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Und dann war alles vorbei. Völlig erschöpft lehnte sich der Zuschauer zurück, sein Körper war von den konvulsivischen Zuckungen völlig ausgelaugt, der Atem kam stoßweise.

Das Mädchen hatte seine Strafe bekommen.

Der Zuschauer fühlte sich wie Gott.

16. Kapitel

Zürich

Freitag, 11. September, Mittag

Die Zentrale von Roffe und Söhne lag in einem riesigen Areal am Sprettenbach im Westen von Zürich. Der Verwaltungsbau, ein moderner Glaspalast, ragte zwölf Stockwerke hoch, daneben die Forschungslaboratorien und Fabrikationsanlagen, außerdem die Büros von Werbung, Vertrieb und Versand mit einem eigenen Eisenbahnanschluss. Hier war das Nervenzentrum des Imperiums, das sich Roffe und Söhne nannte.

Die Empfangshalle spiegelte nackte Modernität wider, in Grün und Weiß, mit dänischem Mobiliar ausgestattet. Hinter einem Glastisch saß die Empfangsdame, und nur wer von ihr in die inneren Gefilde eingelassen wurde, durfte sich dort unter den Argusaugen eines Führers bewegen. Rechts vom Empfang lagen die Fahrstühle, darunter ein Express-Lift nur für den Konzernchef.

An diesem Morgen hatte der Privatfahrstuhl die Mitglieder des Direktoriums nach oben befördert, die in den Stunden zuvor aus verschiedenen Teilen der Welt eingetroffen waren, per Flugzeug, Eisenbahn, Hubschrauber oder Limousine. Jetzt waren sie alle in dem großen Konferenzsaal mit der hohen Decke und kostbaren Eichentäfelung versammelt: Sir Alec Nichols, Walther Gassner, Ivo Palazzi und Charles Martel. Als einziges Nicht-Mitglied des Direktoriums war Rhys Williams zugegen.

Auf einer Anrichte waren Appetithappen und Getränke aufgebaut, aber keiner zeigte Hunger. Die Atmosphäre war angespannt, nervös; jeder hing seinen Gedanken nach.

Kate Erling, eine tüchtige Schweizerin in den späten Vierzigern, kam herein und meldete: »Miss Roffes Wagen ist soeben vorgefahren.«

Ein letztes Mal prüfte sie, ob auch alles in Ordnung war: Kugelschreiber, Notizblöcke, eine Silberkaraffe mit Wasser vor jedem Platz, Zigarren und Zigaretten, Aschenbecher und Streichhölzer. Fünfzehn Jahre lang war Kate Erling Sam Roffes Chefsekretärin gewesen, und dass er jetzt tot war, gab ihr nicht im mindesten Anlass, ihre Pflichten zu vernachlässigen. Schließlich nickte sie zufrieden und zog sich zurück.

Vor dem Hauptgebäude stieg Elizabeth Roffe aus der Limousine. Sie trug ein schwarzes Kostüm mit weißer Bluse, kein Make-up. Sie sah bedeutend jünger aus als ihre vierundzwanzig Jahre, wirkte blass und verwundbar.

Sie wurde bereits von der Presse erwartet. Schon nach wenigen Schritten war sie von Reportern umringt, von Funk und Fernsehen mit Kameras und Mikrofonen belagert.

»Ich bin von L’Europe, Miss Roffe. Wir hätten gern eine Stellungnahme. Wer übernimmt jetzt den Konzern -«

»Bitte hierhersehen, Miss Roffe. Schenken Sie unseren Zuschauern ein Lächeln.«

»Associated Press. Miss Roffe, was ist mit dem Testament Ihres Vaters?«

»Ich vertrete die New Yorker Daily News. War Ihr Vater nicht ein versierter Bergsteiger? Weiß man, wie -«

»Wall Street Journal. Können Sie uns etwas über die Konzernfinanzen -«

»Ich komme von der Times, London. Wir wollen einen Artikel über Roffe und -«

Eskortiert von drei Leibwächtern kämpfte sich Elizabeth zur Eingangshalle vor; es war, als müsste sie ein aufgewühltes Meer von Menschen durchqueren.

»Bitte, noch ein Foto, Miss Roffe -«

Endlich war sie im Fahrstuhl, und die Türen schlössen sich. Sie holte tief Atem. Ihr schauderte. Sam war tot. Warum konnten die Leute sie nicht in Ruhe lassen?

