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»Kennnnethhh!« Aber die Tür schloß sich, und der Aufzug sank abwärts. Sie stand da und fuhr sich mit den Fingern durch das lange, strähnige Blondhaar.

Die Tür öffnete sich.

Das Foyer war ein Geflecht grauer, massiv aussehender Bogen, welche die Masse des Turmhauses trugen. Sie stellte sich vor — oder erinnerte sich vielleicht, was sie ihr gezeigt hatten —, daß der Aufzugschacht und das Restaurant alles waren, was vom ursprünglichen Gebäude geblieben war, eigens für sie.

Wohin sollte sie gehen?

Sie betrat den grau und rot gesprenkelten Boden — nicht Teppich, nicht Beton, sondern etwas leicht Elastisches, wie Kork. Ein braun und weiß geflecktes Laken — das letzte, was sie von dieser besonderen Substanz zu Gesicht bekam — glitt über die Aufzugtür hinab und versiegelte sie mit einem leise zischenden Geräusch.

Sie ging durch das Geflecht der Bögen, stieg über zylindrische Buckel in der roten und grauen Oberfläche, verließ den Schatten des umgewandelten Wolkenkratzers und stand in halbbewölktem Tageslicht.

Der Turm, in dem sie sich aufgehalten hatte, stand allein. Der andere war abgetragen. Alles, was vom World Trade Center geblieben war, war ein runder Turm um die Aufzugschächte, glatt und glasig grau in manchen Bereichen, rauh und schwarz gefleckt in anderen, und da und dort sah sie Verästelungen durch das äußere Material empordringen.

Zwischen dem umgewandelten Platz, der mit gefiederten, baumähnlichen Gewächsen bedeckt war, und dem Ufer gab es nichts, was eine Höhe von sechs oder sieben Metern überragt hätte.

Sie ging zwischen den gefiederten Wedeln der »Bäume«, die sich sanft auf ihren roten Stämmen wiegten, hinab zum Ufer. Das Wasser war von einem festen, gelatineartigen Grüngrau, eben wie Glas und genauso glänzend. Sie konnte die unregelmäßigen, organischen Formen von Jersey City sehen, ähnlich einer unheimlichen Sammlung von Kinderspielzeug und Bauklötzen; die Spiegelung im geronnenen Fluß war vollkommen.

Der Wind seufzte angenehm. Es hätte kalt oder wenigstens kühl sein müssen, aber die Luft war warm. In ihrer Brust zog sich ein Schmerz zusammen, den nur Weinen lindern konnte. »Mutter«, sagte sie, »ich möchte bloß sein, was ich bin. Sonst nichts. Nicht weniger.« Und nicht mehr? Suzy, das ist eine Lüge.

Lange stand sie am Ufer, dann wandte sie sich um und machte sich auf den Weg ins Innere der Insel Manhattan.

41

Für Bernard hatte die lächerliche Umgebung, in der er so viele Wochen verbracht hatte, dem Anschein der geringeren von zwei Wirklichkeiten.

Er arbeitete kaum noch. Meistens lag er auf dem Feldbett, die Tastatur des Datenanschlusses unter dem Arm, dachte nach und wartete. Draußen, das wußte er, wuchsen die Spannungen. Er war der Brennpunkt.

Paulsen-Fuchs und das Aufgebot von Polizei und Militär konnten zwei Millionen Menschen nicht daran hindern, die Gebäude zu überrennen, ihn und das Laboratorium zu zerstören. (Dorfbewohner mit Fackeln; er war zugleich Dr. Frankenstein und das Ungeheuer. Unwissende, ängstliche Dorfbewohner verrichteten Gottes Werk).

In seinem Blut, seinem Fleisch, trug er etwas von Vergil Ulam, etwas von seinen Eltern, etwas von Menschen, die er nie gekannt hatte, von Menschen vielleicht, die seit Jahrtausenden tot waren. In seinem Innern gab es Millionen von Duplikaten seiner selbst, die tiefer in die Noozytenwelt absanken und die ungezählten Schichten von Universen innerhalb der Biologik entdeckten: alt, neu und potentiell.

Und doch — wo war die Versicherungspolice, die Garantie, daß er nicht getäuscht wurde? Wie, wenn sie einfach falsche Träume heraufbeschworen, um ihn zu beruhigen, für die Metamorphose unter Drogen zu setzen? Wie, wenn ihre Erklärungen nichts als ein Zuckerguß von Redensarten wären, ihn aufzumuntern? Er hatte keine Hinweise darauf, daß die Noozyten logen — aber wie konnte man beurteilen, ob und wann etwas so Fremdes wie die Noozyten log, oder ob »Lügen« für sie überhaupt ein zugänglicher Begriff darstellte?

