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Zur Direktions-Suite gehörten eine Sauna, ein komplett ausgestatteter Trimm-Raum, ein Friseursalon und ein Speisesaal für etwa hundert Personen. Wurden ausländische Gäste bewirtet, befanden sich in den Blumengestecken auf der Tischmitte kleine Fähnchen mit den jeweiligen Landesfarben.

Außerdem stand Sam ein exquisit eingerichteter privater kleiner Essraum zur Verfügung.

Kate Erling hatte Elizabeth mit den gastronomischen Details vertraut gemacht. »Tagsüber stehen immer zwei Köche zur Verfügung, nachts nur einer. Sofern Sie mehr als zwölf Gäste bewirten, zum Lunch oder Souper, muss die Küche zwei Stunden vorher benachrichtigt werden.«

Jetzt saß Elizabeth am Schreibtisch ihres Vaters. Vor ihr türmten sich Papiere auf, Memoranden, Statistiken, Berichte, und sie hatte keine Ahnung, wo sie anfangen sollte. Sie dachte daran, wie ihr Vater hier, auf diesem Stuhl, gesessen hatte, hinter diesem Schreibtisch. Und wieder überkam sie das Gefühl eines schmerzlichen Verlusts. Sam war so tüchtig gewesen, so brillant. Wie sehr sie ihn jetzt gebraucht hätte!

Vor Alecs Rückkehr nach London hatte Elizabeth ein paar Worte mit ihm wechseln können.

»Lass dir Zeit«, hatte sein Rat gelautet. »Niemand soll dich drängen.«

Also hatte er ihre Gedanken erraten.

»Alec, was meinst du? Soll ich der Umwandlung des Konzerns zustimmen?«

Er hatte sie scheu angelächelt. Seine Stimme klang verlegen. »Ich fürchte, ich bin auch dafür, altes Mädchen. Aber natürlich bin ich ebenso voreingenommen wie die anderen. Unsere Anteile sind kaum das Papier wert, solange wir sie nicht verkaufen können. Aber das ist jetzt allein deine Entscheidung.«

Als sie verloren im riesigen Büro ihres Vaters saß, fiel ihr diese Unterhaltung wieder ein. Fast übermächtig wuchs der Drang, Alec anzurufen. Sie brauchte nur zu sagen: »Ich hab’s mir anders überlegt.« Dann konnte sie von der Bildfläche verschwinden, war frei. Sie gehörte nicht hierher. Sie war dieser Rolle einfach nicht gewachsen.

Sie probierte die Knöpfe der Gegensprechanlage auf der Konsole aus. An einem stand der Name Rhys Williams. Nach kurzem Zögern drückte sie auf den Knopf.

Rhys saß ihr gegenüber, beobachtete sie. Elizabeth wusste genau, was er dachte, was alle dachten. Dass sie hier nichts zu suchen hatte.

»Sie haben heute morgen eine schöne Bombe platzen lassen«, stellte er fest.

»Tut mir leid, wenn ich allen auf die Zehen getreten bin.« »Auf die Zehen getreten ist gar kein Ausdruck. Alle waren regelrecht geschockt. Dabei sollte es so glatt über die Bühne gehen. Die Presseverlautbarung war bereits formuliert.« Er sah sie forschend an. »Was hat Sie veranlasst, die Unterschrift zu verweigern, Liz?«

Wie sollte sie ihm klarmachen, dass es nichts war als ein Gefühl, eine Art Eingebung? Er würde sie nur auslachen. Trotzdem:    Sam hatte sich geweigert, Konzernaktien auf den Markt zu werfen. Und sie musste den Grund dafür herausfinden.

Es war, als hätte Rhys ihre Gedanken gelesen. »Ihr Ururgroßvater hat das Geschäft als Familienunternehmen gegründet, um Außenstehende fernzuhalten. Aber damals war es im Vergleich zu heute eine kleine Klitsche. Alles hat sich geändert. Wir gehören nun zu den größten Pharmaproduzenten der Welt. Wer immer auf dem Stuhl Ihres Vaters sitzen wird, bei dem liegen die Entscheidungen. Das ist eine verdammt große Verantwortung.«

Sie sah ihn an. Bedeutete er ihr damit auf seine Art, sie solle gefälligst von hier verschwinden? »Werden Sie mir behilflich sein?«

»Natürlich, Liz, das wissen Sie doch.«

Erleichtert atmete sie auf. Jetzt erst wurde ihr bewusst, wie sehr sie auf ihn gebaut hatte.

