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Und doch — Mutter hatte ihr immer gesagt, daß sie ein wundervolles Mädchen sei und alles so gut tue, wie sie es könne (obwohl es immer Besseres gab, wonach zu streben sich lohnte). So war Suzy mit einer gewissen Selbstzufriedenheit aufgewachsen, hatte sich selbst gemocht, hatte andere gemocht, und nie hatte sie wirklich jemand anders sein wollen, oder etwas anders, was das anging.

Sie wollte sich nicht verändern, bloß um besser zu sein. Obwohl man stets das Bessere anstreben sollte.

Es war sehr verwirrend. Alles veränderte sich. Sterben bedeutete Veränderung. Wenn ihr das nichts ausmachte, dann…

Der Schnee draußen machte ein Geräusch. Sie lauschte am Fenster und hörte ein angenehmes Summen, wie von Bienen in einem blühenden Strauch. Ein warmes Geräusch für eine kalte Nacht.

»Wie seltsam«, sagte sie. »Ja, wie seltsam, wie seltsam.« Sie sang die Worte, aber das Lied war albern und sagte nichts über ihre Empfindungen aus, die ein Sich-abfinden waren, ein…

Annehmen.

Vielleicht war es nicht der Schnee, der das Geräusch machte. Sie wischte den Kondensbelag von der Fensterscheibe und ging zurück zum Bett, das Licht auszuschalten, um besser zu sehen. Wenn der Schnee in die eine oder die andere Richtung geblasen wurde, dann war es der Wind, der das Geräusch verursachte. Es hörte sich aber nicht wie Wind an.

Hinnahme und Einsamkeit.

Wo war Laurie? Wo alle waren. Zu Hause, am Fenster, in den Schnee hinausblickend, wie sie es tat. Aber Laurie hatte wahrscheinlich Yves bei sich. Es war nicht gut, einsam zu sein, am… sie schluchzte unerwartet und schluckte es hinunter.

Ja, das war es, sie konnte es fühlen … am letzten Abend der Welt.

»Hu«, sagte sie, breitete das lange Kleid aus und setzte sich auf einen der Stühle. Sie wischte sich die Augen. Das war plötzlich über sie gekommen, unerwartet. Sie war einfach verrückt. Und dumm, wie immer.

Aber nicht ängstlich.

Annehmen.

Die Schranktür knarrte, und sie wandte sich um, erwartete beinahe, Laurie hinter den Kleidern zu sehen. (Die Wohnung hatte ihr sofort gefallen, wegen des Kleiderschranks.)

Im Innern des Kleiderschranks schneite es. Lichtflocken sanken über die Kleider herab. Sie fröstelte und stand langsam auf, strich das Kleid glatt und ging mit zögernden Schritten auf den Schrank zu. Konfettilicht spielte über das Innere, die hölzerne Rückwand, die Kleider, sogar die Bügel.

Sie zog die Schranktür weiter auf und sah sich selbst im Spiegel. Hinter dem Glas war sie umringt von glänzenden Lichtblasen, wie Millionen von Kohlensäurebläschen in einem Glasbottich mit Bier.

Suzy beugte sich näher zum Spiegel. Das Gesicht, das ihr dort entgegenblickte, war nicht ihres, nicht genau. Sie berührte ihre Lippen, dann streckte sie die Hand aus und legte die Fingerspitzen an das kalte, glasige Bild.

Kälte und Glätte lösten sich auf. Die Fingerspitzen wurden warm. Suzy wich zurück, bis sie gegen den Stuhl stieß.

Das Abbild trat aus dem Spiegel und lächelte ihr zu.

Nicht bloß sie selbst. Auch ihre Mutter. Ihre Großmutter. Und vielleicht die Urgroßmutter, und die Ururgroßmutter. Hauptsächlich Suzy, aber auch sie. Alle in einer. Sie lächelten ihr zu.

Suzy langte hinter sich, den Reißverschluß ihres Kleides höherzuziehen. Das Abbild breitete die Arme aus, und es war hauptsächlich Suzys Mutter, und Suzy lief auf sie zu und barg ihr Gesicht an der Mutter Schulter, am samtgrünen Stoff des Kleides. Sie weinte nicht.

»Den Schrank?« sagte sie, die Stimme gedämpft durch den Stoff an ihrem Mund.

Das Abbild — jetzt eher Suzy ähnlich — schüttelte den Kopf und nahm Suzy bei der Hand. Da fiel es Suzy ein. Als die umgewandelte Stadt verschwunden war und sie in der Einöde zurückgelassen hatte — nachdem sie sich geweigert hatte, mit Cary und all den anderen zu gehen —, hatte sie sich verdoppelt gefühlt.

