»Ich besitze Fotokopien von den Quittungen für das Geld, das du mir gestohlen hast. Ich kann dich für die nächsten zwanzig Jahre hinter Gitter bringen.« Sie schwieg einen Moment. Dann fügte sie hinzu: »Wenn ich mich dazu entschließe.«
Ihre Worte vergrößerten nur Charles’ Panik. Eine milde Helene war eine schreckliche Helene, das hatte die Erfahrung ihn gelehrt. Er hatte Angst, ihr in die Augen zu sehen. Was sie wohl von ihm wollte? Bestimmt etwas Unbeschreibliches.
Helene wandte sich Pierre Richaud zu. »Und Sie werden über die Angelegenheit nicht sprechen. Zu niemandem ein Wort. So lange nicht, bis ich mich entschieden habe, was ich unternehme.«
»Selbstverständlich nicht, Madame Roffe-Martel, da können Sie sich ganz auf mich verlassen.« Der Mann konnte nur noch stammeln. Hoffnungsvoll blickte er zur Tür. »Darf - darf ich jetzt gehen?«
Helene nickte, und Pierre Richaud enteilte wie ein Wiesel.
Helene sah ihm nach, wirbelte dann herum und starrte ihren Mann an. Sie konnte seine Furcht wittern. Und noch etwas anderes. Urin. Sie lächelte. Charles hatte sich aus lauter Angst vollgepinkelt. Na, bravo: Sie hatte ihn wirklich ausgezeichnet dressiert. Helene war recht angetan von Charles. Eine äußerst zufriedenstellende Ehe. Erst hatte sie Charles eingeritten, ihn dann zu ihrer Kreatur gemacht. Die Neuerungen, die er bei Roffe und Söhne eingeführt hatte, waren genial. Denn sie stammten allesamt von Helene. Mit ihrem Mann als Werkzeug beherrschte sie einen kleinen Teil von Roffe und Söhne, aber das war ihr bei weitem nicht genug. Schließlich war sie eine Roffe. Sie war von jeher vermögend, und ihre verflossenen Ehen hatten sie noch wohlhabender gemacht. Aber sie war nicht auf Geld aus. Was sie wollte, war die Herrschaft über den Konzern. Sie hatte alles so schön geplant. Mit dem Erlös aus ihren Anteilen wollte sie noch mehr Aktien erwerben, die Beteiligungen der anderen aufkaufen. Sie hatte schon mit ihnen darüber gesprochen. Alle waren einverstanden. Man würde eine Sperrminorität zusammenbringen. Aber leichter gesagt als getan. Zuerst hatte Sam ihren Plänen im Weg gestanden, jetzt war es Elizabeth. Aber Helene hatte nicht die Absicht, Elizabeth oder irgend jemand anderen zwischen sich und ihren Zielen zu dulden. Sie würde bekommen, was sie wollte. Und Charles würde es ihr ermöglichen. Sollte etwas dabei schiefgehen, war er der geeignete Sündenbock.
Zunächst jedoch musste er für seine petite revolte bestraft werden. Sie beobachtete sein Gesicht und sagte: »Mich bestiehlt niemand, Charles. Niemand. Du bist erledigt. Wenn ich mich nicht entschließen sollte, dich zu retten.«
Da saß er, ein Häufchen Elend. Er wünschte sie sich tot, hatte unbeschreibliche Angst vor ihr. Sie kam zu ihm herüber. Ihre Schenkel fuhren an seinem Gesicht entlang.
»Möchtest du, dass ich dich rette, Charles?« fragte sie.
»Ja.« Seine Stimme war heiser. Sie stieg aus ihrem Rock, die Augen glänzend vor boshafter Gier, und er dachte: Oh, mein Gott! Nicht jetzt!
»Dann hör mir gut zu. Roffe und Söhne ist mein Konzern. Ich will die Aktienmehrheit.«
Jämmerlich sah er sie von unten an. »Du weißt doch, Elizabeth verkauft nicht.«
Helene streifte die Bluse ab und ließ das Höschen fallen. Da stand sie vor ihm, animalisch nackt, ihr Körper schmal und makellos, Brüste mit harten Titten. »Dann musst du dich um Elizabeth kümmern, das heißt, wenn du die nächsten zwanzig Jahre deines Lebens nicht im Kittchen verbringen willst. Ich werde dir sagen, was du zu tun hast. Aber jetzt komm erst mal her zu mir, Charles.«
30. Kapitel
Am nächsten Morgen um zehn Uhr klingelte Elizabeths Spezialtelefon. Am Apparat war Emil Joeppli. Sie hatte ihm die Nummer gegeben, damit niemand ihre Kommunikation entdeckte. »Ob Sie wohl mal bei mir reinschauen könnten?« Seine Stimme klang aufgeregt.
»In fünfzehn Minuten bin ich bei Ihnen.«
Als Elizabeth im Mantel aus ihrem Büro trat, sah Kate Erling überrascht auf. »Aber Sie haben einen Termin um -«
»Sagen Sie für die nächste Stunde alles ab.«
Am Eingang zum Forschungstrakt musste sie ihren Werksausweis vorzeigen. »Letzte Tür links, Miss Roffe«, informierte sie der Wächter.
