Aber Donatella war noch keineswegs mit ihm fertig. »Und bevor wir gehen«, eröffnete sie ihm, »will ich eine Million Dollar. In bar.« Ivo konnte nur lachen. »Eine Million« »Entweder du spurst, oder ich ruf deine Frau an.«
Das war vor sechs Monaten gewesen. Donatella hatte ihre Drohung nicht wahr gemacht - bis jetzt jedenfalls noch nicht. Aber Ivo wusste, sie würde es tun. Woche um Woche hatte sie mehr Druck auf ihn ausgeübt. Sie rief im Büro an und sagte: »Ist mir völlig egal, wie du an das Geld kommst. Besorg es.«
Ivo wusste, es gab nur einen Weg, möglicherweise an eine so gigantische Summe zu kommen. Er musste es fertigbringen, den Anteil an Roffe und Söhne zu veräußern. Aber da stand Sam Roffe im Wege, der den Verkauf verhinderte. Sam Roffe, der Ivos Ehe, seine ganze Zukunft in äußerste Gefahr brachte. Dem musste ein Ende bereitet werden. Wenn man nur die richtigen Leute kannte, war alles möglich.
Am meisten kränkte es Ivo, dass Donatella, sein Schatz, seine leidenschaftliche Geliebte, ihn nicht mehr an sich heranließ. Ivo durfte die Kinder besuchen, jeden Tag, aber das Schlafzimmer war Sperrgebiet.
»Wenn du mir das Geld gegeben hast«, versprach Donatella, »kannst du mich haben.«
Aus reiner Verzweiflung rief er eines Nachmittags Donatella an. »Ich komme sofort rüber. Die Sache mit dem Geld geht klar.«
Er würde sie erst nehmen und hinterher besänftigen, hatte er sich vorgenommen. Aber es kam anders. Als er sie entkleidet hatte und sie beide nackt waren, sagte er ihr die Wahrheit. »Noch hab’ ich das Geld nicht, cara, aber eines Tages, ganz bestimmt -«
Da hatte sie ihn angefallen, mit Klauen, wie eine Tigerin.
Als er jetzt von Donatellas Wohnung wegfuhr, schoss Ivo dies alles noch einmal durch den Kopf. Das ehedem gemeinsame Liebesnest war für ihn nur noch »Donatellas Wohnung«. Er bog nach Norden auf die belebte Via Cassia ab und steuerte sein Heim an. Im Rückspiegel sah er sein Gesicht; die Kratzwunden sahen fürchterlich aus. Und sein Hemd war voller Blut. Wie würde er das alles nur Simonetta erklären können, die Wunden an Gesicht und Rücken? Einen Moment lang spielte Ivo tatsächlich mit dem Gedanken, reinen Tisch zu machen, die Wahrheit auszupacken, aber er verwarf die wahnwitzige Idee ebenso schnell, wie sie ihm gekommen war. Allenfalls, ja wirklich allenfalls, hätte er Simonetta beichten können, in einem Augenblick geistiger Verwirrung mit einem Mädchen geschlafen und es geschwängert zu haben. Und vielleicht, aber wirklich nur vielleicht, würde er dieses Geständnis mit heiler Haut überleben. Aber drei Kinder? Über einen Zeitraum von mehreren Jahren? Nein, da war sein Leben kein Fünf-Lire-Stück mehr wert. Er musste jetzt nach Hause, das ließ sich nicht vermeiden, denn sie erwarteten Gäste zum Abendessen. Simonetta war sicher schon ungeduldig. Ivo saß in der Falle. Seine Ehe war ruiniert. Nur San Gennaro, der Heilige der Wundertätigkeit, konnte ihm noch helfen. Sein Blick wurde von einer Hausreklame neben der Via Cassia gefangengenommen. Er trat hart auf die Bremse, bog von der Straße ab und hielt den Wagen an.
Eine halbe Stunde später passierte Ivo in Olgiata das Tor zur Auffahrt des vornehmen Anwesens. Er ignorierte die erstaunten Blicke der uniformierten Wachleute, die seinem zerkratzten Gesicht und dem blutgetränkten Hemd galten, und fuhr über die Allee zu seiner eigenen Einfahrt, hielt schließlich vor dem Haus. Er stieg aus, öffnete die Tür und ging geradewegs ins Wohnzimmer. Dort hielten sich Simonetta und Isabella, die älteste Tochter, auf. Als Simonettas Blicke auf ihren Mann fielen, wurde sie vor Schreck ganz blass.
