Er schluckte. »Vor ein paar Jahren haben wir eine Phase außergewöhnlicher Expansion durchgemacht. Ihr Herr Vater und die anderen Direktoren hielten es für richtig, das Geld durch kurzfristige Bankkredite zu beschaffen. Unsere gegenwärtigen Obligationen belaufen sich auf sechshundertfünfzig Millionen Dollar. Etliche dieser Darlehen sind jetzt fällig.«
»Überfällig«, verbesserte ihn Elizabeth.
»Jawohl, Ma’am, überfällig.«
»Wir zahlen den üblichen Zinssatz plus ein Prozent plus Verzugszinsen. Wir haben weder die überfälligen Darlehen abbezahlt noch die Kredite reduziert. Warum nicht?«
Ihn konnte jetzt nichts mehr überraschen. »Wegen -na ja, weil es da in jüngster Zeit bestimmte unglückselige Vorkommnisse gab, deshalb ist die Liquidität des Konzerns erheblich geringer als erwartet. Unter normalen Umständen würden wir einfach an die Banken herantreten und um Kreditverlängerung bitten. Aber bei unseren gegenwärtigen Schwierigkeiten, den vielen Schadensersatzleistungen, den Verlusten bei unserer Forschungsarbeit und...« Er brach ab.
Elizabeth sah ihn forschend an. Auf wessen Seite stand er wohl? Dann blickte sie wieder auf die Bilanz auf ihrem Schreibtisch, versuchte herauszufinden, wo der Zug aus den Gleisen geraten war. Die Bilanz zeigte einen rapiden Abfall vor allem in den vergangenen drei Quartalen, hauptsächlich wegen der hohen Schadensersatzzahlungen, die unter »Sonderausgaben (einmalig)« geführt wurden. Vor ihrem inneren Auge sah sie die gewaltige Explosion in Chile, die Giftwolke, die in die Luft schoss. Sie meinte, die Schreie der Opfer zu hören. Ein Dutzend Tote, Hunderte in den Krankenhäusern. Und am Ende hatten sich alle Schmerzen, alles menschliche Leid auf den Begriff Geld reduziert, Sonderausgaben (einmalig).
Sie sah zu Wilton Kraus hoch. »Ihrem Bericht gemäß, Mr. Kraus, sind unsere Schwierigkeiten temporärer Natur. Schließlich sind wir Roffe und Söhne. Und für jede Bank der Welt kreditwürdig.«
Jetzt war es umgekehrt: Er sah sie forschend an. Alle Überheblichkeit war gewichen, dafür schien er jetzt sehr auf der Hut zu sein.
»Sie müssen sich klarmachen, Miss Roffe«, fuhr er vorsichtig fort, »dass es bei einem pharmazeutischen Unternehmen ebensosehr auf den Ruf ankommt wie auf die Qualität der Präparate.«
Hatte sie das nicht schon einmal gehört? Von ihrem Vater? Alec? Dann fiel es ihr ein. Von Rhys.
»Ja, und weiter?«
»Unsere Schwierigkeiten werden langsam zu publik. Die Geschäftswelt ist wie ein Dschungel. Wenn Ihre Konkurrenten nur Wind davon bekommen, dass Sie verwundet sind, dann schwärmen sie aus, um einen aufzufressen.« Er zögerte. »Sie sind schon im Kommen, bereit zum Todesstoß.«
»Mit anderen Worten«, entgegnete Elizabeth, »unsere Konkurrenten arbeiten mit unseren Banken zusammen.«
Er schenkte ihr ein anerkennendes Lächeln. »Genau. Die Banken haben für Darlehen begrenztes Kapital. Wenn sie davon überzeugt sind, dass A ein lohnenderes Anlageobjekt ist als B, dann -«
»Und? Glauben Sie das in unserem Fall?«
Leicht nervös fuhr er sich mit den Fingern durch das Haar. »Seit dem Tode Ihres Vaters hat mich ein gewisser Julius Badrutt mehrmals angerufen. Er steht dem Bankenkonsortium vor, mit dem wir verhandeln.«
»Und was wollte Herr Badrutt?« Sie wusste genau, was jetzt kam.
»Er wollte wissen, wer der neue Präsident von Roffe und Söhne sein wird.«
»Wissen Sie denn, wer der neue Präsident ist?« erkundigte sich Elizabeth.
»Nein, Ma’am.«
»Ich bin’s.« Sie beobachtete amüsiert, wie er sein Erstaunen zu verbergen suchte. »Was wird Ihrer Meinung nach geschehen, wenn Herr Badrutt diese Neuigkeit erfährt?«
»Dann zieht er uns den Stöpsel aus der Wanne«, entfuhr es Wilton Kraus.