Wenige Minuten später betrat sie den Konferenzsaal. Alec Nichols begrüßte sie als erster. Er legte die Arme um sie und sagte: »Es tut mir so furchtbar leid, Elizabeth. Für uns alle war es ein solcher Schock. Vivian und ich haben versucht, dich anzurufen, aber -«

»Ich weiß, Alec. Vielen Dank. Auch für deinen Brief.« Dann trat Ivo Palazzi vor und küsste sie auf beide Wangen. »Cara - was kann ich sagen? Geht es dir wenigstens einigermaßen?«

»Ja, ausgezeichnet. Vielen Dank, Ivo.« Sie drehte sich um. »Hallo, Charles.«

»Ach, Elizabeth, Helene und ich waren völlig am Boden zerstört. Wenn wir irgendwas -«

»Danke, vielen Dank.«

Walther Gassner trat auf sie zu. Er wirkte linkisch und verlegen. »Anna und ich möchten dir sagen, wie leid uns das mit deinem Vater tut.«

Elizabeth nickte. Sie hielt den Kopf hoch erhoben, als hätte sie Angst unterzugehen. »Danke, Walther.«

Sie strebte weg von dem allem, den Erinnerungen an ihren Vater. Sie hatte nur den Wunsch zu entfliehen, sich in die Einsamkeit zu verkriechen.

Etwas abseits stand Rhys Williams. Er beobachtete Elizabeth und dachte: Wenn sie nicht gleich aufhören, klappt sie zusammen. Er bahnte sich einen Weg durch die anderen, schob sie zur Seite und streckte die Hand aus. »Tag, Liz.«

»Ach, Rhys!« Das letztemal hatte sie ihn gesehen, als er ihr die Nachricht von Sams Tod überbrachte. Das schien Jahre zurückzuliegen. Oder Sekunden. Tatsächlich war nur eine Woche vergangen.

Rhys merkte, welche Mühe es Elizabeth kostete, Haltung zu bewahren. Darum sagte er bestimmt: »Nun, da wir alle versammelt sind, sollten wir beginnen.« Er lächelte ihr aufmunternd zu. »Es wird nicht lange dauern.«

Sie erwiderte sein Lächeln dankbar. Die Männer nahmen ihre gewohnten Plätze an dem großen rechteckigen Eichentisch ein. Rhys führte Elizabeth an das Kopfende und schob ihr den Stuhl zurecht. Meines Vaters Stuhl, dachte sie. Hier hatte Sam gesessen, wenn er die Sitzungen leitete.

Wie aus der Ferne hörte sie Charles’ Stimme. »Da wir keinen -« Er unterbrach sich rechtzeitig und wandte sich an Alec. »Warum übernimmst du nicht einfach den Vorsitz?«

Alec blickte in die Runde. Die anderen murmelten Zustimmung. »Also gut.«

Er drückte auf einen Knopf, und Kate Erling erschien wieder, einen Notizblock in der Hand. Sie rückte sich einen Stuhl heran und nahm Platz.

»Ich glaube«, hob Alec an, »unter den obwaltenden Umständen können wir auf Formalitäten verzichten. Wir alle haben einen schrecklichen Verlust erlitten. Aber« -seine Augen baten Elizabeth um Vergebung - »jetzt kommt es vor allem darauf an, in der Öffentlichkeit Entschlossenheit zu demonstrieren.«

»D’accord«, brummte Charles. »Die Presse ist in letzter Zeit schon mehr als genug über uns hergefallen.«

Elizabeth blickte ihn erstaunt an. »Warum?«

Rhys erläuterte: »Das ist so, Liz, der Konzern hat gerade jetzt eine Menge außergewöhnlicher Probleme.

Wir sind in enorme Schadensersatzklagen verwickelt, Regierungen ermitteln gegen uns, und die Banken, jedenfalls ein paar, setzen uns ganz schön unter Druck. Das schadet vor allem unserem Ansehen in der Öffentlichkeit, und von unserem Renommee hängt alles ab. Die Leute kaufen Arzneimittel, weil sie Vertrauen zu den Herstellern haben. Wenn wir dieses Vertrauen einbüßen, verlieren wir auch unsere Kunden.«

Ivo fiel beschwichtigend ein. »Alle Probleme lassen sich lösen, das ist halb so schlimm. Wichtig ist nur die sofortige Reorganisation des Konzerns.«

»Wie?« wollte Elizabeth wissen.

Die Antwort kam von Walther. »Indem wir unsere Anteile auf dem freien Aktienmarkt einbringen.«

Und Charles fügte hinzu: »So können wir unsere Bankschulden tilgen und haben noch genügend Geld übrig -« Die letzten Worte verloren sich zu einem Gemurmel.