»Ivo! Um Himmels willen! Was ist geschehen?«
Ivo verzog sein Gesicht mühsam zu einem Lächeln, was ihn höllisch schmerzte. Kleinlaut gestand er: »Ich glaube, ich hab’ was ziemlich Dummes angestellt, cara -«
Simonetta war näher getreten. Sie musterte die Kratzer auf seinem Gesicht, und Ivo sah, wie ihre Pupillen sich verengten. Als sie sprach, lag Eiseskälte in ihrer Stimme. »Wer hat dein Gesicht zerkratzt?«
»Tiberio«, verkündete Ivo. Und hinter seinem Rücken brachte er eine graue Katze zum Vorschein, hässlich, fauchend. Sie sprang ihm aus dem Arm und rannte quer durch das Zimmer davon. »Ich hab’ sie für Isabella gekauft, aber das verdammte Biest fiel mich an, als ich sie in den Korb stecken wollte.«
Simonettas Stimme verriet besorgte Zärtlichkeit. »Povero amore mio!« Sie umfasste ihn vorsichtig. »Angela mio! Komm nach oben und leg dich sofort hin. Ich rufe den Arzt. Ich werde Jod holen. Ich -«
»Aber nein, nicht doch, mir geht’s prima. Ich fühle mich bestens.« Ivo übertrieb, denn er zuckte zusammen, als sie ihn in die Arme schloss. »Vorsicht, ich fürchte, das Biest hat mich auch am Rücken erwischt.«
»Amore! Wie du leiden musst!«
An der Haustür klingelte es.
»Ich gehe hin«, sagte Simonetta.
»Nein, nein, ich geh’ schon«, entgegnete Ivo schnell. »Ich erwarte wichtige Unterlagen aus dem Büro.«
Er eilte zur Haustür und öffnete.
»Signor Palazzi?«
Ein Bote in grauer Uniform übergab ihm einen Umschlag. Darin befand sich ein Telex von Rhys Williams. Schnell überflog Ivo die Nachricht. Dann stand er lange regungslos an der Haustür.
Schließlich holte er tief Atem und ging nach oben, um sich für seine Gäste umzuziehen.
4. Kapitel
Buenos Aires
Montag, 7. September, 15 Uhr
Das Autodrom, der Rennkurs im Vorort von Buenos Aires, war mit fünfzigtausend Zuschauern bis auf den letzten Platz besetzt. Fünfzigtausend im Bann des klassischen Championats. Das Rennen auf dem SechsKilometer-Rundkurs führte über 115 Runden. Schon fast fünf Stunden heulten die Motoren, fünf Stunden unter einer Sonne, die wie die Strafe Gottes vom Himmel brannte. Von einem Feld von dreißig gestarteten Wagen waren nur noch ein paar übriggeblieben. Die Menge war Zeuge eines historischen Ereignisses. Nie zuvor hatte es ein solches Autorennen gegeben, gut möglich auch, dass niemals wieder ein derart mörderischer Kampf stattfinden würde. An diesem Tag waren alle versammelt, die als Rennfahrer Rang und Namen hatten: Chris Amon aus Neuseeland, Brian Redman aus Lancashire. Der Italiener Andrea di Adamici fuhr einen Alfa Romeo Typ 33, der Brasilianer Carlos Maco einen Formel l March. Der belgische Meisterfahrer Jacky Ickx war ebenso dabei wie der Schwede Reine Wisell in einem BRM.
Der Kurs wirkte wie ein Regenbogen mit dem wirbelnden Rot, Grün, Schwarz, Weiß und Gold der Ferraris, Brabhams, Lotus’ und McLarens.
Als sie sich Runde um Runde abquälten, begannen die Giganten zu stürzen. Chris Amon lag an vierter Stelle, als das Gaspedal klemmte. Um Haaresbreite schoss er an Brian Redmans Cooper vorbei, bevor er den eigenen Wagen unter Kontrolle bekam, aber beide waren aus der Bahn geraten und damit aus dem Rennen. An erster Stelle lag Reine Wisell, knapp dahinter Jacky Ickx. In der Gegenkurve ging das Getriebe des BRM kaputt, Batterie und elektrische Anlagen gerieten in Brand. Der Wagen kam ins Schleudern, und auch der Ferrari von Jacky Ickx konnte dem Chaos nicht mehr entkommen.
Die Menge raste.
Mit fortschreitender Zeit hängten drei Wagen das übrige Feld ab. Das Führungstrio bestand aus dem Argentinier Jorje Amandaris auf Surtees, dem Schweden Nils Nilsson auf Matra und einem Ferrari 312 B-2 mit Martel, Frankreich, am Steuer. Die drei fuhren wie die Teufel, drehten auf den Geraden voll auf, schalteten auch an den überhöhten Kurven kaum herunter.
An der Spitze lag Jorje Amandaris, und die argentinischen Zuschauer spendeten dem Landsmann frenetischen Beifall. Aber dicht auf kam Nils Nilsson am Steuer des rot-weißen Matra, und kurz dahinter der schwarz-goldene Ferrari mit Martel aus Frankreich.