Выбрать главу

»Nun, du bist mich los«, sagte sie, als sie unten anlangten. »Und ich dich.«

»Ich werde dich nie los sein«, entgegnete Bernard. »Du stelltest für mich immer etwas Wichtiges dar.« Sie machte auf den hohen Absätzen kehrt und zeigte ihm die Rückseite eines makellos geschneiderten blauen Kostüms. Er faßte sie nicht zu sanft beim Arm und zog sie wieder herum. »Du warst meine letzte Chance, normal zu sein. Ich werde niemals eine andere Frau lieben, wie ich dich liebte. Du branntest. Ich werde Frauen mögen, aber ich werde mich ihnen niemals überantworten; ich werde niemals naiv mit ihnen sein.«

»Du plapperst dummes Zeug, Michael«, sagte Nadia, und ihre Lippen spannten sich ungeduldig bei der Erwähnung seines Namens. »Laß mich gehen!«

»Nichts da«, sagte er. »Du hast anderthalb Millionen Dollar. Gib mir etwas dafür!«

»Verzieh dich!« sagte sie.

»Du magst keine Szenen, nicht wahr?«

»Laß mich los!«

»Die kühle, würdevolle Dame. Aber ich kann jetzt etwas nehmen, als eine Art Gegenleistung.«

»Du Dreckskerl!«

Er zitterte und gab ihr eine Ohrfeige. »Für meine letzte Naivität. Für drei Jahre, von denen das erste wundervoll war, das dritte ein Elend.«

»Ich werde dich umbringen«, zischte sie. »Niemand…«

Er stellte ihr ein Bein und brachte sie zu Fall. Mit einem spitzen Schrei fiel sie rücklings auf den Hintern.

Die Beine gespreizt, die Arme steif nach hinten gestreckt und auf die Hände gestützt, blickte sie mit zuckenden Lippen zu ihm auf. »Du…«

»Rohling«, sagte er. »Ruhige, kalte, rationale Brutalität. Nicht sehr verschieden von dem, was du mir zugemutet hast. Aber du brauchst keine körperliche Gewalt. Du provozierst sie bloß.«

»Halt’s Maul!« Sie streckte die Hand aus, und er half ihr auf die Beine.

»Tut mir leid«, sagte er. Während ihrer drei gemeinsamen Jahre hatte er sie nicht ein einziges Mal geschlagen. Er fühlte sich sterbenselend.

»Unsinn! Du bist alles, was ich dir nachsagte, du Bastard. Du jämmerlicher kleiner Junge!«

»Tut mir leid«, wiederholte er. Die zahlreichen Leute in der Eingangshalle beobachteten sie wachsam, murmelten mißbilligend. Glücklicherweise waren keine Reporter da.

»Geh spielen mit deinem Spielzeug!« sagte sie. »Deinen Skalpellen, deinen Krankenschwestern, deinen Patienten. Geh hin und ruiniere ihr Leben und bleib mir vom Leibe!«

* * *

Eine ältere Erinnerung.

»Vater.« Er stand am Bett, unbehaglich in der Umkehrung der Rollen, nicht mehr der Arzt, sondern ein Besucher. Es roch nach Desinfektionsmittel und etwas, den Geruch von Desinfektionsmittel zu überdecken, Teerosen oder etwas ähnlich Süßlichem; das Ergebnis war ein Geruch wie in einer Leichenhalle. Er nahm die Hand seines Vaters in die seine.

Der alte Mann (er war alt, sah alt aus, abgenutzt vom Leben) öffnete die Augen und blinzelte. Seine Augäpfel waren gelb, wäßrig, seine Haut hatte die Farbe von französischem Senf. Er hatte Leberkrebs, und alles versagte Stück für Stück. Er hatte gebeten, daß auf lebensverlängernde Maßnahmen verzichtet werden sollte, und Bernard war mit seinem Anwalt zum Chefarzt des Krankenhauses gegangen, um sicherzustellen, daß die Wünsche seines Vaters nicht ignoriert wurden. (Wollen Sie Ihren Vater tot sehen? Wollen Sie sichergehen, daß er schneller stirbt? Natürlich nicht. Wollen Sie, daß er ewig lebt? Ja. O ja. Dann werde auch ich nicht sterben.)

Alle paar Stunden bekam er ein starkes Schmerzmittel, eine moderne Abwandlung des Brompton-Cocktails, der in allgemeiner Gunst gestanden hatte, als Bernard angehender Arzt gewesen war.

»Vater. Ich bin’s, Michael.«

»Ja. Mein Verstand ist klar. Ich kenne dich.«

»Ursula und Gerald lassen grüßen.«

»Ich danke für die Grüße und erwidere sie.«

»Wie fühlst du dich?«

(Wie jemand, der im Sterben liegt, du Idiot.)

