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Bis auf die letzten fünf Minuten war der französische Wagen nahezu unbemerkt mitgefahren, bevor er sich ganz plötzlich daranmachte, das Feld von hinten aufzurollen. Erst war er zehnter, dann siebter, schließlich fünfter. Und holte immer noch auf. Die Menge starrte hingerissen auf die Bahn, als der französische Wagen die Nummer zwei attackierte: Nilssons Matra. Die drei Wagen rasten mit mehr als 280 Kilometern pro Stunde über die Piste. Auf sorgfältig angelegten Grand-PrixStrecken wie Brands Hatch oder Watkins Glen war das schon gefährlich genug, auf der argentinischen Hausstrecke jedoch reiner Selbstmord. Die Rennleitung signalisierte: Noch 5 Runden.

Der schwarz-goldene französische Ferrari versuchte, Nilssons Matra zu passieren, und der Schwede ließ seinen Wagen um Zentimeter ausscheren:    Der französische Konkurrent war abgeblockt. Beide näherten sich einem überrundeten deutschen Wagen. Der befand sich jetzt direkt neben Nilsson. In diesem Moment fiel der französische Wagen zurück und nahm eine Position genau in dem schmalen Zwischenraum zwischen den beiden anderen Rennfahrern ein. Mit aufheulendem Motor stürzte sich der Ferrari wie ein schwarz-goldener Adler in die enge Lücke, zwang die beiden Vorderleute aus dem Weg und erkämpfte sich Platz zwei. Die Menge, die mit angehaltenem Atem das Manöver verfolgt hatte, machte ihrer Erregung brüllend Luft.

In Führung lag jetzt Amandaris, dahinter Martel, dann Nilsson. Noch 3 Runden. Amandaris hatte das Geschehen hinter sich beobachtet. Großartig, dieser französische Ferrari da hinter mir, dachte er, aber nicht gut genug, um mich zu schlagen. Amandaris war fest entschlossen, das Rennen zu gewinnen. Vor sich sah er das Schild: 2 Runden. Die Sache war fast gelaufen und er der Sieger. Aus dem Augenwinkel bemerkte er, wie der schwarz-goldene Ferrari gleichzuziehen suchte. Für den Bruchteil einer Sekunde bekam er die Augen des Konkurrenten hinter der großen Schutzbrille zu sehen: sie wirkten verbissen, angespannt und zum Äußersten entschlossen. Amandaris seufzte. Was er jetzt tun würde, tat er nicht gern, aber er hatte keine Wahl. Autorennen waren nun mal kein Sport, sondern ein Kampf.

Beide Wagen rasten auf die steile Nordkurve zu, die gefährlichste der Strecke. Dort hatten sich schon viele katastrophale Unfälle ereignet. Amandaris warf der Gestalt im Wagen neben sich noch einen Blick zu und packte das Lenkrad fester. Als die beiden Wagen in die Kurve rasten, nahm Amandaris kaum merklich den Fuß vom Gas, so dass der Ferrari leichten Vorteil bekam. Er sah den erstaunten Blick seines Konkurrenten. Doch schon war der Wagen aus Frankreich vor ihm und damit in der Falle. Die Menge schrie sich die Seele aus dem Leib. Jorje Amandaris wartete, bis dem Ferrari nichts anderes übrigblieb, als ihn außen vollends zu überholen. In diesem Moment trat er das Gaspedal voll durch und scherte nach rechts aus, schnitt dem Ferrari den Weg aus der Kurve in die Gerade ab, so dass diesem kein anderer Ausweg blieb, als die Böschung hinaufzurasen.

Amandaris sah das plötzliche Erschrecken in den Augen des Fahrers und entbot ihm im stillen einen Abschiedsgruß: Salud! Im selben Augenblick jedoch riss dieser das Steuer herum und zielte mit dem Bug des Ferrari mitten auf seinen Surtees. Der Argentinier traute seinen Augen nicht: Der Ferrari ging auf direkten Kollisionskurs mit ihm! Die beiden hochkarätigen Rennwagen waren kaum einen Meter voneinander entfernt, und bei der Geschwindigkeit musste sich Amandaris in Sekundenbruchteilen entscheiden. Wie hatte er auch ahnen können, dass der Fahrer aus Frankreich komplett verrückt war? Mit einer ruckartigen Bewegung riss Amandaris das Lenkrad nach links, im verzweifelten Bemühen, dem Zusammenprall zu entgehen. Gleichzeitig stieg er hart auf die Bremse. Der französische Wagen verfehlte ihn um Zentimeter, schoss an ihm vorbei in Richtung Ziellinie. Einen Moment lang schlingerte der Wagen von Jorje Amandaris, geriet dann in wildem Wirbel vollends außer Kontrolle, überschlug sich mehrmals, bis er in einem rot-schwarzen Feuersturm explodierte.

