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Sie saßen einander am Tisch gegenüber, und Candice betrachtete ihn mit ihren großen braunen Augen. Er war hungrig und aß schnell. Mit Tischsitten und feinen Manieren konnte er nicht aufwarten, dachte er bei sich, aber warum auch? Was konnte sie mehr von ihm erwarten? Oder er von ihr?

»Gewöhnlich bleibe ich nicht die ganze Nacht, weißt du«, vertraute sie ihm an. »Meistens bestelle ich um vier Uhr früh, wenn der Kerl schläft, ein Taxi. Aber du hieltest mich bis fünf in Atem, und ich… wollte einfach nicht. Du machtest mich müde.«

Er nickte und wischte den Rest Dotter mit dem letzten Bissen Toast auf. Er war nicht sonderlich interessiert, zu erfahren, mit wie vielen Männern sie geschlafen hatte. Wenige waren es jedenfalls nicht, wie es sich anhörte.

Vergil hatte in seinem ganzen bisherigen Leben drei Eroberungen gemacht, und davon war nur eine halbwegs zufriedenstellend gewesen. Die erste mit siebzehn — ein unglaublicher Glücksfall — und die dritte vor einem Jahr. Die dritte war zufriedenstellend gewesen und hatte ihn verletzt. Es war der Anlaß gewesen, der ihn gezwungen hatte, sich damit abzufinden, daß er zwar ein heller Kopf war, mit seiner Erscheinung aber nicht viel Staat machen konnte.

»Das hört sich furchtbar an, nicht wahr?« sagte sie. »Ich meine, das mit den Taxis und allem.« Sie schaute ihn unverwandt an. »Ich bin sechsmal gekommen«, sagte sie.

»Nicht schlecht.«

»Wie alt bist du?«

»Zweiunddreißig«, sagte er.

»Du wirkst wie ein Halbwüchsiger — im Bett, meine ich. Ausdauer.«

Mit siebzehn war er nicht annähernd so tüchtig gewesen.

»Hat es dir Spaß gemacht?«

Er legte die Gabel aus der Hand und blickte nachdenklich auf. Es hatte ihm Spaß gemacht, zuviel. Wann würde sich die nächste Gelegenheit bieten? »Doch, gewiß.«

»Weißt du, warum ich dich aussuchte?« Sie hatte ihr einzelnes Spiegelei kaum berührt und kaute noch immer an ihrem einzigen Streifen Roastbeef. Ihre Fingernägel hatten die Nacht makellos überstanden. Wenigstens hatte sie ihn nicht gekratzt. Oder hätte es ihm gar gefallen?

Er verneinte.

»Weil ich wußte, daß du ein Techie bist. Ich hatte noch nie mit einem Techie geschlafen. Vergil, so heißt du doch, nicht wahr? Vergil Ian Ulam. Ich hätte eher angefangen, wenn ich es gewußt hätte.« Sie lächelte. Ihre Zähne waren weiß und gleichmäßig, wenn auch etwas groß. Ihre Unvollkommenheiten ließen sie ihm noch liebenswerter erscheinen.

»Danke. Ich kann nicht für uns alle sprechen. Die anderen Techies, meine ich. Wer immer sie sind.«

»Nun, ich finde dich süß«, sagte sie. Das Lächeln verflog, verdrängt von ernsthafter Überlegung. »Mehr als süß. Wirklich, Vergil, du bist die beste Nummer, die ich je hatte. Mußt du heute zur Arbeit?«

»Nein«, sagte er. »Ich kann mir meine Arbeitszeit aussuchen.«

»Gut. Bist du fertig mit dem Frühstück?«

Noch dreimal schafften sie es bis zum Mittag. Er konnte es nicht richtig glauben. In seinem ganzen Leben hatte er noch nicht so viel gevögelt wie in den letzten zwölf Stunden.

Candice war wund, als sie ging. »Mir ist, als hätte ich ein Jahr für den Fünfkampf trainiert«, sagte sie, als sie in der Tür stand, den Mantel in der Hand. »Möchtest du, daß ich heute abend wiederkomme? Ich meine, zu Besuch?« Sie schien besorgt. »Ich kann es nicht schon wieder machen. Ich glaube, du hast meine Periode vorzeitig ausgelöst.«

»Bitte«, sagte er und ergriff ihre Hand. »Das wäre fein.« Sie schüttelten einander ziemlich förmlich die Hand, und Candice ging hinaus in den Frühlingssonnenschein. Vergil verweilte noch kurze Zeit an der Tür, wo er abwechselnd lächelte und ungläubig den Kopf schüttelte.