»Ich häng jetzt an der Spritze, Mike. Bin ein Fixer geworden.«

»Ja, richtig.«

»Ich muß jetzt mit dir sprechen.«

»Worüber, Vater?«

»Über deine Mutter. Warum ist sie nicht hier?«

»Mutter ist tot, Vater.«

»Ja. Ich weiß das. Mein Verstand ist klar. Es ist nur… und ich beklage mich nicht, wohlgemerkt… es ist nur, daß es schmerzt.« Er ergriff Bernards Hand und drückte sie so fest er konnte — ein jämmerlicher Druck. »Wie lautet die Prognose, Junge?«

»Du weißt es, Vater.«

»Kannst du nicht mein Gehirn für mich übertragen?«

Bernard lächelte. »Noch nicht. Wir arbeiten daran.«

»Nicht früh genug, fürchte ich.«

»Wahrscheinlich nicht, nein.«

»Du und Ursula — geht es gut?«

»Wir regeln die Dinge außergerichtlich, Vater.«

»Wie nimmt Gerald es?«

»Schlecht. Er schmollt.«

»Wollte mich mal von deiner Mutter scheiden lassen.«

Bernard blickte stirnrunzelnd in seines Vaters Gesicht. »Ja?«

»Sie hatte einen Liebhaber. Brachte mich in Rage. Lehrte mich aber auch einiges. Ließ die Scheidung sein.«

Bernard hatte nie etwas davon gehört.

»Du weißt, sogar mit Ursula…«

»Das ist vorbei, Vater. Wir beide hatten Affären, und meine entwickelt sich zu einer ziemlich ernsthaften Sache.«

»Kannst eine Frau nicht besitzen, Mike. Die nichts taugen, sind wie gefährliche Kinder, hat einer mal gesagt, aber die anderen… wunderbare Kameraden. Kannst sie nicht besitzen.«

»Ich weiß.«

»Wirklich? Vielleicht, ja. Ich dachte, als ich von dem Liebhaber deiner Mutter erfuhr — ich dachte, ich würde sterben. Es schmerzte beinahe so wie dies hier. Ich dachte, sie gehört mir.«

Bernard wünschte, das Gespräch würde eine andere Richtung nehmen. »Gerald hat nichts dagegen, für ein Jahr ins Internat zu gehen.«

»Aber sie gehörte mir nicht. Ich hatte bloß teil an ihr. Selbst wenn eine Frau dich nur zum Liebhaber hat, hast du teil an ihr. Und sie an dir. Treue ist eine großartige Sache, Mike, das Fundament einer gute Ehe, aber schließlich kommt es darauf an, was beide Teile darüber hinaus einbringen. Was du tust, wie gut du es tust, wie beharrlich du bist.«

»Ja, Vater.«

»Sag mal…« Seines Vaters Augen weiteten sich.

»Was?« fragte Bernard und griff wieder die welke Hand.

»Danach blieben wir noch dreißig Jahre zusammen.«

»Ich wußte nie etwas davon.«

»War auch nicht nötig. Ich war derjenige, der wissen mußte, der sich abfinden mußte. Das ist aber nicht alles, was mir durch den Sinn geht. Mike, erinnerst du dich an die Hütte? Auf dem Dachboden, unter der Schlafstelle, liegt ein Stoß von Papieren.«

Die Hütte in Maine war vor zehn Jahren verkauft worden.

»Ich hatte etwas geschrieben«, fuhr sein Vater fort, nachdem er mühsam und unter Schmerzen geschluckt hatte. Sein Gesicht knitterte in tausend Runzeln, und er machte eine bittere Grimasse. »Über meine Zeit als Arzt.«

Bernard wußte, wo die Papiere waren. Er hatte sie geborgen und während seiner Zeit als Internist gelesen. Sie befanden sich jetzt in einem Aktenordner in seinem Büro in Atlanta.

»Ich habe sie, Vater.«

»Gut. Hast du sie gelesen?«

»Ja.« Und sie waren mir sehr wichtig, Vater. Sie halfen mir bei der Entscheidung, was ich in der Neurologie tun wollte, bei der Wahl der Richtung, die ich einzuschlagen hatte… Sag es ihm, sag es ihm!

»Gut. Ich habe es immer gewußt, Mike.«

»Was?«

»Wie sehr du uns liebtest. Du bist bloß nicht der demonstrative Typ, nicht wahr?«

»Nie gewesen.«

»Ich liebe dich. Liebte Mutter.«

»Sie wußte es. Sie war nicht unglücklich, als sie starb. Gut.« Wieder machte er das Gesicht. »Ich muß jetzt schlafen. Bist du sicher, daß du keinen guten jungen und neuen Körper für mich finden kannst?«