Выбрать главу

Elizabeth zögerte. »Stellen Sie doch bitte eine Verbindung mit Sir Alec her.«

»Sofort, Miss Roffe.« Und nach leichtem Zögern: »Von der Polizei wurde heute morgen ein Paket für Sie abgegeben. Es enthält die persönliche Habe, die Ihr Herr Vater in Chamonix bei sich hatte.«

Bei der Erwähnung von Sam spürte sie ihren Verlust erneut wie einen scharfen Schmerz.

Kate Erling war noch nicht fertig. »Die Polizei entschuldigte sich auch, dass sie die Sachen Ihrem Beauftragten nicht mehr aushändigen konnte. Sie waren zu der Zeit schon unterwegs.«

Elizabeth zog die Augenbrauen hoch. »Welchem Beauftragten?«

»Dem Mann, den Sie nach Chamonix geschickt haben, damit er die Sachen abholt.«

»Ich habe niemanden nach Chamonix geschickt.« Offenbar handelte es sich um ein Missverständnis. »Wo ist das Paket?«

»Ich habe es in Ihren Schrank gelegt.«

Elizabeth fand einen Vuitton-Koffer mit Sams Kleidungsstücken und einen verschlossenen Aktenkoffer. Der Schlüssel war mit Klebeband an der Seite befestigt worden. Offenbar Geschäftsunterlagen, dachte Elizabeth. Die sollte Rhys durchsehen. Dann fiel ihr ein, dass Rhys verreist war. Na schön, sie selbst würde das Wochenende über auch verreisen. Sie betrachtete den Aktenkoffer. Vielleicht enthält er persönliche Papiere von Sam, dachte sie. Ich gehe sie lieber erst selber durch.

Kate Erling meldete sich über die Sprechanlage. »Tut mir leid, Miss Roffe, Sir Alec ist nicht im Büro.«

»Hinterlassen Sie ihm bitte, er möchte mich zurückrufen. Ich werde in der Villa auf Sardinien zu erreichen sein. Und dieselbe Nachricht geben Sie bitte weiter an die Herren Palazzi, Gassner und Martel.«

Sie würde ihnen erklären, dass sie aufgab, dass sie ihre Anteile veräußern und mit dem Konzern machen konnten, was ihnen beliebte.

Auf das lange Wochenende freute sie sich ganz besonders. Die Villa war ihre Fluchtburg, ein Kokon, in den sie sich verkriechen konnte. Da war sie allein, konnte über sich und die Zukunft nachdenken. Die Ereignisse hatten sie einfach überrollt und ihr keine Gelegenheit gegeben, die Dinge in die richtigen Proportionen zu bringen. Sams Unfall - Elizabeth konnte sich immer noch nicht an das endgültige Wort »Tod« gewöhnen -, ihre Erbschaft der Mehrheitsanteile und damit die Schlüsselposition in der Firma, der Druck seitens der Familie, die Konzernaktien auf den Markt zu bringen. Und dann der Konzern selbst, der furchteinflößende Herzschlag eines Giganten, dessen Kraft die ganze Welt umspannte. Das alles war zuviel.

Als Elizabeth am späten Nachmittag nach Sardinien flog, hatte sie den Aktenkoffer bei sich.

18. Kapitel

Vom Flughafen nahm sie ein Taxi. In der Villa war niemand. Sie war schon seit längerer Zeit unbewohnt, und Elizabeth hatte niemanden von ihrer Ankunft verständigt. Sie schloss auf und ging langsam durch die großen, ihr so wohlbekannten Räume, und es kam ihr vor, als sei sie gar nicht fort gewesen. Ihr war nie bewusst geworden, wie sehr sie diesen Ort vermisst hatte. Die wenigen glücklichen Kindheitserinnerungen schienen ihr jetzt mit diesem Haus verbunden zu sein. Es mutete sie ganz seltsam an, so allein durch das Labyrinth von Räumen zu gehen, wo sonst immer ein halbes Dutzend Diener bereitstand, Personal, das kochte, saubermachte, zu Diensten war. Und jetzt befand sie sich ganz allein hier, umgeben von dem Echo früher Kindheitstage.

Sie ließ Sams Aktenkoffer in der Halle und brachte ihr Gepäck nach oben. Aus Gewohnheit betrat sie ihr altes Schlafzimmer. Dann blieb sie plötzlich stehen. Das Zimmer ihres Vaters lag am Ende des Korridors. Sie drehte sich um, ging auf die Tür zu und öffnete sie behutsam. Zwar war sie sich der Tatsache seines Todes bewusst, doch ein tiefverwurzelter atavistischer Instinkt ließ sie halb und halb darauf gefasst sein, hier ihrem Vater zu begegnen, seine Stimme zu hören.