Als sie hereinkam, war Joeppli allein in seinem Labor. Er begrüßte sie voller Enthusiasmus.
»Heute nacht habe ich die letzten Tests abgeschlossen. Es funktioniert! Die Enzyme hemmen den Alterungsprozess, und zwar so gut wie vollständig. Sehen Sie selbst.«
Er führte sie an einen Käfig mit vier jungen Kaninchen. Die Tiere hüpften aufgeregt herum, wirkten wie leibhaftige Energiebündel. Daneben stand ein zweites Gehege, ebenfalls mit vier Karnickeln, die aber viel ruhiger, gereifter wirkten.
»Das ist die fünfhundertste Generation, die mit den Enzymen behandelt wurde«, erläuterte Joeppli.
Elizabeth betrachtete die Tiere. »Sie wirken gesund und in Top-Form.«
Joeppli lächelte. »Das ist nur ein Teil der Testgruppe.« Er deutete auf den linken Käfig. »Das da sind die eigentlichen Senioren.«
Elizabeth starrte die quecksilbrigen Kaninchen an, die wie Jungtiere durch den Käfig fegten, und konnte es einfach nicht fassen.
»Die hier werden mindestens dreimal so alt wie ihre Kameraden nebenan«, verkündete Joeppli.
Wenn man das auf den Alterungsprozess des Menschen anwandte, waren die Konsequenzen gar nicht auszudenken. Elizabeth konnte ihre Erregung kaum unterdrücken.
»Wann - wann sind Sie soweit, dass Sie mit den Versuchen an Menschen beginnen können?«
»Ich stelle gerade die Endergebnisse zusammen. Danach noch etwa drei, vier Wochen, höchstens.«
»Sprechen Sie mit niemandem darüber!« warnte ihn Elizabeth.
Emil Joeppli nickte. »Seien Sie unbesorgt, Miss Roffe. Ich werde schweigen wie ein Grab.«
Der ganze Nachmittag war mit einer Direktoriumssitzung ausgefüllt gewesen. Elizabeth war mit dem Verlauf zufrieden. Walther hatte gefehlt. Charles war es, der wieder das leidige Thema der Aktienverkäufe aufbrachte, aber Elizabeth hatte unerschütterlich ihr Veto eingelegt. Ivo ließ, wie üblich, seinen Charme spielen, Alec stand ihm nicht nach. Nur Charles wirkte außergewöhnlich verkrampft. Elizabeth hätte zu gern den Grund gewusst.
Sie hatte alle eingeladen, in Zürich zu übernachten und mit ihr zu Abend zu essen. So nebenbei brachte sie beim Dinner die Themen ins Gespräch, von denen der Bericht handelte. Wie ein Luchs achtete sie auf verräterische Reaktionen, aber niemand zeigte eine Spur von Nervosität oder Schuldbewusstsein. Dabei saßen alle am Tisch, die in die Angelegenheit verwickelt waren, mit Ausnahme von Walther.
Rhys hatte weder an der Sitzung noch am Abendessen teilgenommen. »Ich muss mich um eine dringende Sache kümmern«, hatte er gesagt, und sofort kam Elizabeth der Verdacht, es könne sich um ein Mädchen handeln. Ihr war klar, dass Rhys, wann immer er spät abends bei ihr zu tun hatte, ein Rendezvous absagen musste. Einmal hatte er die fragliche Dame nicht beizeiten erreichen können, und sie war im Büro aufgetaucht: ein atemberaubender Rotschopf mit einer Figur, der gegenüber Elizabeth sich wie ein Knabe vorkam. Das Mädchen hatte geschäumt, als sie merkte, dass sie versetzt worden war, und hatte sich nicht einmal bemüht, ihre Wut zu verbergen. Rhys hatte sie schließlich hinausbegleitet und in den Fahrstuhl verfrachtet. Als er zurückkam, sagte er lapidar: »Tut mir leid.«
Elizabeth konnte es sich nicht verkneifen: »Sie ist reizend«, sagte sie und hörte selbst, wie unecht ihre Stimme klang. »Was tut sie beruflich?«
»Sie ist Neurochirurgin.« Rhys hatte keine Miene verzogen, und Elizabeth musste lachen. Am Tag darauf erfuhr sie, dass die Frau tatsächlich als Neurologin praktizierte.
Aber da gab es noch andere Mädchen, und Elizabeth hasste sie alle. Wenn sie ihn nur besser verstünde! Sie kannte den geselligen Rhys Williams, den Berufsfanatiker, aber sie wollte auch den privaten Rhys Williams kennenlernen, dem verborgenen Ich auf die Spur kommen. Mehr als einmal ertappte sich Elizabeth bei dem Gedanken: Eigentlich müsste Rhys den Konzern leiten. Statt dessen muss er meinen Anweisungen Folge leisten. Was er dabei wohl empfindet?