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Sachard sah ihm eine Weile in die Augen und meinte schließlich: »Da fragen Sie mich zuviel. Arbeiten Sie jedenfalls zu ihrer Zufriedenheit.«

Da er nun einmal Helenes Scheidungsklage am Halse hatte, ließ es sich nicht umgehen, dass er häufig mit ihr zusammentraf. Viel zu oft, wie er meinte. Entweder sie rief ihn an und lud ihn zum Essen in ihre Villa in Le Vesinet ein, um den Fall in Ruhe zu erörtern, oder sie schleppte ihn in die Oper oder in ihr Haus in Deauville. Charles versuchte immer wieder, ihr beizubringen, dass es sich um einen höchst einfachen Fall handele und die Scheidung fast automatisch erfolgen würde, aber Helene - sie bestand darauf, nur beim Vornamen genannt zu werden - erwiderte stets, sie bedürfe seines ständigen Beistands. Später pflegte er sich in grimmiger Ironie an diese Beteuerungen zu erinnern.

In den Wochen nach ihrem ersten Zusammentreffen keimte in Charles der Verdacht auf, Helene habe ein romantisches Interesse an ihm gefunden. Erst konnte er es überhaupt nicht glauben. War er nicht ein Niemand, sie dagegen Mitglied einer der reichsten Familien? Doch Helene ließ ihn über ihre Absichten nicht lange im Ungewissen. »Ich werde Sie heiraten, Charles.«

An Heirat hatte er noch nie in seinem Leben gedacht. In Gegenwart von Frauen fühlte er sich unbehaglich. Außerdem liebte er Helene nicht, war sich nicht einmal sicher, ob sie ihm überhaupt sympathisch war. Der Wirbel und die Aufmerksamkeit, die sie überall erregte, wo sie sich nur blicken ließ, bereitete ihm akutes Missbehagen. Er sah sich im Rampenlicht ihrer Berühmtheit gefangen, eine Rolle, die ihm völlig fremd war. Ihr aufwendiger Lebensstil war seiner konservativen Art zuwider. Sie kreierte neue Moden, war der Inbegriff von Glanz und Gloria, während er selbst, nun ja, einen durchschnittlichen, simplen, nicht mehr ganz jungen Rechtsanwalt abgab. Er verstand überhaupt nicht, was Helene Roffe an ihm fand. Auch sonst gab es niemanden, der das begriff. Weil die Gazetten ständig von Helenes Abenteuern in Sportarten berichteten, die sonst als Männerdomänen galten, wurde sie bald für eine Emanzipierte gehalten. In Wahrheit hatte sie für die Frauenbewegung nur Abscheu übrig. Das dauernde Gerede von Gleichheit zwischen Mann und Frau erfüllte sie mit Verachtung. Sie sah nicht den geringsten Grund, warum den Männern die Gleichstellung mit der Frau erlaubt werden sollte. Männer waren ganz nützlich, wenn man sie brauchte. Zwar waren sie nicht besonders helle, aber man konnte sie dressieren, Zigaretten zu holen, Feuer zu geben, Botengänge zu erledigen, Türen zu öffnen und im Bett das zu leisten, was man erwarten konnte. Insgesamt waren Männer recht putzige Haustiere mit dem Vorzug zu wissen, wie man sich ankleidet, badet und eine Toilette benutzt. Eine ganz amüsante Spezies.

Helene Roffe hatte sie alle genossen, die Playboys, die Draufgänger, die Wirtschaftsbosse und die Schönlinge. Ein Charles Martel war ihr noch nicht begegnet. Sie wusste genau, was er darstellte: ein Nichts, ein Stück ungeformten Tons. Und eben das empfand sie als Herausforderung. Sie war entschlossen, ihn zu übernehmen, zu formen, festzustellen, was sich aus ihm machen ließe. Und als Helene Roffe einmal den Entschluss gefasst hatte, besaß Charles Martel nicht die Spur einer Chance zu entkommen.

Sie heirateten in Neuilly, verlebten die Flitterwochen in Monte Carlo, wo Charles sowohl seine Jungfräulichkeit als auch die Illusionen verlor. Er hatte vorgehabt, weiter in der Anwaltskanzlei zu arbeiten.

