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Hier entlang.«

Das hörte sich so klar und deutlich an, dass es ihm fast wirklich vorkam. Er hörte sie sagen: »Los doch, Francesco!« Und Ivo drehte sich um. Donatella ging kurz hinter ihm, mit ihren drei Söhnen. Und sie bewegte sich energisch auf ihn und Simonetta und die drei Mädel zu. Zuerst dachte Ivo, es müsste ein Zufall sein. Die vier machten sicher auch gerade einen Ausflug. Doch sobald er ihren Gesichtsausdruck sah, wusste er Bescheid. Die puttana plante eine Familienzusammenführung, sie wollte ihn fertigmachen! Wie ein Wahnsinniger überlegte er, wie er dem Schicksal im letzten Augenblick entrinnen konnte.

Schnell rief er Simonetta zu: »Da ist etwas, das muss ich euch unbedingt zeigen. Vorwärts, Leute, marsch, marsch!«

Und erjagte seine Familie die lange, gewundene Steintreppe hinab, zum nächsten Plateau, drängte Touristen zur Seite, warf hektische Blicke über die Schulter nach hinten. Donatella und die Jungs näherten sich der Treppe. Ivo wusste, wenn die Jungen ihn sahen, war alles aus. Einer von ihnen brauchte nur »Papa« zu rufen, und er konnte sich genausogut in einem der Springbrunnen ertränken. Und weiter hetzte er Simonetta und die Mädchen, gab ihnen keine Gelegenheit, nach Luft zu schnappen.

»Wo rennen wir eigentlich hin?« keuchte Simonetta. »Warum plötzlich die Hast?«

»Eine Überraschung.« Ivo zwang seine Stimme zur Fröhlichkeit. »Ihr werdet schon sehen.«

Er wagte einen weiteren Blick nach hinten. Momentan waren Donatella und die Jungen außer Sicht. Vor ihnen lag ein Labyrinth; eine Treppe führte nach oben, die andere nach unten. Ivo entschied sich für die erstere.

»Kommt, Kinder!« rief er. »Wer zuerst oben ist, kriegt eine Belohnung.«

»Ivo! Ich bin völlig fertig«, jammerte Simonetta. »Können wir uns nicht eine Sekunde ausruhen?«

Er sah sie völlig entgeistert an. »Ausruhen? Das würde doch die ganze Überraschung kaputtmachen. Los, los, Beeilung!«

Er nahm Simonetta beim Arm und schleppte sie die steilen Stufen hinauf; die drei Töchter rannten voraus. Ivo selbst keuchte auch mächtig, rang nach Luft. Das geschähe denen recht, dachte er bitter, wenn ich einen Herzanfall bekäme und hier auf der Stelle sterben würde. Verdammte Weiber! Man kann keiner mehr trauen. Wie konnte sie mir das antun? Sie betet mich doch an. Dafür bring’ ich die Hündin um.

Er malte sich aus, wie er Donatella erwürgte. In ihrem Bett. Sie trug nichts als ein hauchdünnes Neglige. Er riss es ihr vom Leib und bestieg sie, während sie um Gnade winselte. Ivo fühlte, wie er eine Erektion bekam.

»Können wir nicht endlich stehenbleiben?« bettelte Simonetta.

»Nein! Wir sind ja gleich da!«

Sie waren wieder auf dem oberen Plateau angelangt. Ivo blickte hastig in die Runde. Donatella und die Jungen waren nirgends zu sehen.

»Wohin schleppst du uns eigentlich?« Simonettas Stimme wurde energischer.

»Ihr werdet’s sehen.« Ivos Stimme verriet aufsteigende Hysterie. »Mir nach!« Er drängte sie in Richtung Ausgang.

»Gehen wir schon wieder, Papa?« beschwerte sich Isabella, die Älteste. »Wir sind doch gerade erst gekommen!«

»Wir gehen woandershin, wo’s viel besser ist«, keuchte Ivo. Er sah zurück. Da kamen sie die Treppe herauf: Donatella und die Jungen.

»Schneller, Mädchen!«

Augenblicke später befanden sich Ivo und seine rechtmäßige Familie außerhalb der Mauern der Villa d’Este. Sie rannten auf den großen Platz zu, wo ihr Auto stand.

»So hab’ ich dich noch nie erlebt«, brachte Simonetta heraus.