Natürlich war das Zimmer leer. Seit Elizabeth es zum letztenmal betreten hatte, war nichts verändert worden. Möbliert war es mit einem großen Doppelbett, einer schönen alten Kommode, einem Toilettentisch, zwei bequemen, wenn auch zu weich gepolsterten Sesseln und einer Couch vor dem Kamin. Elizabeth stellte ihren Koffer ab und trat ans Fenster. Die Läden waren geschlossen und sperrten die tiefstehende Septembersonne aus. Außerdem waren noch die Vorhänge zugezogen. Elizabeth machte alles weit auf und ließ die frische Bergluft herein. Die Brise strich ihr weich und kühl übers Gesicht und trug die Vorboten des Herbstes in das Haus. Elizabeth beschloss, in diesem Zimmer zu schlafen.

Nach einer Weile ging sie wieder nach unten und in die Bibliothek. Dort nahm sie in einem der komfortablen Ledersessel Platz. Hier saß Rhys immer, wenn es mit ihrem Vater etwas zu besprechen gab.

Damit waren ihre Gedanken bei Rhys, und sie wünschte, er wäre bei ihr. Sie erinnerte sich an die Nacht, als er sie nach dem phantastischen Souper in Paris in die Schweiz zurückgebracht hatte, und wie sie in ihr Zimmer gelaufen war und immer wieder zur Probe geschrieben hatte: »Mrs. Rhys Williams«. Von einem Impuls getrieben, stand sie auf und trat an den Schreibtisch. Sie nahm einen Kugelschreiber und schrieb bedächtig »Mrs. Rhys Williams«. Dann musste sie lachen. »Möchte mal wissen«, fragte sie sich laut, »wie viele dumme Gänse in diesem Augenblick dasselbe tun.«

Sie versuchte, Rhys aus ihren Gedanken zu verbannen, aber es gelang ihr nicht, und er übte weiterhin eine beruhigende Wirkung auf sie aus. Sie stand auf und wanderte durch das Haus. Dabei inspizierte sie die große altmodische Küche mit dem Holzfeuerherd und den beiden Backöfen.

Der Kühlschrank erwies sich als leer. Das war zu erwarten gewesen, da das Haus schon seit längerem nicht mehr bewohnt wurde. Aber eben weil der Kühlschrank leer war, spürte sie plötzlich Hunger. Sie durchstöberte die Schränke und Regale. Ihre Ausbeute bestand aus zwei kleinen Dosen Thunfisch, einem halbvollen Glas Nescafe und einem Paket Crackers. Wenn sie das lange Wochenende hier verbringen wollte, überlegte sich Elizabeth, dann wurde es Zeit, ans Einkaufen zu denken. Statt zu jeder Mahlzeit in den Ort zu fahren, wollte sie lieber auf einem der kleinen Märkte in Cala di Volpe Vorräte für mehrere Tage einkaufen. Früher stand immer ein Jeep zur Verfügung, und sie fragte sich, ob den wohl jemand weggebracht hatte. Sie lief durch die Hintertür zur Garage, und dort stand der Jeep. Elizabeth ging in die Küche zurück. An einem Brett neben dem Schrank hingen Schlüssel, jeder mit einem Schild versehen. Sie fand den Jeepschlüssel und kehrte in die Garage zurück. Ob Benzin im Tank war? Sie startete den Motor. Er sprang sofort an. Hier gab es also kein Problem. Morgen früh würde sie in den Ort fahren und sich alles besorgen, was sie an Lebensmitteln brauchte.

Sie ging wieder ins Haus. Als sie über den Marmorboden der Eingangshalle lief, vernahm sie das Echo ihrer Schritte, einen hohlen Klang, tönendes Symbol der Einsamkeit. Wenn Alec doch nur anrufen würde, dachte sie, und im gleichen Augenblick klingelte das Telefon. Sie fuhr zusammen. Schnell ging sie auf den Apparat zu und nahm den Hörer ab. »Hallo?«

»Elizabeth. Ich bin’s, Alec.«

Elizabeth musste lachen.

»Was ist denn so komisch?«

»Du würdest es nicht glauben, wenn ich es dir sagte. Wo steckst du?«

»In Gloucester.« Elizabeth fühlte plötzlich einen unwiderstehlichen Drang: Sie musste Alec sehen, musste ihm von Angesicht zu Angesicht ihre Entscheidung über den Konzern eröffnen. Auf keinen Fall per Telefon. »Würdest du mir einen Riesengefallen tun, Alec?«

»Ist doch keine Frage.«

»Könntest du übers Wochenende herüberkommen? Ich möchte gern etwas mit dir besprechen.«

Sie spürte nur den Bruchteil eines Zögerns am anderen Ende, dann kam Alecs Stimme: »Aber klar.«

Kein Wort über ein verpatztes Wochenende, von Unbequemlichkeit oder Verabredungen, die er nun nicht einhalten konnte. Einfach: Aber klar. Das war typisch Alec.