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»Brauchen Sie etwas?«

»Nein. Nur Zeit. Da ist eine Schwierigkeit aufgetaucht, aber ich glaube, ich schaffe es.«

»Gut. Rufen Sie mich an, wenn Sie etwas benötigen, was immer es auch sein mag.«

»Das werd’ ich. Vielen Dank, Miss Roffe.«

Elizabeth legte auf. Sie spürte den Drang, ihm zu sagen, er solle doch schneller machen; denn sie wusste: Ihre Galgenfrist bei den Banken lief ab. Geradezu verzweifelt war sie auf das Produkt von Emil Joeppli angewiesen, aber ihn zu hetzen war kein Ausweg, und sie bezwang sich. Elizabeth wusste ohnehin, dass die Experimente längere Zeit in Anspruch nehmen würden als der erlangte Aufschub, aber sie hatte einen Plan. Es war ihre Absicht, Julius Badrutt in das Geheimnis einzuweihen. Sie wollte ihn mit in das Labor nehmen und ihm zeigen, was dort vor sich ging. Dann würden ihr die Banken soviel Zeit einräumen, wie sie nur brauchte.

Immer enger arbeitete Elizabeth mit Rhys Williams zusammen, manchmal bis tief in die Nacht. Oft waren sie allein. Dann gab es Abendessen in ihrem PrivatSpeiseraum oder im Büro oder auch in dem eleganten Appartement, das sie gemietet hatte. Es lag in einer modernen Wohnanlage, war weitläufig, luftig und hell und hatte einen phantastischen Blick auf den Zürich-See. Stärker als je zuvor spürte Elizabeth den nahezu animalischen Magnetismus, der von Rhys ausging. Er aber, selbst wenn er sich zu Elizabeth hingezogen fühlen sollte, ließ sich nichts anmerken. Er war stets gleichbleibend freundlich und umsichtig. Onkelhaft, das war der Begriff für sein Verhalten, der sich Elizabeth aufdrängte. Das klang nicht gerade ermutigend, barg auf der anderen Seite aber auch eine große Versuchung. Nur zu gern hätte Elizabeth ihn als Stütze für ihre Sorgen benutzt, hätte ihm alles anvertraut. Trotzdem: Vorsicht war geboten. Mehr als einmal erwischte sie sich dabei, wie sie schon den Mund aufmachte, um ihm alles zu sagen. Aber jedes Mal beherrschte sie sich. Sie konnte mit niemandem darüber reden, noch nicht. Erst musste sie mehr wissen.

Elizabeth gewann immer mehr Selbstvertrauen. Bei einer Verkaufskonferenz stand ein neues Haarspray zur Diskussion, das sich auf dem Markt äußerst schwer tat. Elizabeth hatte es selbst ausprobiert und wusste: Das Produkt war besser als andere.

»Die Rücksendungen seitens der Drogerien nehmen zu«, klagte einer der Verkaufsleiter. »Das Zeug läuft einfach nicht. Wir müssen mehr Reklame machen.«

»Das Budget ist schon überschritten«, widersprach Rhys. »Was wir brauchen, ist ein anderer Dreh.«

»Vergessen Sie die Drogerien«, sagte Elizabeth.

Alle sahen sie an. »Was?«

»Sie wenden sich zu sehr an die breite Masse.« Sie sagte zu Rhys gewandt: »Ich meine, wir sollten die Werbekampagne fortführen, das Produkt aber nur noch in Schönheitssalons anbieten. Wir müssen es exklusiver machen; die Leute sollen sich die Hacken danach ablaufen. Exklusiv und schwer zu bekommen, das ist das richtige Image für das Spray.«

Rhys überlegte einen Moment. Er nickte. »Das scheint der Weg zu sein. Wollen wir’s doch mal so versuchen.«

Über Nacht wurde das Haarspray ein Renner.

Nach der Sitzung hatte Rhys ihr das fällige Kompliment gemacht. »Sie sind nicht mehr nur einfach ein hübsches Mädchen«, meinte er grinsend.

Also gingen ihm endlich die Augen auf.

26. Kapitel

London

Freitag, 2. November, 17 Uhr

Alec Nichols saß allein in der Clubsauna. Die Tür ging auf, und ein Mann kam in den dampfenden Raum, ein Handtuch um die Hüfte geschlungen. Er setzte sich auf die Holzbank neben Alec. »Ganz schön heiß hier, was, Sir Alec? Wie ein Hexenkessel.«

Alec drehte sich abrupt um. »Wie sind Sie hier reingekommen?« Es war Jon Swinton.

