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Charles brachte es nicht über sich, seinem Freund zu gestehen, dass er keinen Pfennig besaß. Aber er fuhr mit zu den sanften roten Hügeln von Burgund, um sich das Weingut anzusehen. Er war tief beeindruckt.

»Wir investieren jeder zwei Millionen Francs«, eröffnete ihm Rene Duchamps. »In Jahresfrist haben wir jeder vier Millionen.«

Vier Millionen Francs! Das hieß Freiheit, Entkommen. Er würde an einen Ort fliehen, wo Helene ihn nicht fand.

»Ich werd’ es mir überlegen«, versprach Charles seinem Freund.

Und er überlegte es sich Tag und Nacht. Es war die Chance seines Lebens. Aber wie sie realisieren? Charles wusste um die Unmöglichkeit des Versuchs, irgendwo Geld zu leihen, ohne dass Helene sofort Wind davon bekam. Alles lief unter ihrem Namen: Häuser, Gemälde, Autos, Schmuck - die Juwelen, jene wunderschönen, völlig nutzlosen Klunker, die Helene im Schlafzimmersafe aufbewahrte. Langsam, sehr allmählich nahm der Gedanke Gestalt an. Wenn er sich ihrer Juwelen bemächtigte, immer ganz vorsichtig Stück für Stück, und die Originale durch Kopien ersetzte und die echten verpfändete. Und nachdem er im Weingut abgeerntet hätte, die Steine einfach auslöste und sie zurückbrachte. Dann hätte er immer noch genug Geld übrig, um für alle Zeiten zu verschwinden.

Das Herz klopfte Charles vor Aufregung bis zum Hals, als er Rene Duchamps anrief. »Ich habe mich entschieden«, verkündete er. »Ich mache mit.«

Der erste Teil des Plans stand ihm bevor wie ein Berg des Grauens. Er musste den Safe aufbekommen und Helenes Juwelen stehlen.

Der Vorgeschmack dieses beängstigenden Unterfangens machte Charles so nervös, dass er kaum noch zu etwas fähig war. Er bewegte sich wie ein Automat, nahm nichts mehr von dem wahr, was um ihn vorging. Nur wenn er Helene sah, erwachte er aus der Trance, und der kalte Schweiß brach ihm aus. Seine Hände fingen immer wieder an, ohne ersichtlichen Grund zu zittern. Helene sorgte sich so intensiv um ihn, wie sie es um jedes Haustier getan hätte. Ein Arzt musste kommen und Charles untersuchen, konnte aber nichts feststellen. »Ihr Gatte sieht ein wenig abgespannt aus. Vielleicht ein, zwei Tage Bettruhe.«

Charles lag nackt im Bett. Helene schenkte ihm einen langen Blick und lächelte. »Danke sehr, Herr Doktor. Vielen Dank.«

Sobald der Arzt gegangen war, warf Helene die Kleider ab. Charles protestierte: »Ich... ich fühle mich nicht kräftig genug.«

»Aber ich«, antwortete Helene kurz.

Sein Hass auf sie war noch nie größer gewesen.

Die große Chance kam in der darauffolgenden Woche. Mit ein paar Freunden wollte Helene zum Skilaufen nach Garmisch. Sie entschloss sich, Charles in Paris zu lassen.

»Und dass du mir jeden Abend zu Hause bist«, wies sie ihn an. »Ich werde dich anrufen.«

Charles sah ihr nach, wie sie am Steuer ihres kleinen roten Jensen davonraste. Sobald sie außer Sicht war, eilte er zum Wandsafe. Er hatte sie oft beim Öffnen beobachtet und kannte die Kombination zum Teil. Er brauchte eine Stunde, um sie auszutüfteln. Mit zitternden Händen zog er die Stahltür auf. Da lag der Schmuck, lag seine Freiheit, in Samt gebettet, funkelnd wie winzige Sterne. Einen Juwelier hatte er schon ausfindig gemacht, einen gewissen Pierre Richaud, Meisterin der Anfertigung von Duplikaten. Heftig atmend und nervös hatte Charles ihm seinen Wunsch vorgetragen, Gründe konstruiert, warum er Kopien der Juwelen haben wollte, aber Richaud hatte ihn kühl unterbrochen. »Monsieur, das ist doch nichts Besonderes. Alle bestellen bei mir Kopien. Nur Dummköpfe laufen noch mit echten Steinen herum.«

Charles gab ihm immer nur ein Stück zum Nacharbeiten, und wenn ein Falsifikat fertig war, tauschte er es gegen das echte Stück aus. Auf die kostbarsten Stücke nahm er Geld auf bei der Credit Municipal, dem staatlichen Pfandhaus.

