Выбрать главу

b)    Die Aufzugsfirma genießt einen hervorragenden Ruf. Minderwertige oder fahrlässige Installation kann deshalb als Unfallursache ausgeschlossen werden.

c)    Die Sicherheitsvorkehrungen entsprachen den Normen.

d)    Zusammenfassend kann festgestellt werden: Die Ursache des Fahrstuhlabsturzes beruht nicht auf Unfall.

(gezeichnet) Max Hornung, Kriminalinspektion.

Anmerkung: Da ich meine telefonischen Anfragen und Erkundigungen während der Nacht und der frühen Morgenstunden durchführen musste, mache ich Sie auf die Möglichkeit eventueller Beschwerden aufmerksam. Ich hatte keine andere Wahl, als mehrere Personen in ihrer Nachtruhe zu stören.

Chefinspektor Schmied knallte den Bericht auf den Schreibtisch. »Das darf doch nicht wahr sein!« explodierte er. »Eventuelle Beschwerden!« Den ganzen Vormittag über hatte ihn das Telefon kaum fünf Minuten in Ruhe gelassen. Beschwerden! Er hatte die halbe Schweizer Regierung im Nacken. Was er sich eigentlich dachte, war er angebrüllt worden. Und ob er seine Polizeibehörde mit der Gestapo verwechselte. Wie konnte man es wagen, den Chef einer hochangesehenen Baufirma mitten in der Nacht aufzuscheuchen und ihm dann noch auf der Stelle sein halbes Aktenarchiv abzuverlangen? Und wie konnte die Polizei es sich herausnehmen, die Arbeit einer renommierten Firma in Zweifel zu ziehen? Und so weiter.

Aber was dem Fas den Boden ausschlug, was die ganze Sache so unglaubhaft machte: Inspektor Max Hornung war nicht einmal am Unfallort erschienen. Erst vierzehn Stunden nach dem Ereignis hatte er geruht, sich dort sehen zu lassen, als das Opfer längst abtransportiert, identifiziert und obduziert war. Inzwischen hatte ein halbes Dutzend anderer Beamten den Unfallort inspiziert, Zeugen befragt und Bericht erstattet.

Als Chefinspektor Schmied Hornungs Bericht zum zweiten mal gelesen hatte, beorderte er den Verfasser in sein Büro.

Der bloße Anblick war für Schmied ein Greuel. Max Hornung war ein kleiner plumper Mann mit vorwurfsvollen Augen, kahl wie eine Billardkugel und mit einem Gesicht, das der Feder eines Karikaturisten entstammen konnte. Der Kopf war viel zu groß, ausgestattet mit zwei viel zu kleinen Ohren, und der Mund wirkte wie eine Rosine mitten im Pudding. Nach den strengen Richtlinien der Züricher Kriminalpolizei war Max Hornung gut zwanzig Zentimeter zu klein und wog fünfzehn Pfund zuwenig, dazu kam eine geradezu hoffnungslose Kurzsichtigkeit. Und als ob das noch nicht reichte, fiel er jedem mit seiner Arroganz auf die Nerven. Alle Beamten im Präsidium waren sich einig: Sie hassten Max Hornung wie die Pest.

»Warum schmeißt du ihn nicht einfach raus?« wollte Schmieds Frau wissen, und ums Haar hätte er sie geohrfeigt.

Dass Max Hornung der Züricher Kriminalpolizei angehörte, hatte einen triftigen Grund. Hornung war ein Mann, der im Alleingang mehr zum Schweizer Nationaleinkommen beigetragen hatte als alle Schokoladenhersteller und Uhrenfabrikanten zusammen. Max Hornung war gelernter Wirtschaftsprüfer, ein mathematisches Genie mit einem enzyklopädischen Wissen in Bezug auf alle fiskalischen Angelegenheiten. Dazu kamen ein angeborener Instinkt für die schwachen Punkte seiner Mitmenschen und eine Engelsgeduld, die selbst Hiob mit Neid erfüllt hätte. Max war einst der Betrugsabteilung zugeteilt gewesen, jener Behörde, die damit beschäftigt war, Finanzschwindel aller Art aufzudecken. Zwielichtige Aktienmanipulationen, Bankgeschäfte, der Zustrom und Abfluss riesiger Geldbeträge in und aus der Schweiz gehörten dazu. Max Hornung war es, der den illegalen Geldschmuggel in die Schweiz zum Erliegen gebracht, Milliarden und Abermilliarden in ebenso genialen wie unerlaubten Finanzmachenschaften aufgespürt und ein halbes Dutzend der renommiertesten Geschäftsleute hinter Schloss und Riegel gebracht hatte. Die Transaktionen konnten noch so ausgeklügelt sein. Da wurden Kapitalanlagen verschleiert, Bilanzen frisiert, Gelder in die Seychellen verschoben, zum Schein umgesetzt und über Briefkastenfirmen zurücktransferiert: Alles half nichts. Max Hornung kam früher oder später jeder Machenschaft auf die Spur. Kurz und gut: Er entwickelte sich zum Schreckgespenst der Schweizer Finanzwelt.

