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An jenem Abend nach dem Essen, als die Direktoriumsmitglieder in alle Winde gestoben waren, um ihre Züge und Flugzeuge zu erreichen, trat Rhys plötzlich in Elizabeths Büro. Sie arbeitete dort mit Kate. »Dachte, ich könnte den Damen noch etwas behilflich sein«, sagte er.

Kein Wort, wo er gewesen war, was er getrieben hatte. Warum sollte er auch? fragte sich Elizabeth. Er ist mir keine Rechenschaft schuldig.

Zu dritt machten sie sich an die Arbeit, und die Zeit verging wie im Flug. Immer wieder ertappte sich Elizabeth dabei, dass sie Rhys beobachtete. Da saß er, über Unterlagen gebeugt, die er schnell und gründlich überflog, die Augen lebendig und hellwach. In mehreren wichtigen Vertragsentwürfen hatte er Schwachstellen gefunden, die selbst den Konzernanwälten entgangen waren. Schließlich richtete er sich auf, streckte sich und sah auf die Uhr.

»Au verflixt! Schon nach Mitternacht. Fürchte, ich muss die Damen verlassen. Hab’ noch eine Verabredung. Morgen komme ich ganz früh her und gehe diese Papiere zu Ende durch.«

So, eine Verabredung, dachte Elizabeth. Wohl mit der Neurologin oder einer seiner anderen. Sie gebot sich Einhalt. Rhys’ Privatleben war seine Sache.

»Tut mir leid«, sagte sie laut. »Ich habe nicht gemerkt, wie spät es ist. Kate und ich bringen das noch zu Ende.«

Rhys nickte. »Bis morgen also. Gute Nacht, Kate.«

»Gute Nacht, Mr. Williams.«

Elizabeth sah ihm nach, zwang ihre Gedanken dann wieder an die Arbeit. Doch wenige Augenblicke später beschäftigte sie sich erneut mit Rhys. Sie brannte darauf, ihm von den Fortschritten zu berichten, die Emil Joeppli mit dem neuen Wundermittel machte. Aber irgend etwas hielt sie zurück. Bald, sagte sie sich. Sehr bald.

Um ein Uhr früh waren sie fertig.

»Gibt’s noch etwas, Miss Roffe?« erkundigte sich Kate Erling.

»Nein, ich glaube, für heute haben wir’s geschafft. Danke, Kate. Schlafen Sie sich aus, kommen Sie morgen später.«

Elizabeth stand auf. Vom langen Sitzen war sie ganz steif geworden.

»Vielen Dank«, sagte Kate. »Morgen nachmittag habe ich alles ins reine getippt.«

»Ausgezeichnet.«

Elizabeth nahm Mantel und Handtasche und wartete auf Kate. Gemeinsam gingen sie zur Tür. Sie traten in den Korridor hinaus und wandten sich zum DirektionsExpreßlift. Er stand schon da, die Tür war offen. Die beiden Frauen betraten den Aufzug, doch als Elizabeth die Hand nach dem Knopf »Erdgeschoß« ausstreckte, hörten sie plötzlich aus dem Büro das Telefon klingeln.

»Ich gehe ran, Miss Roffe«, sagte Kate Erling. »Fahren Sie schon hinunter.« Sie trat wieder aus dem Lift.

Unten in der Halle sah der Sicherheitsbeamte, der Nachtschicht hatte, auf die Fahrstuhlanzeige. Am Kopf der Skala leuchtete ein rotes Licht auf und begann, sich langsam abwärts zu bewegen. Es war die Kontrolleuchte für den Direktions-Expreßlift und bedeutete, dass Miss Roffe auf dem Weg war. Ihr Chauffeur saß auf einem Stuhl und döste über einer Zeitung.

»Der Boss kommt«, verkündete der Wachmann.

Der Chauffeur reckte sich und stand langsam auf.

Plötzlich zerriss das Dröhnen einer Alarmklingel die friedliche Stille in der Halle. Der Blick des Wächters flog auf die Kontrollanzeige. Das rote Licht glitt jetzt nicht mehr gemächlich abwärts, es wurde immer schneller, stürzte zum Schluss wie im freien Fall. Und die Leuchtanzeige lief synchron mit der Bewegung des Aufzugs!

Der Lift war außer Kontrolle geraten!

»Oh, mein Gott!« stieß der Wachmann aus.

