, aber dies war eine Gelegenheit, wo die entscheidenden Daten ins Gedächtnis zurückgerufen werden mußten. »Am 10. Mai setzten wir E-64 in eine Rattenarterie ein, verschlossen den sehr kleinen Einschnitt und ließen es durch die Arterie passieren, soweit es gehen würde. Die Reise dauerte fünf Sekunden. Dann wurde die Ratte geopfert und der Biochip geborgen. Seither haben Terence und seine Gruppe die Informationen des Biochips entschlüsselt und die Ergebnisse ausgewertet. Indem wir sie durch ein spezielles Simulationsprogramm sichtbar machten, konnten wir einen kleinen Film von der Reise produzieren.«

Er winkte Ernesto zu, der einen Knopf am Videorekorder bediente. Computergrafik flimmerte über den Bildschirm: Genetrons beliebtes Firmenzeichen, stilisierte Signaturen der am Simulationsprogramm Beteiligten, dann folgte Dunkelheit. Ernesto schaltete die Raumbeleuchtung aus.

Ein rosa Kreis erschien auf dem Bildschirm, expandierte und verformte sich zu einem unregelmäßigen Oval. Weitere Kreise erschienen in dem ersten. »Wir haben die Reise um das Sechsfache verlangsamt«, erläuterte Rothwild. »Und um die Dinge zu vereinfachen, haben wir die Ablesungen der chemischen Konzentrationen im Blut der Ratte eliminiert.«

Vergil beugte sich auf seinem Stuhl vorwärts; seine Sorgen waren momentan vergessen. Wie von einem Wind bewegte Streifen erschienen und schossen durch den pulsierenden Tunnel konzentrischer Ringe.

»Blutfluß durch die Arterie«, erläuterte Ernesto.

Die Reise durch die Rattenarterie dauert dreißig Sekunden. Vergils Armhaare prickelten. Wenn seine Lymphozyten sehen könnten, würden sie dies erleben, wenn sie durch eine Arterie strömten… Ein langer, unregelmäßiger Tunnel, durch den in glattem Fluß das Blut strömte, an Unebenheiten und hinter Verengungen kleine Wirbel bildete, bis die Arterie sich zu kleineren und immer kleineren Ringen verengte, Stöße und Verzögerungen, als der Biochip gegen die Wände stieß und hängenblieb, und schließlich das Ende der Reise, als er sich in einer Verästelung verkeilte.

Die Bildfolge endete mit einem weißen Blitz.

Beifallsrufe füllten den Raum.

»Nun«, sagte Rothwild, lächelte und hob die Hand, um sich Gehör zu verschaffen. »Hat jemand eine Anmerkung zu machen, bevor wir den Film Harrison und Yng zeigen?«

Nach einem Glas Champagner zog Vergil sich von der Feier zurück und ging wieder in sein Laboratorium, deprimiert wie noch nie. Wo war sein Gemeinschaftsgeist? Glaubte er wirklich, er könne ganz allein eine so ehrgeizige Aufgabe wie das Projekt seiner intelligenten Lymphozyten lösen? Bisher war es halbwegs geglückt, aber was nützte das, wenn er nun gezwungen wurde, das Experiment abzubrechen und die Ergebnisse zu zerstören?

Er steckte die Aufzeichnungen in einen Karton und versiegelte ihn mit Klebeband. Auf Hazels Seite des Labors fand er ein Klebeetikett an einem Dewargefäß — OVERTON, NICHT ENTFERNEN — und zog es ab. Dann klebte er es auf seine Schachtel und stellte diese in neutralem Territorium neben der Spüle ab. Dann machte er sich daran, die Glasbehälter zu waschen und seine Seite des Labors aufzuräumen.

Wenn die Inspektion erfolgte, würde er der demütige Bittsteller sein; er würde Harrison die Befriedigung des Sieges lassen.

Und dann konnte er die Materialien, die er benötigte, im Laufe der nächsten Wochen heimlich hinausschmuggeln. Die Lymphozyten kämen zuletzt an die Reihe; sie ließen sich einige Zeit im Kühlschrank seiner Wohnung aufbewahren. Er war entschlossen, alle nötigen Dinge zu stehlen, um ihnen das Überleben zu sichern, aber es würde nicht möglich sein, weiter an ihnen zu arbeiten.