5

Eine Woche nachdem er Candice kennengelernt hatte, begann Vergils Geschmack sich zu ändern. Bis dahin hatte er hartnäckig an Süßspeisen und Stärke festgehalten, an fettem Fleisch und Brot und Butter. Seine Lieblingsspeise war eine Pizza Vierjahreszeiten, mit Schinken und Paprika, Anchovis und Oliven.

Candice regte an, daß er weniger Fett essen solle — sie nannte es »diesen öligen Scheiß« — und statt dessen mehr Gemüse und Getreide. Seinem Körper schien es recht zu sein.

Auch die Menge der Nahrung, die er zu sich nahm, ging zurück. Er erreichte rascher den Sättigungspunkt. Sein Bauchumfang verringerte sich merklich. Und wenn er allein in der Wohnung war, verspürte er eine neue und unerklärliche Rastlosigkeit.

Mit seinen veränderten Eßgewohnheiten ging ein Wandel in seiner Einstellung zur Liebe einher. Das kam nicht unerwartet; Vergil verstand genug von Psychologie, um zu erkennen, daß er bloß eine zufriedenstellende Beziehung brauchte, um von seiner nervösen Abneigung gegen Frauen geheilt zu werden. Candice schenkte ihm diese erfüllende Beziehung.

Manche Abende verbrachte er mit Übungen. Seine Füße schmerzten nicht mehr so sehr. Alles schien sich zum Besseren zu wenden. Die Welt wurde ein angenehmerer Ort. Seine Rückenschmerzen ließen allmählich nach. Verblaßten aus dem Gedächtnis. Sie wurden nicht vermißt.

Vieles davon schrieb er Candice zu, geradeso wie unter den Halbwüchsigen Gerüchte kursierten, die den Verlust der Jungfräulichkeit mit dem Abklingen von Akne in Verbindung brachten.

Bisweilen wurde die Beziehung stürmisch. Candice fand ihn unerträglich, wenn er versuchte, seine Arbeit zu erklären. Er behandelte das Thema mit kaum verhohlenem Zorn und gab sich selten die Mühe, komplizierte technische Zusammenhänge vereinfachend darzustellen. Mehr als einmal war er nahe daran, ihr zu gestehen, daß er sich die Lymphozyten injiziert hatte, ließ es aber sein, als ihm klar wurde, daß sie sich bereits gründlich langweilte. »Sag mir Bescheid, wenn du ein billiges Heilmittel für Herpes findest«, sagte sie. »Dann lassen wir uns von den streng moralischen christlichen Vereinen dafür bezahlen, daß wir es nicht auf den Markt bringen.«

Während er sich nicht länger um Geschlechtskrankheiten sorgte — Candice hatte sich in der Sache aufgeschlossen gezeigt und ihn überzeugt, daß sie sauber war —, bekam er eines Abends plötzlich einen Hautausschlag, eine eigentümliche, juckende Fläche weißlicher Knoten auf Brust und Bauch. Am Morgen war sie vergangen und kehrte nicht wieder.

Vergil lag im Bett, neben sich die leise atmende, halb vom Laken verhüllte Gestalt, deren Hüften einem schneebedeckten Hügel glichen und deren Rücken freilag, als trüge sie ein verführerisch ausgeschnittenes Abendkleid. Sie waren vor drei Stunden ins Bett gegangen, und er lag noch immer wach und überlegte, daß er in den vergangenen zwei Wochen öfter mit Candice geschlafen hatte als vordem mit allen anderen Frauen in seinem Leben.

Dies beschäftigte seine Phantasie. Er hatte sich immer für Statistiken interessiert. In einem Experiment kündeten Zahlen von Erfolg oder Mißerfolg, ebenso wie im Geschäftsleben. Er begann jetzt zu fühlen, daß seine »Affäre« (wie seltsam dieses Wort sich in seinem Denken ausnahm!) mit Candice auf dem besten Wege zum Erfolg war. Wiederholbarkeit war das Kennzeichen eines guten Experiments, und dieses Experiment hatte…

… Und so weiter, endlose nächtliche Grübeleien, die um einiges weniger produktiv waren als traumloser Schlaf.

Candice verblüffte ihn. Frauen hatten Vergil, der so wenig Gelegenheit gehabt hatte, sie kennenzulernen, immer verblüfft; aber er vermutete, daß Candice verblüffender sei als die Norm. Er konnte sie nicht ergründen. Wenn sie jetzt miteinander schliefen, ging die Initiative selten von ihr aus, aber sie nahm mit hinreichendem Enthusiasmus daran teil. Er sah sie als eine Katze, die nach einem neuen Nest suchte und sich, sobald sie es gefunden hatte, schnurrend darin niederließ, ohne daran zu denken, was der nächste Tag bringen mochte.