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Elizabeth brach in Tränen aus.

In jener Nacht lag sie hellwach in ihrem Bett, zum Schlafen viel zu aufgeregt. Immer wieder ließ sie den Abend an sich vorbeiziehen. Sie konnte ihre Erregung nicht unterdrücken. Denn das war kein gewöhnlicher Tagtraum. Das war Wirklichkeit. Sie sah sich und ihren Vater bei Rumpelmayer, umgeben von den vielen farbenprächtigen ausgestopften Tieren: Bären, Elefanten, Löwen, Zebras. Elizabeth hatte sich ein Bananensplit bestellt, das sich als zu riesig für sie erwies, aber ihr Vater hatte kein Wort der Kritik geäußert. Er unterhielt sich ganz zwanglos mit ihr. Nicht auf die übliche Weise: Wie-geht’s-in-der-Schule-danke-sehr-gut und so weiter. Nein, er sprach ganz vernünftig mit ihr. Er erzählte von seiner jüngsten Reise nach Tokio und wie sein Gastgeber ihm Heuschrecken mit Schokoladensauce und Ameisen als besondere Delikatesse servierte und er sie hatte kosten müssen, um sein Gesicht nicht zu verlieren.

Als Elizabeth das Eis aufgegessen hatte, fragte ihr Vater plötzlich: »Warum hast du das vorhin getan, Liz?«

Sie wusste, jetzt war alles vorbei, nun kam doch noch die große Schelte, und sie würde hören, wie sehr sie ihn enttäuscht hatte.

Ihre Antwort hieß: »Ich wollte besser sein als die anderen.« Was sie gern hinzugesetzt hätte, brachte sie nicht über die Lippen: für dich, Vater.

Er sah sie prüfend an; es schien ihr wie eine Ewigkeit. Dann lachte er plötzlich. »Du warst wirklich die Sensation des Abends.« Und in seiner Stimme schwang hörbar Stolz mit.

Elizabeth fühlte, wie ihr das Blut in die Wangen schoss. »Du bist also nicht böse auf mich?«

In seinem Blick lag etwas, das sie nie zuvor bemerkt hatte. »Böse? Weil du die Beste sein wolltest? Das ist der Stoff, aus dem die Roffes gemacht sind.« Er tätschelte ihre Hand.

Und als Elizabeth langsam in Schlaf versank, waren ihre letzten Gedanken: Mein Vater mag mich, er mag mich wirklich. Jetzt werden wir immer Zusammensein. Er wird mich auf seine Reisen mitnehmen. Wir reden über alles und werden dicke Freunde.

Am nächsten Nachmittag rief die Sekretärin ihres Vaters an. Alle Vorbereitungen waren getroffen: Elizabeth wurde in ein Schweizer Internat geschickt.

Elizabeth fand Aufnahme im Chäteau Lemand, einer Schule für Mädchen, oberhalb des Neuenburger Sees im Dorf Sainte-Blaise gelegen. Die jungen Damen waren zwischen vierzehn und achtzehn Jahre alt. Es handelte sich um eine der besten Internatsschulen, die das vielgepriesene Schweizer Erziehungssystem aufzuweisen hat.

Jede Minute ihres Aufenthalts dort war Elizabeth ein Greuel.

Sie fühlte sich im Exil. Man hatte sie von zu Hause vertrieben, und ihr kam das wie eine drakonische Strafe vor für ein Verbrechen, das sie gar nicht begangen hatte. An jenem himmlischen Abend in New York hatte sie geglaubt, an der Schwelle einer neuen, wundervollen Zeit zu stehen, endlich mit ihrem Vater vereint zu sein und es erreicht zu haben, dass sie beide Freunde wurden. Nun aber war er weiter von ihr entfernt als je zuvor.

Seine Spuren kreuz und quer durch die Welt konnte sie in den Zeitungen verfolgen. Nur allzuoft erschienen Berichte über ihn oder Fotos, die ihn mit einem Premierminister oder Präsidenten zeigten oder bei der Eröffnung einer neuen Pharma-Fabrik in Bombay, beim Bergsteigen und beim Galadiner mit dem Schah von Persien. Elizabeth schnitt alle Berichte aus und klebte sie in ein Album, über dem sie stundenlang sitzen konnte. Das Album teilte sein Versteck mit dem Buch über Samuel.

Von den anderen Schülerinnen hielt sie sich nach Möglichkeit fern. Einige Mädchen schliefen zu dritt oder viert in einem Raum, Elizabeth aber hatte gleich um ein Einzelzimmer gebeten. Dort schrieb sie lange Briefe an ihren Vater und zerriss sie sofort, wenn sie zuviel von ihren Gefühlen preisgaben. Hin und wieder bekam sie eine kurze Nachricht von ihm, und an ihren Geburtstagen brachte die Post hübsche Päckchen aus exklusiven Läden, abgeschickt von der Sekretärin ihres Vaters. Sie vermisste ihn entsetzlich.