Von allen Dingen, die den Schweizern lieb und teuer sind, rangieren ihre Privatangelegenheiten ganz obenan. Solange Max Hornung die Finanzwelt heimsuchte, gab es keine Privatangelegenheiten mehr.

Verglichen mit den Summen, denen er auf der Spur war, war sein Gehalt äußerst bescheiden. Ihm waren Bestechungsgelder in Millionenhöhe offeriert worden, anonym auf ein Nummernkonto, versteht sich, ferner ein Chalet in Cortina d’Ampezzo, eine Jacht und mindestens ein halbes Dutzend    der schönsten    Frauen    im heiratsfähigen Alter.    In jedem Fall    waren    die Bestechungsversuche    zurückgewiesen    und    die zuständigen Behörden informiert worden. Max Hornung machte sich nichts aus Geld. Er hätte längst Millionär sein können, schon allein aufgrund seiner Kenntnisse vom Aktienmarkt, aber ihm kam nicht einmal der Gedanke. Max Hornungs Interesse galt lediglich einem Zieclass="underline" jene zu fangen, die vom Pfad der finanziellen Tugenden abgekommen waren. Halt: Da war noch etwas. Innerlich wurde Max Hornung von einer tiefen Sehnsucht verzehrt, und diese Sehnsucht war es, die sich schließlich als Himmelsgeschenk für die Geschäftswelt erwies. Aus unerfindlichen Gründen hegte er den Herzenswunsch, Kriminalbeamter zu werden. In seinen Träumen sah er sich als eine Art modernen Sherlock Holmes oder Maigret, der geduldig ein Labyrinth von Spuren verfolgte, bis er den Schurken entlarvt hatte. Eines Tages kam einer der führenden Schweizer Finanziers durch Zufall hinter Hornungs kriminalistischen Drang. Ohne auch nur eine Minute zu zögern, setzte er sich mit ein paar einflussreichen Freunden in Verbindung, und achtundvierzig Stunden später erhielt Hornung das offizielle Angebot, Beamter der Züricher Kriminalpolizei zu werden. Er konnte sein Glück gar nicht fassen. Voll Eifer griff er zu. Die Geschäftswelt stieß einen Seufzer der Erleichterung aus und nahm ihre alten Aktivitäten unverzüglich wieder auf.

Chefinspektor Schmied war bei der Berufung nicht einmal gefragt worden. Ihn hatte man lediglich telefonisch unterrichtet. Der Anrufer war einer der ranghöchsten Schweizer Politiker. Schmied hatte knappe, klare Anweisungen erhalten, und die Sache war damit erledigt. In Wahrheit hatte sie für ihn mit diesem Anruf erst begonnen, und der Chefinspektor stand am Anfang eines Leidensweges, dessen Ende nicht in Sicht war und wohl auch kaum kommen würde. Dabei hatte er sich aufrichtige Mühe gegeben, seine Abneigung gegen einen Mitarbeiter zu unterdrücken, der ihm einfach aufgehalst worden war, einen Beamten noch dazu, der weder erfahren noch im geringsten qualifiziert war. Für dieses unerhörte Vorgehen, vermutete Schmied, musste es politisch zwingende Gründe geben. Na schön, an ihm sollte es nicht liegen. Er entschloss sich zu kooperativem Verhalten und hoffte auf eine problemlose Zusammenarbeit. Sobald Max Hornung sich bei ihm zum Dienst meldete, zerstob diese Zuversicht in alle Winde. Schon seine Erscheinung war geradezu lächerlich. Aber was dem Chefinspektor auf Anhieb die Nerven raubte, war dessen überhebliches Benehmen. Ausdruck und Haltung schienen zu besagen: Max Hornung ist da, jetzt kann nichts mehr schiefgehen.

Alle guten Vorsätze des Chefinspektors waren wie weggeblasen. Statt dessen ersann er andere Mittel und Wege. Von Anfang an versuchte er, Max Hornung kaltzustellen. Er versetzte ihn von einer Abteilung in die andere, gab ihm die unwichtigsten Aufträge. Hornung arbeitete bei der Kriminaltechnik, in der Spurensicherung, kam danach in die Fahndungsabteilung, bearbeitete Diebstähle, schlug sich mit Vermisstenanzeigen herum.

Aber immer wieder kreuzte er die Wege des Chefinspektors.

Nach den Regeln musste jeder Beamte einmal im Vierteljahr eine Woche lang den Nacht-Notdienst versehen. Wenn Max Hornung an der Reihe war, ereignete sich unweigerlich etwas Gravierendes, und während andere Beamte sich die Hacken abliefen, um Spuren zu sichern, löste er den Fall.