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Aber sein Geschäft wuchs und wuchs, und nach kurzer Zeit konnte er Terenia eröffnen: »Meiner Meinung nach ist es an der Zeit, eine kleine Apotheke aufzumachen. Da können wir neben der Medizin Salben und Pülverchen verkaufen.«

Von Anfang an war der Laden ein Erfolg. Die Reichen, die Samuel früher ihre Hilfe verweigert hatten, kamen nun mit großzügigen Geldangeboten.

»Lass uns Partner sein«, sagten sie. »Wir bauen eine Kette von Geschäften auf.«

Samuel besprach die Offerten mit Terenia. »Ich habe Angst vor Partnern. Das ist unser Geschäft. Kein Fremder soll einen Teil unseres Lebens besitzen.«

Terenia stimmte zu.

Als das Geschäft immer weiter wuchs und neue Läden aus dem Boden schossen, vergrößerten sich auch die Geldangebote. Samuel wies alle Bewerber ab.

Sein Schwiegervater fragte nach dem Grund, und Samuel antwortete: »Lass nie einen freundlichen Fuchs in deinen Hühnerstall. Eines Tages bekommt er doch Hunger.«

Ebenso wie das Geschäft gedieh Samuels und Terenias Ehe. Sie gebar ihm fünf Söhne: Abraham, Joseph, Anton, Jan und Pitor. Und mit der Geburt eines jeden Sohnes eröffnete Samuel eine neue Apotheke, eine größer als die andere. Zuerst hatte Samuel einen Gehilfen eingestellt, dann den zweiten, und bald beschäftigte er mehr als zwei Dutzend Angestellte.

Eines Tages bekam er Besuch von einem Regierungsbeamten. »Wir heben einige Restriktionen für Juden auf«, erklärte er ihm. »Unser Wunsch ist, dass Sie eine Apotheke in Krakau eröffnen.«

Samuel kam der Aufforderung nach. Drei Jahre später konnte er in der Innenstadt von Krakau sein eigenes Geschäftshaus bauen und für Terenia ein elegantes Stadthaus. Endlich hatte Samuel seinen Traum wahr gemacht. Er war dem Ghetto entkommen.

Doch hegte er Träume, die weit über Krakau hinausreichten.

Als die Knaben älter wurden, engagierte er ihnen Hauslehrer, und jeder Sohn lernte eine andere Fremdsprache.

»Jetzt ist er komplett verrückt!« keifte seine Schwiegermutter. »Das Gespött aller Nachbarn! Da lässt er Abraham und Jan Englisch lernen, Joseph Deutsch, Anton Französisch und Pitor Italienisch. Keiner hier spricht auch nur eine dieser barbarischen Sprachen. Die Jungen werden nicht einmal miteinander reden können!«

Aber Samuel lächelte nur. »Das ist Teil ihrer Ausbildung.« Er wusste sehr wohl, mit wem seine Söhne sprechen würden.

Bis zur Mitte ihres zweiten Lebensjahrzehnts hatten alle Jungen mit ihrem Vater die verschiedensten Länder besucht. Auf jeder Reise legte Samuel den Grundstock für seine Zukunftspläne. Als Abraham einundzwanzig war, rief Samuel die Familie zusammen und verkündete: »Abraham wird nach Amerika auswandern.«

»Amerika!« schrie Terenias Mutter. »Da laufen doch lauter Wilde herum. Das lass’ ich mit meinem Enkel nicht machen. Der Junge bleibt hier, wo er sicher ist.«

Sicher. Samuel dachte an die Pogrome, an das blutige Ende seiner Mutter.

»Er wandert aus«, erklärte er. Und er wandte sich an Abraham: »Du wirst in New York eine Fabrik eröffnen und für das dortige Geschäft verantwortlich sein.«

»Jawohl, Vater«, erwiderte Abraham stolz.

Samuel wandte sich Joseph zu. »An deinem einundzwanzigsten Geburtstag gehst du nach Berlin.« Joseph nickte.

Anton fiel ein: »Und ich? Mich schickst du doch hoffentlich nach Frankreich, nach Paris.«

»Pass bloß auf«, brummte Samuel. »Manche von den Gojims sind sehr schön.«

Er wandte sich zu Jan: »Du gehst nach England.«

Der Jüngste, Pitor, rief aufgeregt: »Und ich reise nach Italien, Papa. Wann kann ich losfahren?«

Samuel lachte. »Heute abend nicht mehr, Pitor. Du musst schon warten, bis du einundzwanzig bist.«

Und genauso kam es. Samuel begleitete seine Söhne ins Ausland und half ihnen, Geschäfte und Fabriken einzurichten. Im Laufe der folgenden sieben Jahre kam die Familie Roffe zu Niederlassungen in fünf fremden Ländern. Aus dem Geschäft war inzwischen eine Dynastie geworden, und Samuel ließ seinen Rechtsanwalt das vertraglich absichern. Jedes Unternehmen sollte selbständig arbeiten, zugleich aber dem Mutterhaus verantwortlich sein.