Weihnachten sollte sie mit ihm zusammen in der Villa auf Sardinien feiern. Je näher das Fest rückte, desto unerträglicher erschien ihr das Warten. Vor Aufregung wurde ihr schlecht. Sie dachte sich eine Art Verhaltenskodex für ihr Zusammensein aus und brachte ihre Entschlüsse gewissenhaft zu Papier:

Aufdringlichkeit vermeiden.

Als Gesprächspartnerin interessant machen.

Über nichts beklagen, vor allem nicht über die Schule.

Nicht merken lassen, wie einsam ich mich fühle.

Ihn nicht beim Reden unterbrechen.

Auf gute Manieren achten, auch beim Frühstück.

Viel lachen, damit er sieht, wie glücklich ich bin.

Die Notizen waren wie ein Gebet, eine Litanei, ihr persönliches Opfer an die Götter. Wenn sie all das beachtete, vielleicht vielleicht... Elizabeths Vorsätze mündeten in bunte Phantasien. Sie würde treffende, kluge Bemerkungen über die dritte Welt und die Entwicklungsländer machen. Dann würde ihr Vater sagen: »Ich wusste gar nicht, wie interessant man sich mit dir unterhalten kann.« (Regel Nummer zwei.) »Du hast ein helles Köpfchen, Elizabeth, wirklich.« Dann würde er sich an seine Sekretärin wenden und sagen: »Eigentlich ist es völlig überflüssig, Elizabeth weiter in die Schule zu schicken. Ich behalte sie lieber hier bei mir.«

Elizabeths Vorweihnachtsgebet.

Ein konzerneigener Learjet nahm sie in Zürich an Bord und brachte sie nach Olbia auf Sardinien. Am Flughafen wurde sie von einer Limousine abgeholt. Elizabeth saß im Fond, ganz still, mit zusammengepressten Knien, damit ihre Beine nicht zitterten. Was auch immer geschieht, nahm sie sich vor, er soll mich nicht heulen sehen. Er darf nie erfahren, wie sehr ich mich nach ihm sehne.

Der Wagen fuhr die lange, kurvenreiche Bergstraße zur Costa Smeralda hinauf, bog dann ab in die enge Gipfelstraße. Hier hatte Elizabeth immer Angst gehabt. Die Straße war sehr schmal und mit Haarnadelkurven gespickt. Auf der einen Seite ragte eine steile Felswand, auf der anderen Seite, unmittelbar am Straßenrand, gähnte der tiefe Abgrund.

Schließlich hielt die Limousine vor dem Haus. Elizabeth stieg aus und eilte zur Tür, so schnell sie konnte. Vor ihr öffnete sich die Haustür. Auf der Schwelle stand lächelnd Margherita, die sardische Haushälterin. »Willkommen, Miss Elizabeth!«

»Wo ist mein Vater?«

»Er musste ganz plötzlich nach Australien, eine dringende Angelegenheit. Aber er hat viele schöne Geschenke für Sie dagelassen. Ach, Miss Elizabeth, das wird ein wunderschönes Weihnachtsfest!«

Elizabeth hatte das Buch mitgebracht. Sie stand in der Eingangshalle der Villa und betrachtete die Gemälde von Samuel und Terenia Roffe. So intensiv spürte sie die beiden, dass sie meinte, sie wären aus dem Rahmen getreten und zum Leben erwacht. Erst nach langer Zeit konnte sie sich losreißen. Mit dem Buch unter dem Arm kletterte sie die steile Treppe ins Turmzimmer hinauf. Von nun an verbrachte sie täglich viele Stunden dort oben, las weiter und weiter, und jedes Mal fühlte sie sich enger verwachsen mit Samuel und Terenia; das Jahrhundert zwischen ihnen schrumpfte.

Während der nächsten Jahre, las Elizabeth, verbrachte Samuel viele Stunden in Dr. Wals Laboratorium. Er half ihm bei der Herstellung von Salben und Arzneien, lernte alles über ihre Anwendung und Wirkung. Und immer war im Hintergrund Terenia zugegen, das überirdisch schöne Wesen, das ihn bis in seine Träume verfolgte. Allein ihr Anblick genügte, um Samuels Wunschbild am Leben zu erhalten, dass sie eines Tages ihm gehören würde. Mit Dr. Wal kam Samuel gut aus, zu Terenias Mutter hingegen war sein Verhältnis getrübt. Sie war ein scharfzüngiger Drachen, voller Snobismus, und Samuel war ihr ein Dorn im Auge. Er hielt sich deshalb nach Möglichkeit von ihr fern.