»So war ich auch noch nie«, gab Ivo der Wahrheit die Ehre. Er ließ den Motor an, bevor die Türen geschlossen waren. Und er fegte vom Parkplatz, als sei der Teufel hinter ihm her.

»Ivo!«

Er tätschelte Simonettas Hand. »Jetzt könnt ihr euch alle schön ausruhen. Und als besondere Überraschung werde ich euch einladen - wir gehen zum Lunch ins Hassler.«

Sie saßen an einem Panoramafenster mit Blick auf die Spanische Treppe. In der Ferne ragte triumphal der Petersdom auf.

Simonetta und die Kinder fühlten sich wie im siebenten Himmel. Das Essen war hervorragend. Ivo hätte genausogut Pappe essen können. Seine Hände zitterten so stark, dass er kaum Messer und Gabel halten konnte. So geht das nicht weiter, dachte er. Ich lasse mir mein Leben nicht ruinieren.

Genau das nämlich hatte Donatella im Sinn, da hegte er keinen Zweifel. Il giuoco e stato fatto. Das Spiel war aus. Es sei denn, er fand einen Weg, Donatellas Geldforderung zu erfüllen.

Er musste das Geld beschaffen. Auf welche Weise, spielte keine Rolle.

29. Kapitel

Paris

Montag, 5. November, 18 Uhr

Im Augenblick, da Charles Martel die Schwelle des Hauses überschritt, wusste er: Es ging ihm an den Kragen. Helene wartete schon auf ihn, und, was schlimmer war, in ihrer Gesellschaft befand sich Pierre Richaud, der Juwelier, der die Duplikate der gestohlenen Juwelen angefertigt hatte. Charles blieb wie versteinert in der Tür stehen.

»Komm nur rein, Charles«, sagte Helene. In ihrer Stimme lag ein Unterton, der ihm Schauder des Entsetzens durch den Körper trieb. »Soviel ich weiß, kennst du Monsieur Richaud.«

Charles starrte sie nur wortlos an. Er wusste, was immer er sagte, würde die Sache nur noch schlimmer machen. Der Juwelier blickte angestrengt auf den Boden, wünschte sich offenbar weit weg.

»Setz dich doch, Charles.« Es war ein Befehl. Charles nahm Platz.

Helenes Stimme war hart wie Stahl. »Was dich erwartet, mon cher, ist eine Anklage wegen schweren Diebstahls. Du hast meine Juwelen gestohlen und die Stücke durch plumpe Imitationen ersetzt, angefertigt von Monsieur Richaud.«

Charles wollte in den Boden versinken, aber er konnte nichts dagegen tun: Er fühlte, wie er sich in die Hosen machte. Das war ihm das letztemal als kleiner Junge passiert. Er lief rot an. Verzweifelt wünschte er sich, den Raum verlassen zu können, um sich zu säubern, nur für einen Moment. Für einen Moment? Nein, er wollte fliehen und nie im Leben zurückkehren.

Helene wusste alles. Wie sie es herausbekommen hatte, spielte keine Rolle. Es würde weder ein Entrinnen geben noch Gnade. Schlimm genug, dass Helene seine Tat kannte, den Diebstahl. Was aber würde passieren, wenn sie sich erst über das Motiv im klaren war? Dass er das Geld hatte dazu benutzen wollen, ihr zu entkommen! Der Begriff Hölle würde eine völlig neue Bedeutung erhalten. Niemand kannte Helene, wie er sie kannte. Sie war une sauvage, zu allem fähig. Sie würde ihn vernichten, ohne auch nur einen Gedanken daran zu verschwenden, würde ihn zum Clochard machen, einer jener traurigen Gestalten, die in Lumpen auf den Straßen von Paris nächtigten. Sein Leben hatte sich plötzlich in ein emmerdement verwandelt, in einen Regen von Scheiße.

»Hast du wirklich geglaubt, du könntest so davonkommen?« fragte Helene.

Charles blieb still, ein jämmerliches Schweigen. Er fühlte, wie die Nässe sich in den Hosen ausbreitete, wagte aber nicht, nach unten zu sehen.

»Ich habe Monsieur Richaud überredet, mich mit allen Fakten bekanntzumachen.«

Überredet! Charles mochte sich gar nicht ausmalen, was das bedeutete.