Der zwinkerte. »Hab’ gesagt, Sie erwarten mich.« Er sah Alec in die Augen. »Das stimmt doch, oder? Sie haben mich doch erwartet?«

»Nein«, gab Alec zurück. »Ich habe Ihnen doch gesagt, ich brauche mehr Zeit.«

»Ja, und Sie ham uns auch gesagt, Ihre süße kleine Kusine verkauft die Aktien, und Sie geben uns dann unser Geld.«

»Sie - sie hat ihre Absicht geändert.«

»So, hat sie das? Dann sollten Sie die wohl schnellstens zurückändern.«

»Das versuche ich ja. Es ist eine Frage der -«

»Is ‘ne Frage, wieviel Pferdekacke Sie uns noch auftischen.« Jon Swinton rückte näher, zwang Alec, seinerseits auf der Bank weiterzurutschen. »Wir wollen ja nicht grob zu Ihnen werden, denn es is’ ja immer gut, wenn man Freunde im Parlament hat, so einen wie Sie. Sie wissen schon, was ich meine. Aber da gibt’s doch Grenzen.« Er lehnte sich jetzt gegen Alec, der noch weiter rutschte. »Wir ham Ihnen ‘nen Gefallen getan. Jetzt ist’s an der Zeit, dass Sie sich erkenntlich zeigen.

Sie besorgen uns fixobello ‘ne dicke Ladung Stoff. Drogen, na, Sie wissen schon.«

»Nein! Unmöglich!« rief Alec. »Das kann ich nicht. Ich habe keine -«

Plötzlich merkte Alec, dass er bis ans Ende der Bank gedrängt worden war, bis dicht an den großen Metallbehälter mit den glühendheißen Gesteinsbrocken. »Vorsicht!« rief er. »Ich -«

Aber Swinton hatte schon seinen Arm gepackt und ihn verdreht, zwang ihn an den heißen Kessel. Alec fühlte, wie seine Haut versengte.

»Nein!«

Im nächsten Augenblick wurde ihm der Arm auf die heißen Steine gepresst. Er schrie vor Schmerz und fiel auf den Boden, wand sich in Qualen. Über ihm stand Jon Swinton. »Lassen Sie sich etwas einfallen. Auf bald.«

27. Kapitel

Berlin

Samstag, 3. November, 18 Uhr

Anna Roffe-Gassner wusste nicht, wie lange sie ihre Lage noch würde ertragen können.

Sie war zur Gefangenen in ihrem eigenen Haus geworden. Nur die Putzfrau kam einmal pro Woche für ein paar Stunden. Sonst waren Anna und die Kinder allein, auf Gnade und Ungnade Walther ausgeliefert. Er machte sich gar nicht mehr die Mühe, seinen Hass zu verbergen. Anna war im Kinderzimmer gewesen und hatte mit ihnen eine Platte gespielt, einer ihrer Lieblingsmelodien gelauscht:

»Welch ein Singen, Jubilieren, Pfeifen, Zwitschern, Tirilieren...«

Die Tür war aufgeflogen, Walther kam hereingestürmt. »Ich hab’ jetzt genug davon!« hatte er gebrüllt.

Und er hatte die Platte zerbrochen. Die Kinder verkrochen sich zitternd in eine Ecke.

Anna hatte versucht, ihn zu besänftigen. »Es tut mir so leid, Walther. Ich hab’ nicht gewusst, dass du schon zu Hause bist. Möchtest du etwas?«

Er hatte sich dicht vor ihr aufgebaut, seine Augen loderten, und er sagte kalt: »Wir werden uns die Kinder vom Hals schaffen, Anna.«

Und das vor ihren Ohren!

Er legte ihr die Hände auf die Schultern. »Was in diesem Haus geschieht, muss unser Geheimnis bleiben.« Unser Geheimnis. Unser Geheimnis. Unser Geheimnis.

Die Worte dröhnten ihr im Kopf. Sie fühlte, wie sich seine Arme um sie schlangen. Er presste sie so hart an sich, dass ihr der Atem verging. Sie sank in Ohnmacht.

Als Anna aufwachte, lag sie in ihrem Bett. Die Vorhänge waren zugezogen. Sie blickte auf die Uhr. Sechs Uhr abends. Das Haus lag ganz still. Zu still. Ihr erster Gedanke galt den Kindern. Angst griff mit eisigen Händen nach ihr. Sie stand auf, stolperte auf zittrigen Beinen zur Tür. Abgeschlossen. Von außen. So fest sie konnte, presste sie das Ohr an das Holz, lauschte. Sie hätte die Kinder hören müssen. Warum hörte sie nichts von ihnen? Sie müssten heraufgelaufen kommen, zu ihr. Das taten sie immer. Warum jetzt nicht? Sie müssten doch dasein.

Wenn sie noch gelebt hätten.

Ihre Beine zitterten so stark, dass sie kaum zum Telefon kam. Leise sprach sie ein Gebet, dann nahm sie den Hörer ab. Das vertraute Freizeichen ertönte. Noch zögerte sie. Sie durfte gar nicht daran denken, was Walther ihr antun würde, wenn er sie erwischte. Nein, nicht daran denken! Anna versuchte, 110 zu wählen. Doch ihre Hände zitterten zu stark. Sie verwählte sich, ebenso beim zweitenmal. Schluchzen stieg in ihr auf. Sie hatte nur noch wenig Zeit! Sie bekämpfte die Hysterie, versuchte es abermals, brachte ihren ganzen Willen auf. Immer mit der Ruhe. Sie hörte es klingeln. Dann - welch ein Wunder - eine Männerstimme. »Hier Polizeinotruf.«