Выбрать главу

13. Kapitel

Als Elizabeth achtzehn war und ihr letztes Schuljahr absolvierte, verbrachte sie ihre zehntägigen Osterferien in der Villa auf Sardinien. Inzwischen hatte sie Autofahren gelernt, und so konnte sie sich zum ersten Mal auf der Insel frei bewegen und sie nach Herzenslust erforschen. Sie machte lange Fahrten an der Küste entlang und besuchte die kleinen Fischerdörfer. Am Privatstrand der Villa schwamm sie ins Meer hinaus, und nachts im Bett lauschte sie den traurigen Klängen der »singenden« Felsen, wenn der Wind sie zum Erklingen brachte. In Tempio erlebte sie den örtlichen Karneval, an dem sich die ganze Dorfbevölkerung im Nationalkostüm beteiligte. Versteckt hinter der Anonymität von Masken forderten die Mädchen die Jungen zum Tanz auf, und es geschahen Dinge, die sonst tabu waren. Mancher junge Mann mochte glauben, er wisse genau, mit wem er den Abend und die Nacht verbrachte, doch am nächsten Morgen war er sich dessen nicht mehr so sicher. Es war, dachte Elizabeth, als spielte ein ganzes Dorf Blindekuh.

Sie fuhr zur Punta Murra und sah den Sarden zu, wie sie kleine Lämmer auf offenem Feuer brieten. Die Bevölkerung lud sie zum seada ein, Ziegenkäse in Teig gehüllt und mit heißem Honig bestrichen. Und sie trank den köstlichen Selememont, den örtlichen Weißwein, den es nirgends sonst auf der Welt gibt, weil er zu empfindlich für den Transport ist.

Eins ihrer Lieblingsziele war der »Red Lion«, eine Kellerkneipe im englischen Stil in Porto Cervo mit nur zehn Tischen und einer altmodischen kleinen Bar.

Elizabeth betitelte diese Ferien als »Zeit der balzenden Knaben«. Die Söhne der Reichen stellten ihr in hellen Scharen nach. Sie luden Elizabeth zum Schwimmen ein und zum Reiten. Eigentlich hätte sie mit ihnen den ganzen Tag im Wasser und auf dem Pferderücken verbringen sollen. Es war die Eröffnung des großen Brunft-Spiels.

»Das sind alles annehmbare Freier«, bemerkte ihr Vater.

Für Elizabeth waren sie allesamt alberne Tölpel. Sie tranken zuviel, sprachen zu laut und tratschten ständig. Sie war sich da völlig sicher: Nicht um ihrer selbst willen wurde sie begehrt, weil sie so ein nettes, intelligentes Mädchen von angenehmem Wesen war, sondern weil sie Geld besaß. Im Grunde waren sie alle nur hinter dem Namen Roffe her, der Erbin der Roffe-Dynastie. Elizabeth war sich nicht bewusst, welche Wandlung inzwischen mit ihr vorgegangen war, wie sie sich zu ihrem Vorteil verändert hatte. Ihr stand immer noch das alte Spiegelbild vor Augen: das hässliche kleine Entlein.

Die jungen Männer versorgten sie mit Wein und Speisen und versuchten sämtlich, sie ins Bett zu bekommen. Alle schienen Elizabeths Jungfräulichkeit zu wittern, und ihre männliche Selbstüberschätzung verführte sie zu glauben, dass sie mit der Entjungferung auch Elizabeths Herz und eine Sklavin für ewig erobert haben würden. Und sie weigerten sich, ihre Nachstellungen aufzugeben. Egal, wohin sie sie auch führten, jeder Abend endete gleich. »Komm, schlaf mit mir.« Und immer erteilte sie ihnen höflich, aber bestimmt eine Abfuhr.

Sie wussten nicht, was sie davon halten sollten. Dass Elizabeth attraktiv war, stand außer Zweifel. Also musste sie eine dumme Gans sein, weil sie nichts mit sich anstellen ließ. Dass sie viel intelligenter sein könnte als ihre zahlreichen Verehrer, kam niemandem in den Sinn.

Wer hatte auch je von einem Mädchen gehört, das gleichermaßen schön und klug war?

Immerhin ließ sich Elizabeth geduldig den Hof machen, um ihrem Vater einen Gefallen zu tun. Aber es langweilte sie grenzenlos.

Eines Tages tauchte Rhys Williams in der Villa auf, und Elizabeth war selbst erstaunt, wie erregt sie war und wie sehr sie sich freute, ihn wiederzusehen. Er war noch weit attraktiver als in ihrer Erinnerung.

Auch Rhys schien sich über das Wiedersehen zu freuen. »Wie haben Sie denn das angestellt?« fragte er.

