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Samuel und seine klapprige Pferdedame Lottie hatten ein Imperium aus der Taufe gehoben.

Nachdem Elizabeth das Buch wohl zum fünftenmal gelesen hatte, stellte sie es heimlich an seinen Platz in der Glasvitrine zurück. Sie brauchte es nicht länger. Sie war jetzt ein Teil von ihm, genauso wie das Buch ein Teil von ihr war.

Zum ersten Mal in ihrem Leben wusste Elizabeth, wer sie war und woher sie kam.

12. Kapitel

An ihrem fünfzehnten Geburtstag, im zweiten Halbjahr des ersten Jahres im Internat, hatte Elizabeth die erste Begegnung mit Rhys Williams. Er kam vorbei, um ihr ein Geburtstagsgeschenk ihres Vaters zu überbringen.

»Er wollte selbst kommen«, erklärte Rhys, »aber er konnte sich nicht freimachen.« Elizabeth verbarg ihre Enttäuschung, aber Rhys spürte sofort, was in ihr vorging. Das junge Mädchen vor ihm strahlte Verlorenheit aus, war der Härte des Lebens ungeschützt ausgesetzt wie ein kleiner nackter Vogel. Das rührte ihn ganz seltsam an. »Warum gehen wir zwei nicht zusammen essen?« fragte er impulsiv.

Schrecklicher Gedanke, fuhr es Elizabeth durch den Kopf. Sie sah es richtig vor sich, wie sie gemeinsam ein Restaurant betraten:    er mit seinem blendenden Aussehen, weltmännisch gewandt, und sie, ein dickes Pummelchen mit Zahnspangen. »Vielen Dank, aber lieber nicht«, erwiderte sie förmlich. »Ich - ich muss dringend Schularbeiten machen.«

Doch Rhys Williams weigerte sich, ein Nein als Antwort zu akzeptieren. Er dachte an die lange Reihe eigener einsamer Geburtstage. Von der Schulleiterin holte er sich die Erlaubnis ein, Elizabeth zum Essen auszuführen. Sie stiegen in Rhys’ Auto und fuhren los, Richtung Flughafen.

»Neuchatel liegt dort.« Elizabeth wies nach hinten.

Rhys sah sie unschuldig an. »Wer spricht denn von Neuchatel?«

»Wo wollen Sie denn hin?«

»Ins Maxim’s, natürlich. Nur da kann man einen fünfzehnten Geburtstag gebührend feiern.«

Mit dem Privatjet flogen sie nach Paris. Das Abendessen war exquisit. Pate de foie gras mit Trüffeln, Hummercocktail, Ente a' l’orange, dazu Maxim’s Spezialsalat, darauf schließlich Champagner und eine tolle Geburtstagstorte. Hinterher fuhr Rhys mit Elizabeth die Champs-Elysees entlang. Spätabends flogen sie in die Schweiz zurück.

Elizabeth hatte den herrlichsten Abend ihres Lebens verbracht. Auf irgendeine wundersame Art hatte Rhys es fertiggebracht, dass sie sich interessant und attraktiv vorkam, ein Erlebnis, das sie berauschte, mindestens so sehr wie der Champagner. Als Rhys sie vor dem Internat absetzte, sagte sie: »Ich weiß gar nicht, wie ich Ihnen danken soll. Soviel Spaß habe ich noch nie gehabt.«

»Bedanken Sie sich bei Ihrem Vater.« Rhys grinste. »Das war ganz allein seine Idee.«

Doch Elizabeth wusste genau, dass es nicht stimmte.

Rhys Williams, entschied sie, war der tollste Mann, der ihr je begegnet war. Und auf jeden Fall der attraktivste. Noch beim Zubettgehen ging er ihr nicht aus dem Sinn. Plötzlich stand sie wieder auf und ging zu ihrem kleinen Schreibtisch am Fenster. Sie nahm ein Stück Papier und den Kugelschreiber und schrieb »Mrs. Rhys Williams«.

Dann blickte sie die Worte lange an.

Rhys kam mit vierundzwanzigstündiger Verspätung zu seinem Rendezvous mit einer reizenden französischen Schauspielerin, doch das machte ihm nichts aus. Zum Schluss landeten sie im Maxim’s, und Rhys konnte sich des Gedankens nicht erwehren: Der Abend mit Elizabeth war amüsanter gewesen.

Das war ein Geschöpf, mit dem man zu rechnen hatte. Über kurz oder lang.

Später war sich Elizabeth nie sicher, wen sie für die Verwandlung verantwortlich machen sollte, die in ihr vorging: Samuel oder Rhys Williams. Jedenfalls sah sie sich jetzt mit anderen Augen und entdeckte, vor allem, ihren Stolz. Sie hörte auf, in sich hineinzufuttern, und wurde wieder schlank. Auf einmal machte ihr sportliche Betätigung Spaß, und sie fing an, sich für die Dinge in der Schule zu interessieren. Schließlich gab sie sich sogar Mühe, mit den anderen Mädchen in Kontakt zu kommen. Die wollten ihren Augen nicht trauen. Wie oft hatten sie Elizabeth zu ihren Pyjama-Partys eingeladen und sich immer einen Korb geholt. Doch zu ihrer aller Überraschung tauchte sie plötzlich bei einer dieser Feten auf.