»Am besten«, hörte sie Rhys sagen, »fangen wir mit einer Tour durch das Haus hier an. Ist Ihnen eigentlich die Struktur des Unternehmens bekannt?«

»Kaum.«

Damit sagte sie nicht ganz die Wahrheit. Elizabeth hatte ihrem Vater in all den Jahren oft assistiert und so einen ungefähren Überblick gewonnen. Aber sie wollte mehr darüber erfahren, und zwar aus der Sicht von Rhys Williams.

»Also, zunächst einmal, Liz, wir produzieren weit mehr als nur Arzneimittel. Wir stellen Chemikalien, Parfüms, Vitamine, Haarsprays, Pflanzenschutzmittel her, aber auch Kosmetika und Bio-Elektronische Instrumente. Wir haben eine Nahrungsmittelabteilung und eine für tierische Produkte.« Elizabeth war das alles nicht unbekannt, aber sie ließ ihn reden. »Wir geben Ärztezeitschriften heraus, produzieren Klebstoffe, Bautenschutzmittel und Sprengstoffe.«

Elizabeth spürte, wie ihn die Aufzählung selbst in Bann schlug. Sie konnte in seiner Stimme Stolz mitschwingen hören und fühlte sich merkwürdig an ihren Vater erinnert.

»Roffe und Söhne haben Fabriken und HoldingGesellschaften in mehr als hundert Ländern. Jede ist dem Hauptquartier verantwortlich und hat hier Rechenschaft abzulegen.« Er schwieg einen Moment, wohl um die Bedeutung seiner Worte zu unterstreichen. »Der alte Samuel fing mit einem Pferd und einem Teströhrchen an. Daraus sind inzwischen sechzig über die Welt verstreute Fabriken geworden, außerdem zehn Forschungszentren und ein dichtes Vertriebsnetz mit Tausenden von Vertretern und Reisenden, die Ärzte und Krankenhäuser besuchen und sie mit den neuesten Produkten vertraut machen.« Das war Elizabeth bekannt. »Letztes Jahr wurden in den Vereinigten Staaten allein über vierzehn Milliarden Dollar für Pharmaka ausgegeben, und an diesem Markt haben wir einen beträchtlichen Anteil.«

Und trotz alledem, dachte Elizabeth, waren Roffe und Söhne in finanziellen Schwierigkeiten. Irgend etwas war faul.

Rhys unternahm mit Elizabeth eine Exkursion durch die Anlagen des Hauptquartiers. In Wirklichkeit handelte es sich bei dem Züricher Unternehmenszweig um ein Dutzend Fabriken und insgesamt fünfundsiebzig Gebäude auf dem sechzig Morgen großen Konzerngelände. Es war wie eine Welt für sich, nach außen hin abgeschlossen und völlig autark. Sie besuchten    die    Herstellungsbetriebe, Forschungsabteilungen und Lagerhallen. Rhys führte Elizabeth in ein großes Atelier, wo Filme für Forschungsund Werbezwecke hergestellt wurden. »Hier verbrauchen wir mehr Filmmaterial«, erläuterte Rhys, »als die großen Studios in Hollywood.«

Sie besuchten die Abteilung für biologische Untersuchungen und die Abfüllanlage, wo fünfzig gigantische Tanks aus Stahl und Glas von der Decke herabhingen, mit Flüssigkeiten, die nur noch auf Flaschen gezogen werden mussten. Sie beobachteten die Tablettenfertigung, wo Pillen geformt, mit Aufklebern »Roffe und Söhne« versehen, verpackt und etikettiert wurden, ohne dass sie auch nur eine menschliche Hand berührte. Manche Tabletten unterlagen der Rezeptpflicht, andere wiederum waren frei verkäuflich.

Etwas abseits vom Hauptgebäude standen ein paar kleinere Häuser. Dort waren die Wissenschaftler am Werk:    Chemiker und Biologen, mit der Grundlagenforschung befasst.

»Über dreihundert Wissenschaftler sind hier tätig«, erläuterte Rhys. »Die meisten sind Professoren. Möchten Sie mal unsere >Hundert-Millionen-Dollar-Krypta< sehen?«

Elizabeth nickte gespannt.

Sie gingen zu einem isoliert stehenden, von einem bewaffneten Posten bewachten Backsteinbau. Rhys zeigte seinen Hausausweis vor, und sie durften einen langen Korridor betreten, der am Ende von einer schweren Stahltür versperrt war. Zum Öffnen benötigte der Wärter zwei Schlüssel. Elizabeth und Rhys traten ein. Der Raum hatte keine Fenster. Die Wände waren vom Boden bis zur Decke mit Gestellen versehen, gefüllt mit ganzen Batterien von Flaschen, Töpfen und Tuben in allen nur erdenklichen Größen und Formen.