(Olivia. Sie hatte ihre Verlobung gelöst, erfuhr er viel später, zwei Monate nach ihrer einzigen Verabredung. Am letzten Tag des gemeinsam besuchten Kurses hatten sie einander zugelächelt — und waren ihrer Wege gegangen, hinaus aus dem Leben des jeweils anderen. Er war — was gewesen? Schüchtern, ungeschickt? Zu romantisch, zu sehr verliebt in diesen einen kostbaren, vom Petrarkismus verklärten Abend? Wo war sie? In der nordamerikanischen Biomasse?)

Und selbst wenn er akzeptierte, was ihm gesagt worden war, so war ihm sicherlich nicht alles gesagt worden. Ungezählte Fragen blieben, manche weniger wichtig, die meisten von Bedeutung. Schließlich war er noch immer er ein Individuum (nicht wahr?) und sah einer praktisch unbekannten Erfahrung entgegen.

Die Befehlsgruppen, die Forscher — keiner antwortete ihm jetzt. Was geschah in Nordamerika mit all den schlechten Menschen, deren Gedächtnisinhalte von den Noozyten bewahrt wurden? Freilich waren sie von der Welt, in der sie schlecht gewesen waren, genauso wirksam isoliert wie sie es in den Gefängnissen gewesen waren — weitaus wirksamer isoliert. Aber schlecht zu sein, bedeutete schlechtes, verdorbenes Denken, bedeutete eine Krebszelle in der Gesellschaft zu sein, eine gefährliche und antisoziale Fehlentwicklung, und er dachte dabei nicht bloß an Amokläufer oder Axtmörder. Er dachte an Politiker, die zu gierig oder blind waren, um zu wissen, was sie taten, Wirtschaftsverbrecher, die Tausende von Anlegern um ihre Ersparnisse gebracht hatten, Eltern, die zu dumm waren, um zu wissen, daß man seine Kinder nicht mißhandeln und zu Tode prügeln sollte. Was wurde aus diesen Leuten und den Millionen von krankhaften, kriminellen und antisozialen Elementen in der menschlichen Gesellschaft?

Waren alle unterschiedslos millionenfach dupliziert, oder ließen sich die Noozyten in ihrem Handeln von etwas Überlegung und Urteilsvermögen leiten? Tilgten sie in aller Stille eine Anzahl Persönlichkeiten, oder veränderten sie sie?

Aber wenn die Noozyten sich die Freiheit nahmen, die wirklich gefährlichen und gemeinschaftsschädlichen Elemente auszuschalten, sei es durch Veränderung, sei es durch irgendeine Form von Fixierung oder Lähmung, mußten sie zuvor in ihre Denkprozesse eingedrungen sein und einen allgemeinen Konsens rechtschaffenen Denkens als Maßstab eingeführt haben…

Wer konnte dann sagen, daß sie nicht auch andere veränderten, Menschen mit geringeren Problemen, Leute mit all den Komplexen kleiner Verschrobenheiten und Irrtümer und zeitweiliger Bosheit — Eigenschaften, von denen niemand frei war? Berufsrisiken des Menschseins, des Lebens in einer harten Welt, einer anderen als jener, die die Noozyten bewohnten? Wenn sie wirklich korrigierten und eliminierten und veränderten, wer konnte sagen, wie gut oder schlecht sie darin waren? Wer konnte sagen, daß sie wußten, was sie taten, und hinterher arbeitsfähige menschliche Persönlichkeiten behielten?

Was taten die Noozyten mit Menschen, die der Veränderung nicht standhielten, die verrückt wurden — oder die, wie angedeutet worden war, unvollkommen assimiliert starben und Teilerinnerungen zurückließen, wie Vergils Teilerinnerungen in Bernards eigenem Körper? Wurde auch hier gejätet und ausgelesen?

Gab es in der Noosphäre Politik, gesellschaftliche Wechselwirkungen? Hatten Menschen gleiches Stimmrecht wie Noozyten? Menschen waren natürlich Noozyten geworden — aber waren die echten, die ursprünglichen Noozyten mehr oder weniger hoch angesehen?

War mit Konflikten, mit Revolution zu rechnen?

Oder würde tiefe Stille herrschen, die Ruhe des Grabes, weil der Wille zum Widerstand ausgelöscht war? Für eine strenge Hierarchie war der freie Wille keine wichtige Sache. War die Noosphäre eine strenge Hierarchie, in der es an abweichenden Meinungen oder selbst Kommentaren fehlte?

Er hatte nicht den Eindruck.

Aber wie konnte er Gewißheit erlangen?