Er sprang zum Kontrollbord am Fahrstuhlschacht, riss eine Klappe auf und warf den Sicherheitshebel herum, der die Notbremse betätigte. Das rote Licht wurde um keinen Deut langsamer. Der Chauffeur war dem Wächter nachgeeilt.

»Was - was ist -«

»Aus dem Weg, Mann, volle Deckung!« schrie der Wachmann. »Das Ding stürzt ab!«

Beide rannten in die entfernteste Ecke der Halle. Schon zitterte und bebte der Raum von der Wucht des abwärts stürzenden Fahrkorbs im Betonschacht. Der Wächter schickte ein Stoßgebet zum Himmel. »Lieber Gott, lass sie nicht drin sein!« Und als der Lift an der Halle vorbeiraste, hörten sie von drinnen schreckliche Schreie.

Sekundenbruchteile später gab es einen ungeheuren Aufschlag, das ganze Gebäude erzitterte wie bei einem Erdbeben.

31. Kapitel

Chefinspektor    Schmied    von    der Züricher Kriminalpolizei saß hinter seinem Schreibtisch, die Augen geschlossen, nach Yoga-Manier tief durchatmend. Er musste ruhig bleiben, ganz ruhig, sagte er sich immer wieder; der gewaltige Zorn, den er im Bauch hatte, durfte nicht die Oberhand gewinnen.

Im Dienstbereich eines Polizisten gab es gewisse Grundregeln, Dinge, die jedem so in Fleisch und Blut übergegangen waren, dass man es nicht für nötig befunden hatte,    sie in    das    Polizeihandbuch aufzunehmen. Man machte es einfach so, genau wie essen, schlafen oder atmen. Zum Beispieclass="underline" Ereignete sich ein Unfall mit Todesfolge, was tat der Untersuchungsbeamte als erstes? Verdammt noch mal, explodierte Schmied innerlich, das erste für jeden Polizisten, das einfachste von der Welt, nicht mal einem Baby musste man das beibringen, verdammt und zugenäht, war, dass sich ein Polizist sofort und ohne jeden Umweg an den Unfallort zu begeben hatte! Gab es etwas Simpleres? Denkste! fauchte Schmieds innere Stimme. Vor ihm auf dem Schreibtisch lag ein Bericht des Inspektors Max Hornung. Der Wisch umfasste so ziemlich alles, was ein Polizeibeamter nur falsch machen konnte: das Protokoll einer verkorksten Untersuchung. Was hätte ich auch anderes erwarten sollen, fragte Schmied sich bitter. Warum reg’ ich mich überhaupt noch auf!

Max Hornung war Chefinspektor Schmieds Alptraum, sein bete noire, sein - Schmied war ein glühender Anhänger Melvilles - sein Moby Dick. Der Chefinspektor holte noch einmal tief Luft, atmete ganz langsam durch.

Viel half es nicht, immerhin zitterte seine Hand nicht mehr so stark, als er sich Hornungs Bericht abermals vornahm und ihn noch einmal las.

Mittwoch, 7. November

Ich begann umgehend mit der Untersuchung. Um 01:35 Uhr stellte ich den Namen des Hausverwalters des Gebäudes fest. Der wiederum konnte mir den Architekten benennen.

02:30 Uhr. Aufenthaltsort des Architekten festgestellt. Feierte seinen Geburtstag im »La Puce«. Gab mir Namen der Firma an, welche die Aufzüge im fraglichen Gebäude installierte: Rudolf Schatz A. G.

Um 03:15 Uhr setzte ich mich telefonisch mit Herrn Rudolf Schatz in seiner Wohnung in Verbindung. Ersuchte ihn, umgehend die Installationspläne für die betr. Aufzüge ausfindig zu machen. Ferner verlangte ich Kostenvoranschläge, Zwischenkalkulationen sowie Endabrechnungen, sodann eine vollständige Aufstellung sämtlicher mechanischer und elektrischer Anlagen der Firma in dem betreffenden Gebäude.

An diesem Punkt angelangt, bekam Chefinspektor Schmied ein nervöses Zucken. Er musste erst einmal kräftig durchatmen, bevor er die Lektüre fortsetzen konnte.

06:15 Uhr: Die verlangten Dokumente wurden mir im Kommissariat vorgelegt. Überbringerin: Frau Schatz, Gattin des Rudolf Schatz. Nach gründlichem Vergleich der Kalkulationen, Baupläne und Endabrechnungen bildete ich mir folgendes Urteiclass="underline"

a)    Bei der Installation der Aufzüge ist kein von den Angebotsangaben abweichendes minderwertiges Material verwandt worden.