Schauplatz war ein Vierbettzimmer, und als Elizabeth hereinschneite, drängelten sich mindestens zwei Dutzend Schülerinnen in dem Raum, alle in Pyjamas oder Nachthemden. Eine sah überrascht auf und rief: »Seht mal, wer da kommt! Dabei haben wir gewettet, du würdest dich nicht blicken lassen.«

»Na schön, aber nun bin ich da.«

Die Luft war zum Schneiden. Süßer, durchdringender Zigarettenqualm schlug Elizabeth entgegen. Sie wusste, viele Mädchen rauchten Marihuana, doch sie selbst hatte es nie versucht. Die Gastgeberin, eine junge Französin namens Renee Tocar, kam mit einem bräunlichen Glimmstengel auf sie zu. Nach einem tiefen Zug reichte sie ihn an Elizabeth weiter. »Möchtest du?«

»Klar«, log Elizabeth. Sie nahm den Stummel, zögerte nur einen winzigen Moment, steckte ihn zwischen die Lippen und inhalierte tief. Sofort lief ihr Gesicht grün an, sie spürte es förmlich, und die Lungen rebellierten. Aber sie brachte ein Grinsen zuwege. »Klasse.«

Sobald Renee ihr den Rücken kehrte, ließ Elizabeth sich auf ein Sofa sinken. In ihrem Kopf drehte sich alles, aber das ging im Nu vorbei. Sie zog noch einmal an der Kippe, nur so zur Probe. Alsbald wurde ihr ganz leicht. Die Wirkung von Marihuana war ihr bekannt, vom Lesen und Hörensagen. Der Stoff, hieß es, nahm einem die Hemmungen, ließ einen aus sich herausgehen. Noch einmal zog sie, diesmal tiefer, und ein herrliches Schwebegefühl stellte sich ein, als näherte sie sich einem neuen Planeten. Zwar nahm sie die anderen Mädchen noch wahr, hörte sie auch reden, aber alles wirkte verschwommen, die Geräusche gedämpft und wie von weit her. Dafür schien das Licht außerordentlich grell, und sie schloss die Augen. Im selben Moment fühlte sie sich davongetragen, weg in den freien Raum. Ein wunderbares Gefühl. Sie schwebte über das Dach, höher, immer höher, zu den schneebedeckten Bergen und dann in ein Meer weißer Wolken. Irgend jemand rief ihren Namen, holte sie jäh zur Erde zurück. Widerwillig schlug Elizabeth die Augen auf. Renee beugte sich besorgt über sie.

»Was nicht in Ordnung, Liz?«

Elizabeth lächelte. Ein genüssliches, seliges Lächeln. Ihre Worte kamen stockend. »Doch, doch, ich fühle mich großartig.« Und in ihrer ungewohnten Euphorie entschlüpfte ihr das Eingeständnis: »Weißt du, ich hab’ noch nie Marihuana geraucht.«

Renee starrte sie ungläubig an. »Marihuana? Das war eine Gauloise.«

Am anderen Ende von Neuchatel lag ein Jungeninternat. Bei jeder sich bietenden Gelegenheit schlichen Elizabeths Schulkameradinnen sich zu Stelldicheins davon. Die Jungen waren ein Dauergesprächsthema der Mädchen. Sie tuschelten über ihre Körper und deren Beschaffenheit, auch über intime Dinge, was sich mit ihnen alles anstellen ließ. Manchmal schien es Elizabeth, als sei sie in eine Meute hemmungsloser Nymphomaninnen geraten. Sex war das einzige Thema. Eins ihrer geheimen Lieblingsspiele nannte sich frolage. Ein Mädchen musste sich nackt ausziehen und aufs Bett legen, auf den Rücken, während eine Freundin sie langsam von den Brüsten bis zu den Schenkeln streichelte. Der Lohn für diesen Liebesdienst bestand aus einem Kuchen aus der nahe gelegenen Konditorei. Zehn Minuten frolage entsprachen einem Stück Gebäck. Innerhalb dieser Zeit erreichte die Betreffende in den meisten Fällen einen Orgasmus, wenn nicht, musste die Gefährtin weitermachen und bekam dafür den doppelten Lohn.

Ein anderer Favorit der schulischen Sexspiele konnte im Bad genossen werden. Die Schule war mit großen altmodischen Badewannen ausgestattet, und die Handduschen befanden sich an einem längeren Schlauch. Die Mädchen setzten sich in die Wanne, drehten die Dusche auf, und sobald das warme Wasser sprudelte, schoben sie sich die Dusche zwischen die Beine und befriedigten sich.