Die ganze Operation dauerte länger, als Charles angenommen hatte. Er kam nur an den Safe, wenn Helene nicht zu Hause war, und beim Kopieren stellten sich unerwartete Verzögerungen ein. Doch endlich war der große Tag da, und Charles konnte seinem Freund Rene Duchamps verkünden: »Morgen bekommst du das Geld.«

Es war vollbracht. Er durfte sich als Halbeigentümer eines großen Weinbergs fühlen. Und Helene hatte nicht die leiseste Ahnung von alledem.

Insgeheim hatte Charles angefangen, sich mit der Kunst des Weinanbaus vertraut zu machen. Warum auch nicht? War er doch jetzt ein richtiger Winzer. Er lernte, die verschiedenen Sorten zu unterscheiden: cabernet sauvignon vor allem, aber angebaut wurden auch gros cabernet, merlot, malbec, petit verdot. In seinem Büro waren    die    Schubladen    voller    Fachschriften    über

Bodenbeschaffenheit und Keltermethoden. Er lernte alles über Gärung, Beschneiden und Veredelung, erfuhr vor allem, dass die Nachfrage nach Wein in der Welt im stetigen Ansteigen begriffen war.

Regelmäßig traf er sich mit seinem Partner. »Die Sache macht sich sogar noch besser, als ich glaubte«, eröffnete ihm Rene. »Die Weinpreise schnellen in die Höhe.    Bei    der ersten    Lese    müssten wir    drei hunderttausend Francs pro Tonne rausschlagen können.«

Das war mehr, als sich Charles je erträumt hatte. Rotgolden leuchteten die Reben auf den Hügeln. Charles besorgte sich Reiseprospekte über die Südsee-Inseln, Venezuela und Brasilien. Allein die Namen hatten einen magischen Klang. Das Problem war nur: Es gab wenig Plätze auf der Welt, wo Roffe und Söhne keine Niederlassung besaßen, mit anderen Worten, wo er Helenes Zugriff entzogen war. Und wenn sie ihn fand, brachte sie ihn um. Das stand für ihn unverrückbar fest. Es sei denn, er käme ihr damit zuvor. Das war eine seiner liebsten Phantasien. Immer und immer wieder brachte er Helene in seinen Träumen auf tausenderlei köstliche Arten um.

So pervers es ihm selbst vorkam, machten ihm Helenes Praktiken jetzt geradezu Spaß. Zwang sie ihn zu Dingen, die man gar nicht aussprechen konnte, dachte er immer nur: Bald, sehr bald bin ich über alle Berge, du alte Hure. Und ich mäste mich von deinem Geld, und du kannst nicht das geringste dagegen tun.

Und sie befahclass="underline" »Schneller jetzt« oder »Streng dich gefälligst an« oder »Jetzt nicht aufhören!« Er gehorchte beflissen.

Und freute sich insgeheim.

Beim Weinbau, das wusste Charles, waren die kritischen Monate im Frühling und Sommer. Denn wenn die Trauben im September gepflückt wurden, mussten sie eine ausgewogene Saison hinter sich haben, Sonne und Regen. Zuviel Sonne zerstört das Aroma, zuviel Regen ertränkt es. Der Juni begann großartig. Einmal, schließlich sogar zweimal täglich ließ sich Charles den Wetterbericht für Burgund geben. Vor Ungeduld lebte er wie im Fieber: Nur noch wenige Wochen bis zur Erfüllung seiner Träume. Nach langem Überlegen hatte er sich schließlich für Montego Bay entschieden. Roffe und Söhne hatten keine Niederlassung in Jamaika. Dort würde er sich leicht verbergen können. Natürlich würde er Round Hill meiden oder Ocho Rios samt Umgebung, dort könnte er allzuleicht Freunden von Helene begegnen. Nein, er würde in den Hügeln ein kleines Haus kaufen. Das Leben war billig auf der Insel. Dort konnte er sich Hauspersonal leisten, gutes Essen, überhaupt den Luxus, der seiner bescheidenen Lebensart entsprach.

So war Charles Martel ein glücklicher Mann in jenen ersten Junitagen. Sein häusliches Leben verlief in Schmach und Schande, aber er lebte nicht in der Gegenwart, bewegte sich vielmehr längst in der Zukunft, lustwandelte auf einer tropischen sonnenüberfluteten und windliebkosten Insel in der Karibik.

Und das Juniwetter schien jeden Tag noch schöner zu werden. Es gab Sonne wie Regen, geradezu ideal für die zarten kleinen Reben. Und im gleichen Maße, wie sie wuchsen, vergrößerte sich auch Charles’ Vermögen.