»Ich werde mit ihm reden«, verkündete Elizabeth. Sie lehnte sich zurück. »Hätten Sie gern eine Tasse Kaffee?«
»Das ist sehr freundlich von Ihnen, ja, danke, sehr gern.«
Elizabeth konnte genau beobachten, wie die Spannung von ihm wich. Er hatte gespürt, dass er auf dem Prüfstand saß, und meinte, den Test bestanden zu haben.
»Ich würde gern Ihren Rat hören«, fuhr Elizabeth fort. »An meiner Stelle, Mr. Kraus, was täten Sie da?«
Die leicht überlegene Miene war wieder da. »Na ja«, meinte er ohne Zögern. »Das ist ganz einfach. Roffe und Söhne besitzen enorme Vermögenswerte. Wenn wir einen substantiellen Anteil veräußern, könnten wir spielend die Mittel zur Tilgung aller unserer Bankverbindlichkeiten aufbringen.«
Jetzt wusste Elizabeth, auf welcher Seite er stand.
22. Kapitel
Hamburg
Freitag, 1. Oktober, 02 Uhr
Der Wind kam vom Meer, die Nachtluft war kalt und feucht. In Sankt Pauli waren die Straßen zum Bersten voll von Touristen, die nach den Freuden des Sündenbabels gierten. Der Kameramann schlenderte langsam die Reeperbahn hinab, war Zielscheibe für Dutzende von Mädchen und grellgeschminkten Knaben. Er schenkte niemandem Beachtung, bis er zu einem Mädchen kam, das nicht älter als achtzehn aussah. Ihr Haar war blond. Sie lehnte an einer Hauswand und unterhielt sich mit einer Freundin. Als der Mann auf sie zukam, drehte sie sich lächelnd zu ihm um. »Wie wär’s mit ‘ner Party, Schatz? Meine Freundin und ich, wir hätten was zu bieten.«
Der Mann sah das Mädchen an und erklärte: »Nur du.«
Die Freundin zuckte die Achseln und ging davon.
»Wie heißt du?«
»Hilde.«
»Würdest du gern beim Film mitmachen, Hilde?« fragte der Kameramann.
Das Mädchen hatte plötzlich verächtlich glitzernde Augen. »Du lieber Gott! Du kommst mir doch wohl nicht mit der alten Masche von wegen Hollywood und so?«
Er lächelte sie aufmunternd an. »Nein, nein. Das Angebot ist reell. Es geht um einen Pornofilm. Den drehe ich für einen Freund.«
»Das kostet dich fünfhundert, und zwar im voraus.«
»Gemacht.«
Sofort bereute sie, nicht mehr verlangt zu haben. Na schön, irgendwie würde sie bei dem noch einen Bonus herausschlagen. »Was muss ich denn tun?« erkundigte sie sich.
Sie war nervös. In der kleinen, schäbig möblierten Wohnung lag sie nackt auf dem Bett ausgestreckt. Sie beobachtete die drei anderen Anwesenden, dachte, irgend etwas stimmt hier nicht. Die Straßen von Berlin, München und Hamburg hatten ihre Instinkte geschärft, und sie war es gewöhnt, auf ihren sechsten Sinn zu achten. Irgend etwas an den dreien weckte ihr Misstrauen. Gern wäre sie abgehauen, aber sie hatten immerhin schon die fünfhundert geblecht und hatten ihr weitere fünfhundert versprochen, wenn sie gut arbeitete. Sie würde gut arbeiten, die sollten sich wundern. Schließlich war sie keine Amateurin in dem Beruf, und man hatte ja seinen Stolz. Sie wandte den Blick zu dem nackten Mann neben sich auf dem Bett. Er war stark und gut gebaut, hatte einen völlig unbehaarten Körper. Was Hilde abstieß, war sein Gesicht. Er war einfach zu alt für diese Art Film. Aber am meisten störte sie der Zuschauer im Hintergrund. Der saß ganz still da, trug einen langen Mantel, einen großen Hut und Sonnenbrille. Genau besehen konnte Hilde sich nicht einmal klarwerden, ob es ein Mann oder eine Frau war. Alles passte nicht so richtig zusammen, dachte sie. Sie fummelte an dem roten Band um ihren Hals. Warum die bloß verlangt hatten, sie sollte es umbinden? Der Kameramann sagte: »Okay, wir sind soweit. Jetzt Action, wenn ich bitten darf.«
Die Kamera begann zu surren. Hilde hatte ihre Regieanweisungen bekommen. Der Mann lag auf dem Rücken, Hilde auf ihm drauf.
Als erstes machte sie mit ihm eine »Reise um die Welt«, zeigte, was Zunge und Lippen hergaben, an Ohren und Hals, dann abwärts über Brust und Bauch, leckte ihm mit schnellen Zungenbewegungen Hoden und Penis, darauf jedes Bein, bis zu den Zehen. Dann rollte sie ihn auf den Bauch und begann dieselbe Reise von rückwärts. Ihre Zunge bewegte sich flink und routiniert, fand alle erogenen Zonen. Der Mann war jetzt voll da, steinhart.