Doch die Menge hatte nur noch Augen für den französischen Ferrari, der über die Ziellinie schoss. Mit hysterischem Kreischen umringten Zuschauer den Wagen. Aus dem Cockpit stieg langsam der Sieger, nahm Brille und Helm ab.

Die Fahrerin trug ihr weizengelbes Haar kurz geschnitten, das Gesicht war streng, aber gut geformt. Die Frau strömte eine Aura klassisch-kalter Schönheit aus. Sie bebte am ganzen Körper, nicht etwa vor Erschöpfung, sondern vor Erregung, einer Art Ekstase, erwachsen aus der Erinnerung an den Blick seiner Augen, als sie Jorje Amandaris in den Tod schickte. Aus dem    Lautsprecher    war eine aufgeregt    sich

überschlagende Stimme zu hören: »Siegerin des großen Rennens von Buenos Aires ist Helene Roffe-Martel, Frankreich, auf Ferrari.«

Zwei Stunden später waren Helene und ihr Mann Charles in ihrer Suite im Hotel Ritz. Sie lagen vor dem Kamin, Helene nackt auf ihm in der klassischen Position von »La Diligence de Lyon«, und Charles flehte sie an: »O lieber Gott, Helene, bitte nur das nicht! Bitte!«

Sein Betteln steigerte ihre Erregung, sie verstärkte den Druck, tat ihm absichtlich weh, beobachtete, wie sich seine Augen mit Tränen füllten. Ich werde bestraft, dachte Charles, und das ohne jeden Anlass. Wenn er sich ausmalte, was Helene mit ihm anstellen würde, sollte sie jemals hinter seine große Verfehlung kommen, ertrug er sogar die gegenwärtigen Schmerzen.

Charles Martel hatte Helene Roffe ihres Namens und Geldes wegen geheiratet. Nach der Hochzeit hatte sie ihren Namen beibehalten, zusammen mit dem seinen. Behalten hatte sie auch ihr Geld. Als Charles klar wurde, welch schlechtes Geschäft er gemacht hatte, war es längst zu spät.

Zur Zeit seiner ersten Begegnung mit Helene Roffe war Charles Martel Juniorpartner einer großen Anwaltsfirma in Paris. Er sollte Unterlagen in den Konferenzraum bringen, wo gerade eine Konsultation stattfand. Als er eintrat, sah er die vier Seniorpartner der Firma, außerdem Helene Roffe. Für Charles war sie ein Begriff wie für jedermann in Europa. Sie war eine Erbin des Roffe-Vermögens. Zudem führte sie sich dermaßen wild und unkonventionell auf, dass die Zeitungen und Illustrierten sie geradezu anbeteten. Sie war eine Meisterin auf Skiern, flog einen eigenen Learjet, hatte eine Bergexpedition in Nepal angeführt, erregte Aufsehen als Teilnehmerin von Auto- und Pferderennen und wechselte ihre Männer wie ihre Kleider. An jenem Tag befand sie sich in der Anwaltskanzlei, weil ihre jüngste Scheidung bevorstand. Charles Martel war sich nicht sicher, welche, die vierte oder die fünfte; es interessierte ihn auch nicht. Die Roffes dieser Welt lagen weit jenseits seines Horizonts.

Als Charles die Unterlagen seinen Vorgesetzten übergab, war er von ängstlicher Nervosität erfüllt, und das nicht etwa, weil Helene Roffe anwesend war, die sah er kaum an, sondern wegen seiner vier Seniorpartner. Sie verkörperten für ihn die Autorität, und Charles Martel respektierte Autorität. Er hatte ein schüchternes, zurückhaltendes Wesen und war mit seinem bescheidenen Leben in einem kleinen Appartement in Passy und mit seiner recht dürftigen Briefmarkensammlung vollauf zufrieden.

Als Anwalt war Charles Martel zwar nicht brillant, jedoch kompetent, gründlich und zuverlässig. Er strahlte eine etwas steife Würde aus. Er war in den frühen Vierzigern, nicht unattraktiv, aber keineswegs überwältigend. Irgend jemand hatte von ihm einmal gesagt, er besäße den Charme nassen Sandes, und die Beschreibung tat ihm nicht einmal Unrecht. Bei alledem war es schon eine gewaltige Überraschung, was am Tag nach seiner ersten Begegnung mit Helene Roffe geschah. Charles Martel erhielt die Aufforderung, im Büro von M. Michel Sachard, dem Seniorpartner, zu erscheinen, und dort eröffnete man ihm: »Helene Roffe wünscht, dass Sie persönlich ihren Scheidungsfall übernehmen.«

Charles Martel war wie vom Donner gerührt. »Warum ich, Monsieur Sachard?« erkundigte er sich schüchtern.