»Sei kein Dummkopf«, kommentierte seine Braut. »Meinst du, ich will mit einem Kanzlei-Schreiberling verheiratet sein? Du steigst ins Familiengeschäft ein. Eines Tages hast du den Konzern in der Hand. Haben wir ihn in der Hand, meine ich.«

Helene öffnete ihm die Tür zur Pariser Niederlassung von Roffe und Söhne. Er hatte ihr über jeden einzelnen Vorgang dort Bericht zu erstatten, und sie führte ihn, half ihm, dachte für ihn. Dementsprechend schnell kletterte Charles die Leiter empor. Bald unterstand ihm die französische Zweigstelle, und er bekam einen Sitz im Direktorium. Helene Roffe hatte die Wandlung vollbracht: Aus einem unbedeutenden Anwalt war einer der Hauptakteure eines bedeutenden Konzerns geworden. Er hätte sich im siebten Himmel fühlen müssen. Er lebte aber in der tiefsten Hölle. Vom ersten Moment ihrer Ehe an sah sich Charles von seiner Frau beherrscht. Sie bestimmte seinen Schneider, seine Schuh- und Hemdenfabrikanten. Sie verschaffte ihm Aufnahme im exklusiven Reitclub. Helene behandelte Charles wie einen Gigolo. Sein Gehalt ging direkt an sie, und sie teilte ihm ein kläglich kleines Taschengeld zu. Brauchte Charles mehr, musste er Helene darum bitten. Er hatte Rechenschaft abzulegen über jede Minute seiner Zeit und ihr ständig auf Abruf zur Verfügung zu stehen. Ihn zu erniedrigen bereitete ihr offensichtlich Vergnügen. Nicht selten rief sie ihn im Büro an und beorderte ihn auf der Stelle nach Hause. Er sollte irgendeine Massagecreme oder ähnlich läppisches Zeug für sie mitbringen. Kam er dann, war sie schon im Schlafzimmer und wartete nackt auf ihn. Sie war unersättlich, ein Tier. Bis zu seinem zweiunddreißigsten Lebensjahr hatte Charles bei seiner Mutter gelebt, dann war sie an Krebs gestorben. Solange er zurückdenken konnte, war sie Invalide gewesen. Er hatte sie gepflegt. Da gab es keine Zeit, mit Mädchen auszugehen oder gar zu heiraten. Seine Mutter hatte für ihn eine schwere Bürde bedeutet, und als sie starb, erwartete Charles ein Gefühl von Freiheit. Statt dessen hatte er nur den Verlust empfunden. Frauen und Sex interessierten ihn nicht; er hatte kein Verlangen danach. In einem naiven Ausbruch von Offenheit hatte er Helene das zu erklären versucht, als sie das erste Mal von Heirat sprach. »Meine - meine Libido ist nicht sehr stark entwickelt«, gestand er.

Aber Helene hatte nur gelacht. »Armer Charles! Mach dir keine Sorgen wegen Sex. Dir wird’s schon gefallen, das verspreche ich dir.«

Statt Gefallen daran zu finden, hasste er Sex. Das schien Helenes Gelüste nur noch zu steigern. Sie verlachte ihn ob seiner Schwächlichkeit und zwang ihn zu widerlichen Dingen, bei denen Charles übel wurde und er tiefe Demütigung empfand. Der Liebesakt selbst erschien ihm entwürdigend genug. Aber Helene schwelgte in Experimenten. Charles wusste nie, was ihn erwartete. Einmal, im Augenblick, da er den Orgasmus erlebte, hatte sie seine Hoden mit gestoßenen Eisstückchen traktiert, ein andermal ihm einen elektrischen Vibrator in den After geschoben. Charles hatte schreckliche Angst vor Helene. Sie gab ihm das Gefühl, dass sie der Mann und er die Frau war. Er versuchte, seinen Stolz auf eine andere Art zu retten, musste aber feststellen, dass es kein Gebiet gab, auf dem Helene ihm nicht überlegen war. Sie war überaus intelligent. Von Jura verstand sie ebensoviel wie er, von Geschäften erheblich mehr. Stunde um Stunde redete sie mit ihm über den Konzern, davon konnte sie nie genug bekommen. »Denk doch mal an diese geballte Macht, Charles! Roffe und Söhne sind entscheidend für Wohl und Wehe von mehr als der Hälfte aller Länder. Von Rechts wegen müsste ich den Konzern führen. Mein Urgroßvater hat ihn gegründet.«

Und nach einem dieser Ausbrüche war Helene im Bett um so unersättlicher. Charles musste sie dann auf Arten befriedigen, an die er gar nicht denken durfte. Sie brachte ihn dazu, sie zu hassen und zu verachten. Er hatte nur einen Traum: von ihr wegzukommen, zu fliehen. Aber dafür brauchte er zuerst einmal Geld.

Eines Tages hörte Charles von der Möglichkeit, ein Vermögen zu machen. Sein Freund Rene Duchamps erzählte ihm beim Lunch davon.

»Einer meiner Onkel ist gerade gestorben. Ihm gehörte ein großes Weingut in Burgund. Das steht jetzt zum Verkauf: zehntausend Morgen Grund und Boden für erstklassigen Appellation d’origine contro-lee. Ich hab’ die vertrauliche Information und so die Hand drauf«, fuhr Rene Duchamps fort, »schließlich bleibt’s dann in der Familie, verfüge aber nicht über die Mittel, um das allein zu finanzieren. Wenn du mitmachst, könnten wir unser Geld in einem Jahr verdoppeln. Komm wenigstens mal und sieh dir’s an.«