»Was meinen Sie?«

»Haben Sie in letzter Zeit mal in den Spiegel geschaut?«

Sie lief rot an. »Nein.«

Er wandte sich an Sam. »Wenn die Jungens nicht alle taub, stumm und blind sind, hab’ ich das Gefühl, wir werden Liz nicht mehr lange bei uns haben.«

Bei uns! Elizabeth war vor Freude fast schwindlig, ihn das sagen zu hören. Sie hielt sich, soweit es möglich war, bei den beiden Männern auf, brachte ihnen Drinks, erledigte Aufträge und war glücklich, wenn sie Rhys nur anschauen konnte. Manchmal saß sie im Hintergrund und hörte zu, wenn die beiden Geschäftliches erörterten. Das schlug sie völlig in Bann. Die Männer sprachen von Fusionen, neuen Fabriken, Produkten, die auf dem Markt erfolgreich waren, und solchen, die sich    nicht durchsetzen konnten, und diskutierten die Gründe. Elizabeth    hörte von    den Konkurrenten,    von Marktstrategien und Gegenmaßnahmen. Ihr kam das alles sehr verwirrend vor.

An einem Tag, als Sam im Turmzimmer arbeitete, lud Rhys sie zum Lunch ein. Sie führte ihn in den »Red Lion« und sah zu, wie er sich mit den Männern an der Bar am Pfeilspiel beteiligte. Sie bewunderte, wie leicht er sich seiner Umgebung anpasste und überall gleich zu Hause war. Sich in seiner Haut wohl fühlen: Rhys demonstrierte ihr die Bedeutung dieser Redensart.

Sie saßen an einem kleinen Ecktisch mit rot-weiß karierter Decke, aßen shepherd’s pie, tranken Ale dazu und unterhielten sich. Rhys fragte sie über die Schule aus.

»Eigentlich geht’s ganz gut«, gestand Elizabeth. »Langsam komme ich dahinter, wie wenig ich weiß.«

Rhys lächelte. »Dann haben Sie mehr gelernt als die meisten anderen. Im Juni ist es geschafft, nicht wahr?«

»Ja.« Elizabeth überlegte, woher ihm das bekannt war.

»Wissen Sie schon, was Sie dann machen wollen?«

»Nein, noch nicht.«

»Wie wär’s mit Heiraten?«

Ihr Herz setzte einen Schlag aus, dann ging ihr auf, dass die Frage ganz allgemein gestellt war. »Ich hab’ noch niemanden gefunden.« Sie musste plötzlich an Mlle. Harriot denken und lachte verlegen.

»Was gibt’s«, erkundigte sich Rhys, »ein Geheimnis?«

»Stimmt.« Gern hätte sie es mit ihm geteilt, doch sie spürte, dafür kannte sie ihn noch nicht gut genug. In Wahrheit, ging ihr auf, kannte sie ihn so gut wie gar nicht. Er war für sie nur ein charmanter, gutaussehender Fremder, der ihr aus Mitleid einmal ein Geburtstagsessen in Paris spendiert hatte. Sie wusste, dass er in geschäftlichen Dingen beschlagen war und ihr Vater sich ganz auf ihn verließ. Aber über sein Privatleben, den eigentlichen Rhys Williams, wusste sie gar nichts. Als sie ihn so betrachtete, glaubte Elizabeth neben einem Mann mit vielen Gesichtern zu sitzen, der ein Gefühl zeigte, um andere damit zu verdecken. Kannte ihn überhaupt jemand? fragte sie sich.

Rhys Williams war es auch, der für den Verlust ihrer Jungfräulichkeit verantwortlich war. Der Gedanke, mit einem Mann zu schlafen, kam Elizabeth immer öfter in den Sinn. Das entsprang zum Teil dem starken physischen Bedürfnis, das sie manchmal unvermittelt packte und schüttelte wie ein Sturm, geradezu ein physischer Schmerz, den sie nicht los wurde. Dazu kam eine kaum bezähmbare Neugierde, der Drang zu wissen, was Liebe eigentlich ist. Natürlich konnte sie nicht mit dem erstbesten ins Bett steigen. Es musste jemand Besonderes sein, ein Mann, den sie lieben und achten konnte, so wie er sie.

An einem Samstagabend gab ihr Vater einen Galaempfang in der Villa.

»Ziehen Sie Ihr schönstes Kleid an«, empfahl Rhys Elizabeth. »Ich möchte mit Ihnen angeben können.«

Elizabeth war vor Freude außer sich. Natürlich glaubte sie, Rhys hätte sie für den Abend als seine Partnerin erkoren. Als er dann kam, hatte er eine schöne blonde Italienerin im Schlepptau, eine römische Prinzessin. Elizabeth war so wütend und enttäuscht, dass sie die Party um Mitternacht mit einem bärtigen russischen Maler verließ und sich dem Mann, der nicht mehr nüchtern war, hingab.