»Vor allem keine Fremden«, warnte Samuel immer wieder. »Alle Anteile müssen im Familienbesitz bleiben.«

»Werden sie auch«, beruhigte ihn der Anwalt. »Aber wenn deine Söhne ihre Anteile nicht veräußern können, Samuel, sag mir, wie sollen sie dann ihr Auskommen finden? Du willst sie doch sicher bequem leben lassen.«

Samuel nickte. »Wir werden es so einrichten, dass sie schöne Häuser haben. Und ein großzügiges Gehalt und ein Konto für notwendige Ausgaben. Aber darüber hinaus muss alles wieder ins Geschäft fließen. Wenn sie jemals Anteile verkaufen wollen, muss das einstimmig beschlossen werden. Die Mehrheit der Anteile geht später auf meinen ältesten Sohn und dessen Erben über. Wir werden groß sein. Größer als die Rothschilds.«

Über die Jahre hinweg wurde Samuels Prophezeiung in die Tat umgesetzt. Das Geschäft wuchs und gedieh. Obwohl die Familie jetzt über die halbe Welt verstreut war, achteten Samuel und Terenia darauf, dass der Zusammenhalt gewahrt blieb. Zu Geburts- und hohen Festtagen kehrten die Söhne heim. Doch ihre Besuche waren mehr als ein Familienwiedersehen. Die Jungen zogen sich mit ihrem Vater zurück und erörterten das Geschäftliche. Sie hatten ihr eigenes privates Spionagenetz. Jedesmal, wenn ein Sohn in einem Land von einer pharmazeutischen Neuentwicklung hörte, gab er die Nachricht an die Brüder weiter, und sogleich fingen alle an, den neuen Wirkstoff selbst zu produzieren. So waren sie der Konkurrenz immer einen Schritt voraus.

Das Rad des Jahrhunderts drehte sich. Die Söhne heirateten, hatten Kinder, und Samuel kam zu Enkelkindern. Abraham war an seinem einundzwanzigsten Geburtstag, im Jahr 1891, wie geplant, nach Amerika übersiedelt. Sieben Jahre später heiratete er ein amerikanisches Mädchen, das im Jahr 1905 Samuels erstem Enkelkind, Woodrow, das Leben schenkte, der seinerseits einen Sohn zeugte und ihn Sam nannte. Joseph hatte eine Deutsche geheiratet, die einen Sohn und eine Tochter bekam. Der Sohn heiratete ein Mädchen, das wiederum von einer Tochter entbunden wurde: Anna. Diese Anna heiratete einen Deutschen, Walther Gassner. In Frankreich hatte Anton eine Französin geehelicht, mit der er zwei Söhne hatte. Einer beging Selbstmord, der andere heiratete und wurde Vater einer Tochter, Helene, die ihrerseits mehrmals heiratete, aber kinderlos blieb. Jan hatte in London eine Engländerin zur Frau genommen, und ihrer beider einzige Tochter war von einem Baronet zur Gattin erkoren worden, der Nichols hieß. Die beiden wiederum bekamen einen Sohn, den sie Alec tauften. Pitor, in Italien, heiratete ebenfalls eine Einheimische. Sie bekamen einen Sohn und eine Tochter. Als zu gegebener Zeit der Sohn eine Frau nahm, gebar diese ihm eine Tochter, Simonetta, die sich im angemessenen Alter in einen jungen Architekten, Ivo Palazzi, verliebte und ihn heiratete.

Dies also waren die Nachkommen von Samuel und Terenia Roffe.

Samuel erlebte noch die großen Neuerungen, durch die sich die Welt veränderte. Marconi erfand die drahtlose Telegrafie, und die Gebrüder Wright brachten in Kitty Hawk das erste Flugzeug in die Lüfte. Die Affäre Dreyfus eroberte die Schlagzeilen, und Admiral Peary erreichte den Nordpol. Das Automodell T von Ford ging in die Massenproduktion; es gab elektrisches Licht und das Telefon. In der Medizin wurden die Erreger von Tuberkulose, Typhus und Malaria gefunden und isoliert.

Und nicht einmal ein halbes Jahrhundert nach seiner Gründung war Roffe und Söhne ein multinationaler Mammutkonzern, eine weltumspannende Dynastie.