Wie er sein Experiment am besten fortführen könnte, blieb späteren Überlegungen vorbehalten.

Harrison stand in der Türöffnung.

»Alles klar«, sagte Vergil mit böser Miene.

3

Während der nächsten Woche beobachteten sie ihn mit mißtrauischer Aufmerksamkeit; dann, in Anspruch genommen von den letzten Versuchsstadien des MAB-Prototyps, zogen sie ihre Wachhunde von ihm ab. Sein Verhalten war untadelig.

Nun konnte er die letzten Schritte zu seiner freiwilligen Trennung von Genetron einleiten.

Vergil war nicht der einzige gewesen, der die Grenzen von Genetrons ideologischer Großzügigkeit überschritten hatte. Erst im letzten Moment war die Geschäftsleitung, wieder in Gestalt Gerald T. Harrisons, Hazel Overton aufs Dach gestiegen. Hazel hatte sich mit ihren E. coli-Kulturen auf Abwege begeben. Bemüht, den Beweis zu führen, daß die geschlechtliche Fortpflanzung als das Ergebnis des Eindringens einer autonomen DNS-Sequenz — eines chemischen Parasiten, den sie den F-Faktor nannte — in frühe prokariotische Lebensformen entstanden sei. Sie hatte postuliert, daß geschlechtliche Fortpflanzung nicht im evolutionären Sinne nützlich sei — jedenfalls nicht für Frauen, die sich zumindest in der Theorie parthenogenetisch fortpflanzen konnten —, und daß Männer letzten Endes überflüssig seien.

Sie hatte genug Beweismaterial zusammengetragen, daß Vergil, der heimlich in ihre Notizbücher guckte, ihren Schlußfolgerungen zustimmen konnte. Aber Hazels Arbeit paßte nicht in den von Genetron abgesteckten Rahmen. Sie war revolutionär, gesellschaftlich umstritten. Harrison hatte ein Machtwort gesprochen, und sie hatte das Forschungsprojekt abgebrochen.

Genetron wünschte weder Publizität noch öffentlich ausgetragene Kontroversen. Die Firma benötigte einen makellosen Ruf, wenn sie die Ergebnisse ihrer Forschung veröffentlichte und verkündete, daß sie funktionstüchtige MABs herstellte.

Hazels Unterlagen hatten sie jedoch nicht interessiert; sie hatten sie ihr gelassen. Daß Harrison seine Unterlagen eingezogen hatte, beunruhigte Vergil.

Sobald er Gewißheit hatte, daß ihre Wachsamkeit nachließ, wurde er aktiv. Er beantragte Zugang zum Computer (er hatte unbefristetes Nutzungsverbot und durfte nur nach vorheriger Genehmigung daran arbeiten); den Tatsachen entsprechend sagte er, daß er seine Zahlen über Strukturen aus denaturierten Proteinen überprüfen müsse, und die Genehmigung wurde erteilt. Eines Abends nach acht setzte er sich an den Datenanschluß im Gemeinschaftslabor.

Er war etwas zu früh aufgewachsen, um schon in seiner Jugend Erfahrungen als Hacker zu sammeln, aber im Laufe der letzten sieben Jahre hatte er seine gespeicherten Personalakten bei drei größeren Firmen geschönt und Eintragungen in die Immatrikulationsregister einer berühmten Universität gemacht. Diese Eintragungen hatten den Ausschlag gegeben, daß er bei Genetron eingestellt worden war. Die Manipulationen waren ihm nie Anlaß zu Schuldgefühlen gewesen.

Sein Ruf als Wissenschaftler sollte besser sein als seine Examensnoten und Arbeitszeugnisse. Es hatte keinen Sinn, ein Leben lang für Jugendtorheiten und vergangene Indiskretionen zu büßen, und er wußte, daß er für die Arbeit bei Genetron vollauf qualifiziert war — sein gefälschter Universitätsabschluß und seine geschönten Arbeitszeugnisse waren bloß eine Show für Personalchefs, die Lichter und Musik brauchten. Außerdem hatte Vergil bis vor ein paar Wochen geglaubt, daß die Welt sein persönliches Puzzle sei, und daß alle Rätsellösungen und Entwirrungen, die er bewerkstelligen konnte, einschließlich seiner Fertigkeiten als Hacker im Irrgarten der Computertechnik einfach Teil seiner Natur seien.