Er war nicht der begehrenswerte Typ. Wenn er ging, schwankte er ein wenig — nicht, daß er den Barhocker zu irgendeinem anderen Zweck als dem verlassen hätte, die überfüllte Herrentoilette aufzusuchen. In den vergangenen Jahren hatte er soviel Zeit in Laboratorien verbracht, daß seine Haut die unpopuläre Farbe von unsauberem Schnee hatte. Er sah nicht begeisterungsfähig aus und war nicht bereit, viel Geld auszugeben oder irgendwelchen Unfug zu machen, um Aufmerksamkeit auf sich zu lenken.
Glücklicherweise war die Klimaanlage so gut, daß sein Heuschnupfen sich nicht bemerkbar machte. Er hatte den Abend hauptsächlich damit verbracht, die unglaubliche Vielfalt — und unterliegende Gleichförmigkeit — der Taktiken zu beobachten, deren sich das männliche Tier bediente, um das weibliche für sich zu gewinnen. Er fühlte sich unbeteiligt, in einer objektiven und etwas einsamen Sphäre, die zu verlassen er nicht geneigt war. Warum also, fragte er sich, war er überhaupt hierher gekommen? Warum suchte er Lokale dieser Art auf? Er hatte noch nie im Leben eine Frau in diesem oder einem der anderen Singles-Tanzlokale kennengelernt.
»Hallo!«
Vergil schrak zusammen und wandte sich um, machte große Augen.
»Verzeihung, ich wollte Sie nicht erschrecken.«
Er schüttelte den Kopf. Sie war vielleicht achtundzwanzig, goldblond, schlank bis zur Magerkeit, mit einem recht hübschen, aber nicht überwältigenden Gesicht. Ihre Augen, groß und klar und braun, waren ihr bestes Merkmal — abgesehen vielleicht von den Beinen, räumte er nach einem instinktiv abschätzenden Blick ein.
»Sie kommen nicht oft hierher«, sagte sie. Dann blickte sie über die Schulter und fügte hinzu: »Oder doch? Ich meine, ich bin hier auch nicht Stammgast. Vielleicht habe ich Sie nur noch nicht gesehen.«
Er schüttelte den Kopf. »Nicht oft. Kein Bedürfnis. Meine Erfolgsquote ist nicht gerade aufsehenerregend.«
Sie schenkte ihm ein Lächeln. »Ich weiß mehr über Sie, als Sie denken«, sagte sie. »Ich brauche Ihnen nicht mal die Hand zu lesen. Zunächst einmal sind Sie klug.«
»Ja?« Er kam sich unbeholfen vor.
»Sie sind gut mit den Händen.« Sie berührte seinen Daumen, der auf seinem Knie ruhte. »Sie haben sehr hübsche Hände. Mit solchen Händen können Sie viel tun. Aber sie sind nicht fettig, also sind Sie kein Mechaniker. Und Sie versuchen, sich gut zu kleiden, aber…« Sie kicherte ein wenig angeheitert, wie nach dem dritten Glas, und bedeckte den Mund mit der Hand. »Entschuldigen Sie. Sie geben sich wirklich Mühe.«
Er schaute an sich hinab, auf das schwarz-grün karierte Baumwollhemd und die schwarze Hose. Die Sachen waren neu. Was konnte sie daran aussetzen? Vielleicht gefielen ihr die Schuhe nicht, die er trug. Sie waren ein wenig abgenutzt.
»Sie arbeiten… lassen Sie mich überlegen.« Sie hielt inne und strich sich über die Wange. Ihre Fingernägel waren Meisterwerke der Maniküre, dick und lang und bronzefarben glänzend. »Sie sind ein Techie.«
»Wie bitte?«
»Sie arbeiten in einem der Laboratorien hier in der Gegend. Für die Marine ist Ihr Haar zu lang, und von denen kommen sowieso nicht viele hierher. Nicht, daß ich es so genau wüßte. Sie arbeiten in einem Labor, und Sie… Sie sind nicht glücklich. Warum nicht?«
»Weil…« — er brach ab. Zu bekennen, daß er arbeitslos war, mochte schlechte Strategie sein. Er hatte noch sechs Monate Arbeitslosenunterstützung vor sich; diese und seine Ersparnisse könnten für eine Weile über den Mangel an bezahlter Arbeit hinwegtäuschen. »Woher wissen Sie, daß ich ein ›Techie‹ bin?«
»Ich sehe das. Ihre Brusttasche…« — sie steckte den Finger hinein und zog ein wenig. »Sieht so aus, als steckte sonst eine Reihe Bleistifte darin. Die man dreht, bis die Mine herauskommt.« Sie lächelte köstlich und steckte die rosa Zungenspitze heraus, um es zu demonstrieren.