Sie hatten sie kopiert.

Hatten die Kopie mit sich genommen, für alle Fälle.

Und nun hatten sie sie zurückgebracht, um die ursprüngliche Suzy zu treffen. Die Kopie hatte sich verändert, und zum Vorteil. Sie war ganz Suzy und ganz ihre Mutter, und alle anderen, individuell aber zusammen vereint.

Das Abbild führte Suzy zur Rückwand der Wohnung, gegenüber dem Fenster. Sie stiegen auf das Bett und standen und lächelten einander an.

Bereit? fragte das Abbild stumm.

Suzy blickte über die Schulter zurück zum summenden Schnee, dann fühlte sie den warmen, festen Griff der Hand. Wie viele Handschläge von Amerika?

Wieso, überhaupt keinen Handschlag.

»Werden wir dort, wohin wir gehen, so dumm sein wie hier?« fragte Suzy.

Nein, antwortete das Abbild stumm, nun ganz Suzy.

Suzy konnte es in ihren Augen sehen. Cary hatte recht gehabt. Sie fixierten Leute.

»Gut. Ich habe es wirklich satt, schwer von Begriff zu sein.«

Das Abbild hob die Hand, und gemeinsam rissen sie die Tapete herunter. Es war ganz einfach. Das Papier ließ sich mühelos abziehen, und die Wand ging einfach auf.

Jenseits der Wand war Schnee, aber nicht wie der Schnee vor dem Fenster. Dieser Schnee war weitaus schöner.

Für jeden lebenden Menschen mußte es eine Million Schneeflocken geben. Alle tanzten zusammen.

»Wir werden nicht den Schrank brauchen?« fragte Suzy.

Der kommt nicht mit, wohin wir gehen, sagte das Abbild. Zusammen kauerten sie nieder, fertigmachen, bereithalten —

Und sie sprangen vom Bett durch die Öffnung in der Wand.

Das Gebäude erzitterte, als wäre irgendwo eine schwere Tür zugefallen. In der Nacht tanzten die leuchtenden Schneeflocken ihren wirbelnden Tanz. Die schwarzen Wolken darüber wurden durchsichtig, und Suzy sah alle Richtungen gleichzeitig. Es war eine köstliche und beängstigende Art zu sehen.

Kurz vor Tagesanbruch ließ der Sturm nach. Die Erde lag still, als die Hemisphäre der Dunkelheit von ihr wich.

Der Tag begann zögernd, warf einen breiten orangegrauen Schimmer über den wellenlosen Ozean und das stille Land. Konzentrische Lichtkreise flohen von der trüben Sonne.

Suzy konnte weit hinausblicken. (Sie war so winzig, und doch konnte sie überallhin sehen, sehr große Dinge sehen!)

Die inneren Planeten warfen lange Schatten durch einhüllenden Dunst. Die äußeren Planeten schienen in ihren Umlaufbahnen zu schwanken, und erblühten dann in kaleidoskopischer Pracht, streckten kaltleuchtende Arme aus, um ihre verlorenen Monde daheim willkommen zu heißen.

Die Erde hielt für die Dauer eines langen, bebenden Seufzers in dem Wirbel zusammen. Als ihre Zeit kam, waren die Städte und Dörfer, die Häuser, Hütten und Zelte so leer wie abgelegte Kokons.

Die Noosphäre schüttelte ihre Schwingen. Wo ihre Spitzen sich berührten, tanzten die Sterne, feierten, wurden leuchtende Schneeflocken.

INTERPHASE

Gedankenuniversum

Der neunzehnjährige Michael Bernard saß im Klamshak- Restaurant Olivia gegenüber. Über ihrem Tisch hingen der müde Kugelfisch, die Plastikhummer und Korkschwimmer, nicht sehr originell.

Sie hatte ihm gerade von der Auflösung ihrer Verlobung erzählt. Er schaute auf den Tisch und spürte, daß jetzt ein völlig anderes Potential zwischen ihnen war. Die Bahn war frei geworden.

»Ein gutes Essen«, sagte Olivia und faltete die Hände hinter ihrem Teller, der mit Austernschalen und Garnelenschwänzen überhäuft war. »Danke. Ich habe mich sehr gefreut, als du anriefst.«

»Ich kam mir bloß albern vor«, sagte Bernard. »Letztes Mal benahm ich mich wie ein rechter Einfaltspinsel.«

»Nein. Du warst sehr galant.«

»Galant? — Hm.« Er lachte.

»Ich bin darüber hinweg. Zuerst war es ein Schock, aber…«

»Das kann ich mir denken.«