»Ja?«
»Ja. Und Sie tragen Socken im Schottenmuster. Das tun heutzutage nur Techies.«
»Mir gefällt es so«, sagte Vergil abwehrend.
»Oh — mir auch. Was ich sagen wollte, ich habe nie einen Techie kennengelernt. Ich meine… näher.«
Großer Gott, dachte Vergil. »Was treiben Sie?« fragte er und wünschte sogleich, er könnte die Worte wieder verschlucken.
»Und ich würde gern einen kennenlernen, wenn Sie das nicht allzu herausfordernd finden«, sagte sie, ohne auf seine Frage einzugehen. »Sehen Sie, die Bar schließt in ein paar Minuten. Ich brauche nichts mehr zu trinken, und die Musik gefällt mir nicht sonderlich. Ihnen?«
Sie hieß Candice Rhine. Sie arbeitete in der Anzeigenabteilung der Lokalzeitung. Sein Volvo-Sportwagen fand ihre Billigung, desgleichen seine Wohnung, eine Dreizimmerwohnung im zweiten Stock, vier Blocks vom Strand in La Jolla entfernt. Er hatte sie vor sechs Jahren kurz nach dem Medizinstudium zu einem sehr günstigen Preis von einem Professor gekauft, der nach Ecuador ziehen wollte, um eine Studie über südamerikanische Indianer abzuschließen.
Candice betrat die Wohnung, als habe sie seit Jahren dort gewohnt. Sie warf ihre Wildlederjacke auf die Couch und ihre Bluse auf den Eßtisch. Den Büstenhalter hängte sie kichernd an die Lampe darüber. Ihre Brüste waren klein, vergrößert durch einen sehr schmalen Brustkorb.
Vergil sah alles das und wußte nicht, ob er träumte oder wachte.
»Komm schon, Techie!« sagte Candice, nackt in der Türöffnung zum Schlafzimmer. »Ich mag die Felle.« Er hatte eine Tagesdecke aus Alpakafellen über sein Französisches Bett gebreitet. Sie posierte in der Türöffnung, die Fingerspitzen in Kopfhöhe gegen den Rahmen gestützt, das Spielbein leicht abgeknickt. Dann machte sie auf der Ferse kehrt und schlenderte in die Dunkelheit.
Vergil blieb, wo er war, bis sie die Schlafzimmerlampe einschaltete. »Ich wußte es!« quiekte sie. »Sieh dir bloß all die Bücher an!«
In der Dunkelheit wurde Vergil nur zu deutlich bewußt, welche Gefahren der Verkehr mit einer Unbekannten in sich barg. Candice schlief neben ihm, den gesunden Schlaf von drei Gläsern Alkohol und den Anstrengungen der Liebe.
Viermal.
So gut hatte er sich noch nie gehalten. Vor dem Einschlafen hatte sie gemurmelt, daß Chemiker es mit ihren Pulvern täten, und Ärzte mit Geduld, aber nur ein Techie in geometrischer Progression.
Was die Gefahren anbelangte, so hatte er während seines Studiums oft genug — und nicht nur in Lehrbüchern — die Resultate der Promiskuität in einer reisefreudigen und zunehmend amoralischen Welt gesehen. Wenn Candice zur Promiskuität neigte (und Vergil konnte nicht umhin zu glauben, daß nur ein sehr triebhaftes und unterschiedslos mit Männern verkehrendes Mädchen so unverblümt die Initiative ergreifen konnte), dann war kaum abzuschätzen, welche Mikroorganismen sich jetzt an und in ihm ausbreiteten.
Trotzdem mußte er lächeln.
Viermal.
Candice stöhnte im Schlaf, und Vergil schrak zusammen. Er würde nicht gut schlafen, soviel war ihm klar. Er war nicht gewohnt, jemand in seinem Bett zu haben.
Vier…
Seine braungefleckten Zähne glänzten im Dunkeln.
Am Morgen war Candice um einiges zurückhaltender. Sie bestand darauf, das Frühstück vorzubereiten. Er hatte Eier und dünn geschnittenes Rindfleisch in seinem alten Kühlschrank mit den abgerundeten Ecken, und Candice verstand etwas daraus zu machen, als wäre sie einmal Köchin in einem Schnellimbiß gewesen — oder war das einfach die Art, wie Frauen an solche Dinge herangingen? Er hatte nie die richtige Art und Weise, Spiegeleier zu braten, herausgebracht. Entweder lief der Dotter aus, oder die Ränder wurden braun und verbrannt.